Wer mit Behinderten Menschen auf Reisen geht, wird ständig angestarrt
: Wie Hochleistungssport

Down Cigdem Akyol

Wer mit einem Behinderten lebt, muss sich daran gewöhnen, angeglotzt zu werden. Aus mir nie verständlichen Gründen schauen die Leute einen unverhohlen an, manche bleiben sogar stehen. Besonders anstrengend wird es, wenn man auf Reisen geht.

Deniz kann eigentlich allein fliegen. Weil er sich aber gelegentlich doch fürchtet, hole ich ihn oft ab, und wir fliegen gemeinsam zu unserem Ziel. So war es auch Silvester 2013, als wir in Süddeutschland mit Freunden das neue Jahr begrüßen wollten. Ich las ihn in Herne auf, wir fuhren zum Düsseldorfer Flughafen und stellten uns artig in die Reihe zum Einchecken.

Weil Deniz schwerhörig ist, deswegen laut spricht und ohnehin Schwierigkeiten mit der Artikulation hat, kenne ich die Blicke schon. Viele der Menschen um uns herum schauten uns neugierig an, manche lächelten freundlich, andere glotzten regelrecht. Für mich sind solche Aktionen so erschöpfend wie Hochleistungssport. Die Sache wurde nicht cooler, indem man uns mit dem einzig anderen sichtlich Gehandicapten in eine Reihe setzte. So saßen links von mir mein Bruder und rechts von mir ein Blinder. Alle, wirklich alle, die an uns vorbeiliefen, schauten uns an.

Silvester feierten wir in einem schicken Restaurant in Regensburg. Der Laden war voll, Deniz war der einzige Gast mit einer geistigen Behinderung. In solchen Momenten will ich ihn abschirmen – also vor diesen blöden Blicken. Er soll nicht merken, dass er „anders“ ist, denn es macht ihn traurig. Wenn ich penetrante Glotzer ausfindig mache, spreche ich sie an. Deniz sage ich immer, ich hätte sie nach der Uhrzeit gefragt. Immer wenn er an diesem Abend auf die Toilette ging, sah ich, wie einige Gäste ihm hinterherstarrten. Es macht mich wütend.

Der Kracher erwartete uns aber beim Rückflug. Deniz musste allein nach Düsseldorf, ich nach Istanbul. Eigentlich kein Problem, wenn man Deniz’ Kommen schon vorher ankündigt hat. Er wird dann immer vom Flughafenpersonal abgeholt und in den Flieger gebracht. Noch nie gab es Schwierigkeiten. Doch diesmal bestand die Frau am Schalter darauf, meinen körperlich fitten Bruder in einem Rollstuhl zum Flieger bringen zu lassen. „Was?“ fragte ich sie sichtlich erregt. „Warum machen Sie einen Behinderten noch behinderter, als er es ohnehin schon ist? Es starren ihn doch sowieso schon alle an!“

Es war ihr unangenehm, sie wusste sich nicht zu helfen. „Hören Sie, ich setze ihn auch in den Flieger“, bot ich ihr an. „Aber ich lasse nicht zu, dass mein Bruder noch kränker dargestellt wird, als er es ohnehin schon ist! Es ist schwierig genug für ihn, die Glotzerei der anderen auszuhalten.“ Damit war jegliche Diskussion von meiner Seite aus beendet. Deniz hatte von der Diskussion nichts mitbekommen, da ich ihn in sicherer Ferne platziert hatte.

Letztlich durfte Deniz in den Flieger laufen. Wie jeder andere körperlich gesunde Mensch auch. Zurück blieb die Gewissheit, dass ich ihn schützen muss – immer und immer wieder. Von der Mehrheitsgesellschaft erwarte ich schon lange kein Verständnis mehr.

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