Ernährung

Das meistgenutzte Pestizid Glyphosat steht unter Krebsverdacht. Trotzdem soll es für weitere zehn Jahre in der EU zugelassen werden

Die Gefahr, die im Tampon lauert

RISIKO Argentinische Forscher haben Glyphosat in Baumwolle nachgewiesen. Und sind alarmiert

„Der Gebärmutterhals ist für Krebs besonders anfällig“

Medardo Ávila VÁzquez, Professor AN DER Universität Córdoba, Argentinien

BERLIN taz | Es begann mit einem Zufall. Eigentlich wollte die Forschergruppe Emisa (Multidisziplinärer Raum für ökologische Interaktion) von der argentinischen Univerität La Plata, mit Hilfe von sogenannten Gazen – das sind Baumwollgewe­be – den Glyphosatgehalt in der Luft messen. Doch es kam anders. Die Gazen, die als steril gelten, enthielten bereits Glyphosat. So, wie man sie aus dem Umschlag nahm. Die Forscher glaubten zuerst an einen Fehler, kamen aber bei wiederholten Versuchen zum selben Ergebnis.

Emisa durchforstete daraufhin Supermärkte und Apotheken nach Baumwollprodukten aller Marken. Wattestäbchen, Tampons, Binden, Wattepads, Pflaster, Verbandsmaterial. Bei der Untersuchung bestätigte sich ihr Verdacht: „85 Prozent der untersuchten Produkte waren Glyphosat-positiv“, berichtet Dr. Damián Marino, der Leiter des Forschungsprojekts gegenüber taz.

Die meisten Baumwollpflanzen in Argentinien sind genmodifiziert und werden sogar im Wachstum bei geöffneten Knospen mit großen Mengen Glyphosat besprüht. Professor Javier Souza Casadinho, Agrarwissenschaftler der Universität Buenos Aires, findet das Ergebnis daher nicht überraschend. „Natürlich haben wir das schon lange vermutet. Aber nun konnte Glyphosat erstmals wissenschaftlich in der Baumwolle nachgewiesen werden“, hebt er gegenüber der taz hervor.

Alarmierend ist der Befund für einige Forscher trotzdem. Während in Deutschland über die mutmaßlich krebserregende Wirkung des Glyphosats debattiert wird, besteht für viele argentinische Forscher längst kein Zweifel mehr darüber. Der Arzt und Professor Medardo Ávila Vázquez von der Universität Córdoba hat seit Jahren mit Missbildungen bei Neugeborenen zu tun, die vermehrt in den ländlichen Regionen Argenti­niens auftreten: Dort, wo Glyphosat von Flugzeugen über ganze Landstriche gesprüht wird. Die neue Studie der Emisa verfolgt der Arzt mit Besorgnis.

Es ist anzunehmen, dass auch deutsche Kosmetikprodukte betroffen sind: Die genmodifizierte Baumwolle wird hauptsächlich aus Indien importiert, wo sie ebenfalls literweise mit Glyphosat behandelt wird.

Das als industrienah geltende Bundesinstitut für Risikobewertung weiß um die neuen Erkenntnisse der Emisa und sieht dennoch keinen Grund zur Aufregung. Die Menge Glyphosat, die in der Baumwolle gefunden wurde, sei weit unter der gesundheitsgefährdenden Dosis. Das stimmt, wenn man davon ausgeht, dass Glyphosat nicht krebserregend ist. Andernfalls – wie etwa die Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO vermutet – stellt sich die Frage nach der Dosis gar nicht erst. Nach deutschem Recht muss ein krebserregender Stoff in jeglicher Menge verboten werden.

Die Veterinärmedizinerin und Professorin Monika Krüger der Universität Leipzig vermutet zudem, dass Glyphosat in Kosmetikprodukten unter bestimmten Bedingungen vom Körper aufgenommen werde. Die Haut sei zwar meist eine Barriere für das Glyphosat. „Wundmaterial, Tupfer und Tampons haben aber sicher eine andere Wirkung, da Wunden und Schleimhaut damit konfrontiert werden“, so Krüger. Es gäbe dazu allerdings noch keine Untersuchungen, auf die man sich stützen könne.

Ávila Vázquez rät angesichts dieser Unklarheiten von jeglicher Benutzung der Baumwollprodukte ab. „Innerhalb des Körpers ist eine höhere Temperatur und mehr Feuchtigkeit. Der Gebärmutterhals, dem die Tampons sehr nahe kommen, ist für Krebs besonders anfällig“, erläutert er. Lea Fauth