Mann, Frau, Fluss

MELANCHOLIE Der lange, breite Jangtse, ein schipperndes Boot und eine rätselhafteGestalt: „Chang Jiang Tu“ (Wettbewerb)

Jiang Hualin als Trinker in „Chang Jiang Tu“ Foto: Still: Yang Chao/Berlinale

Zwei Männer streiten sich auf einem Schiff. „Ich mache doch eh alle Arbeit hier!“, schimpft der eine und dreht sich wütend um. Gleich danach rutscht er aus, fällt in den Jangtse und ward für den Rest des Films nicht mehr gesehen. Was auch heißt: Ab sofort ist kein Bordarbeiter mehr an Deck, wobei das Boot, mit einer reichlich mysteriösen Fracht beladen, den Fluss stromaufwärts unterwegs ist. Tatsächlich befinden sich nur noch zwei Menschen an Bord: ein älterer Trinker, der sich auch zunehmend rar macht; und Gao Chun, Kapitän und Hauptfigur des Films.

Die Lebensader Chinas

Gao Chun war einst ein Dichter, erzählt eine Voice-over-Stimme, die ansonsten eher nicht angetan ist, Licht ins Dunkel zu bringen, jetzt interessiert er sich nur noch für Frauen. Wobei alle Frauen, denen er auf seinen Landausflügen begegnet oder die er vom Boot aus am Ufer beobachtet, dieselben Gesichtszüge tragen. Bis zu einem sonderbar plumpen, kaum zum Vorhergehenden passenden Epilog lässt der Film den Realitätsstatus dieser Frau offen. Sie ist einfach mal da, mal weg, im einen Moment lässt sie sich willig umarmen, im nächsten verschwindet sie schon wieder hinter der Flussbiegung; ein paar Seemeilen später taucht sie wieder auf, an der Seite eines anderen.

Wobei: Viel mehr als über die Frau erfährt man auch nichts über Gao Chu oder über die Welt der Frachtschifffahrt oder über den Jangtse, die Lebensader Chinas. „Crosscurrent“ ist ein Film, der von Stimmungen lebt und vor allem von der erstaunlichen Schönheit der Kameraarbeit Mark Lee Ping Bins, der für seine Kollaborationen mit dem taiwanischen Meisterregisseur Hou Hsiao-hsien bekannt ist. Weite Teile des Films spielen nachts oder bei Dämmerlicht, es dominieren weiche Schwarz- und dunkel flirrende Blautöne, in die immer wieder bunt schillernde Lichtpunkte einbrechen – genau wie die mysteriöse Frau immer wieder in Gao Chus melancholischen Trübsinn eindringt. Gelegentlich legen sich außerdem chinesische Schriftzeichen übers Bild: Gedichte, die mit Vorliebe davon erzählen, wie der Fluss, die Zeit, oder beides gemeinsam alles hinwegraffen.

Nahe seiner Mündung ist der Jangtse fast so breit wie das Meer, meint die Stimme aus dem Off einmal; aber davon solle man sich nicht täuschen lassen: Es gibt keine wirkliche Freiheit auf dem Jangtse, weil er eben doch nur in eine Richtung fließt.

Blauschwarz schimmerndes Wasser

Auch der Film schreitet, bei allen Rätseln, die er einem zwischendurch aufgibt, im Ganzen linear voran. Je länger er dauert, desto schmaler wird das Flussbett, desto höher werden dafür die Berge am Ufer. Auch der zuvor gelegentlich etwas fahrig anmutende Film verengt sich gegen Ende, findet zu seiner Essenz. Ein Mann, eine Frau, ein Fluss. Schwere Streicherklänge. Blauschwarz schimmerndes Wasser. Es hängt wohl auch ein wenig von der Tagesform ab, ob das einen einschläfert oder hypnotisiert. Lukas Foerster

21. 2., 14.45 Uhr, Haus der Berliner Festspiele