Stadtgespräch
: Die Russen kommen

Zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges lassen sich Tschechen vor Putins Karren spannen

Alexandra Mostyn Aus Prag

Es passiert nicht oft, dass in den Schlangen am Brünner Krautmarkt das gleiche Thema die Runden macht wie an den samstäglichen Marktständen am Prager Moldau-Kai. Momentan aber spielt sich in der böhmischen wie in der mährischen Metropole ein einziges absurdes Trauerspiel ab. Es hat drei Akte, und müsste man es in einem Satz zusammenfassen, läse sich das so: Der 71. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs wird in der Tschechischen Republik massiv von der russischen Propaganda missbraucht, mit Unterstützung tschechischer Akteure.

Es fing Anfang der Woche an. Die „Nachtwölfe“ kamen, die nationalistischen russischen Motorradfahrer, die jedes Jahr zum 8. Mai von sich reden machen, weil sie nach Berlin wollen. Polen hatte ihnen die Einreise verboten. Irgendwie tauchten sie in Südmähren auf. In Brünn wurden sie von höchster Stelle willkommen geheißen. Der Kreishauptmann Südmährens, Sozialdemokrat Michal Hašek, traf sich mit den Nachtwölfen auf dem Brünner Friedhof. „Heute Abend haben russische, tschechische und slowakische Motorradfahrer den Soldaten der Roten Armee, die bei der Befreiung Brünns und Südmährens gefallen sind, ihre Aufwartung gemacht“, postete Hašek auf seiner offiziellen Facebook-Seite. Und gab noch ein höhnisches „Bin ja mal gespannt, was die Medien morgen daraus machen“ hinzu.

In den Medien wollte man zuerst nicht glauben, der Post sei echt. Denn solch ein Idiot könnte nicht mal Hašek sein, der als sozialdemokratisches Ass in Präsident Zemans Machtpoker gilt. Wobei seine Idiotie nicht nur darin bestand, Putins berittenem Propaganda-Regiment eine offizielle Bühne zu geben. Sondern sich dabei auch noch unter der Flagge der „Republik Donezk“ fotografieren zu lassen, dem Separatistenstaat in der Ostukraine.

Während Hašek noch Anfragen der Medien mit der pseudo-naiven, real dümmlichen Frage beantwortete, was daran denn so schlimm sei, sich mit Motorradfahrern ablichten zu lassen, hatte manch ein Parteigenosse Schaum vorm Mund. „Billigt Michal Hašek etwa die russische imperiale Politik der Annexion eines fremden Gebietes – der Krim, die Entsendung von Soldaten und das Führen eines Angriffskrieges gegen einen anderen souveränen Staat im Osten der Ukraine oder sogar die Relativierung der Okkupation der Tschechoslowakei 1968 durch das Putin-Regime?“ wütete JiříDienstbier, der einstige Bürgerrechtler und sozialdemokratische Minister für Menschenrechte.

Die Einladung sei vom russischen Konsulat gekommen, ließ Hašek dann noch durch seine Sprecherin wissen. In der Nähe der russischen Botschaft vermutet Igor Zolotarev auch die „Bürgervereinigung für eine europäische multikulturelle Gesellschaft“, die für den 8. Mai eine ganz besondere Demonstration in Prag angekündigt hat. „Wir wollen mit diesen Leuten eigentlich nichts zu tun haben“, sagt Igor, der dem Verband der russischen Minderheit in der Tschechischen Republik vorsitzt. Kremlnahe Neurussen stünden hinter solchen Veranstaltungen, meint Igor, nicht sie, die sie schon lange im Land leben. Er wird also kaum am 8. Mai auf das Prager Burgviertel steigen, um das „Unsterbliche Regiment“ zu beklatschen, das dort marschieren wird: angebliche Kinder und Enkel der Rotarmisten, die die Tschechoslowakei 1945 befreit haben.

Nicht, dass viele Prager kommen. Der durchschnittliche Prager begeht den 8. Mai wie jeden Sonn- oder Feiertag: Er entflieht der Stadt. Aber das „Unsterbliche Regiment“ marschiert auch nicht zum Vergnügen der Prager, sondern zum Vergnügen des Kremls. Sind die Nachtwölfe die Kavallerie der Putin-Propaganda, so ist das „Unsterbliche Regiment“ ihre Infanterie.

Der Spuk endet, wie er begonnen hat, mit den Nachtwölfen. Die dürfen am Sonntag durch Prag rattern. Wie Staatsmänner, in Kolonne, auf abgesperrten Straßen, in Begleitung der Polizei. Es wird ein ganz besonderer Prager Frühling, prophezeit ein Facebook-Eintrag: „In den Straßen von Prag stehen Wachen mit Maschinengewehren, um die eine russische Motorradgang herumfahren wird.“