Die Wahrheit: Im Rotstift-Milieu

Das Wahrheit-Interview: Zwei selbsternannte „Lektoren Berlins“ im Gespräch über die linguistische Stadtguerilla und ihre Aufgaben.

Foto: Markus Grolik

Sie sind die neue Untergrundbewegung, die immer mehr Anhänger findet. Sie korrigieren unsere Städte. Die Wahrheit traf in Berlin zwei Aktivisten der linguistischen Stadtguerilla „Liga der listigen Lektoren“ an einer Tramhaltestelle im abendlichen Friedrichshain. Die beiden Männer sind vermummt, sie sprechen mit verstellter Stimme. Ihr Alter ist schwer zu schätzen, doch die Vermutung liegt nahe, dass wir es hier nicht mit pensionierten Studienräten zu tun haben. Dafür sprechen auch ihre Kampfnamen: „Bullshit Eliminator“ und „Slaughter of Apostrophes“.

taz: Herr Bullshit Eliminator. Wieso eine linguistische Stadtguerilla?

Bullshit Eliminator: Wir korrigieren die Stadt. Berlin ist eine unglaublich dreckige Stadt.

Slaughter of Apostrophes: Und das hört bei der Sprache ja nicht auf. Sprachmüll, wohin man guckt! Da muss man was tun!

Wie kommt man dazu, die Stadt zu korrigieren, Herr Slaughter of Apostrophes?

Slaughter of Apostrophes: Man fängt einfach an. Mein Bäcker wirbt auf einer Tafel neben der Tür immer für „Wochenend’s Angebote“. Irgendwann hab ich heimlich mal das Apostroph weggewischt. Das war meine Initiation. Jetzt steht es dort richtig.

Richtig?

Slaughter of Apostrophes: Na ja, etwas richtiger. Eigentlich müsste es ‚Wochenendangebote‚ heißen, zusammengeschrieben und ganz ohne „s“, aber da hat wohl jemand versucht, „weekend’s special“ ins Deutsche zu übertragen.

Bullshit Eliminator: Vielleicht könnte man ihnen das „s“ bei „Wochenends-Angebot“ noch als Fugen-s durchgehen lassen.

Oha, gleich eine der vertracktesten Eigentümlichkeiten des Deutschen.

Bullshit Eliminator: Wir wollen nicht päpstlicher sein als der Papst. Wir sind keine von diesen verrückten Sprachpflegern, die nach jedem Tippfehler in der Zeitung wutentbrannte Leserbriefe verfassen. Uns geht es um sprachliche Verwahrlosung.

Wo liegt da der Unterschied?

Slaughter of Apostrophes: Ein Tippfehler in der Zeitung ist ein Tippfehler. Viel lieber greifen wir im Stadtraum korrigierend ein. Wir haben immer Kreide dabei und machen uns zunutze, dass Kreidetafeln an Restaurants und Cafés gerade en vogue sind. So konnte ich etwa verhindern, dass in einem Kreuzberger Restaurant neulich „Mouse au Chocolat“ auf den Teller kam.

Wo liegt denn der Schwerpunkt ihrer Arbeit?

Slaughter of Apostrophes: Meistens entfernen wir Deppenapostrophen bei Genitiven und Pluralen. Man kann tatsächlich „rechts“ und „links“, „morgens“ und „abends“, „jedes“, „alles“ und „nichts“ mit Apostroph schreiben! „Stet’s frische Pizza“ und „Kleintierpraxi’s“ – haben wir alles schon korrigiert.

Bullshit Eliminator: Oder Korrekturen angemahnt. Dann liegt im Briefkasten eine Benachrichtigungskarte: „Ihr Apostroph ist falsch! Wir kommen wieder.“ Unterzeichnet: „LLL“. Die Drohung wirkt erstaunlich oft.

Aber Sie können auch anders?

Slaughter of Apostrophes: Genau. Wenn mal wieder „CD’s und DVD’s“ angepriesen werden, lassen wir die Schilder mitgehen und schicken sie anonym und korrigiert zurück.

Bullshit Eliminator: Oder wir arbeiten komplett im Verborgenen. Wenn der Blumenhändler im Frühjahr wieder „Nasitzen“ anpreist, dann malen wir das Schild täuschend echt nach und tauschen es heimlich aus. „Guerilla Correcting“ heißt die Bewegung in den USA.

Guerilla Correcting? Das klingt ja furchtbar.

Bullshit Eliminator: Wir sind doch keine deutschtümelnden Sprachvereinsmeier, wir haben nichts gegen Anglizismen, doch auch „News“ und „Basics“ schreibt man ohne Apostroph.

Und wenn das heimliche Korrigieren nicht hilft?

Bullshit Eliminator: In besonders schweren Fällen gehen wir weiter: Dann verfassen wir fingierte Bußgeldbescheide vom Landesamt für Orthografie und Wörterkunde, die Verletzungen des Ortografiegebots für Gebäudefassaden ahnden.

Slaughter of Apostrophes: Wir haben auch schon strafbewährte Unterlassungsaufforderungen von angeblichen Fachanwälten für Grammatik aufgrund von Verbrechen gegen die Sprache im öffentlichen Raum zugestellt. Doch wir korrigieren nur. Wir kämpfen gegen die Windmühlen orthografischer Einfalt.

Gab es bereits Verluste bei Ihnen?

Bullshit Eliminator: Ja, einer aus unserer Gruppe hatte es sich eines Tages zum Ziel gesetzt, die falsche Perspektive beim Brandenburger Tor auf den Antikratzfolien der Berliner U-Bahn-Scheiben zu korrigieren. Ein paar U-Bahnwagen hat er mit einem Stabilo bearbeitet. Dann ist er völlig abgedreht.

Was ist aus ihm geworden?

Slaughter of Apostrophes: Soweit wir wissen, ist er jetzt technischer Zeichner beim neuen Flughafen BER.

Ach, wegen dem also!

Bullshit Eliminator: Haben Sie gerade „wegen dem“ gesagt? Das Interview ist an dieser Stelle zu Ende.

Herr Bullshit Eliminator, Herr Slaughter of Apostrophes, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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