Die Wahrheit: Versteinerte Weichheit

Dass die Sachsen nie vollständig unterworfen oder gar zivilisiert wurden, rächt sich nun bitterlich. Tribalismuskunde tut not.

Illustration: Anna Haifisch

Mit Verwunderung blickt ganz Deutschland auf einen kleinen Flecken am Rande der Republik: Sachsen. Ein Bundesland, das bislang nur für eine sympathische Sprachbehinderung seiner Einwohner und den Schnauzbart von Wolfgang Stumph bekannt war. Das abgelegene Ländchen steht nun plötzlich mitten im Licht jener brennenden Flüchtlingsheime, die allnächtlich von jungen Sachsen angezündet werden. Tagsüber melden sich derweil besorgte Sachsen mit kritischen Anmerkungen zur Migrationspolitik wie „Mistvieh!“, „Hure!“ oder „Fotze!“ zu Wort. Was ist bloß los im Freistaat?

Erstaunt und erschrocken müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass sich mitten in Deutschland schleichend eine Parallelgesellschaft gebildet hat. Unter unseren Augen und doch unbemerkt ist sie entstanden. Die sächsische Parallelgesellschaft hat inzwischen eigene Gesetze: Grundrechte wie die Demonstrationsfreiheit gelten nicht mehr. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist mitnichten überall sicher. In viele national befreite Zonen traut sich die deutsche Polizei schon nicht mehr hinein. Stattdessen patrouilliert dort der Heimatschutz, eine Art Schariapolizei, deren Heilige Schrift jedoch von einem Propheten aus Braunau am Inn verfasst wurde.

Dieser Bürgerwehr gelten demokratische Werte und die christliche Kultur nichts mehr. Gegrüßt wird mit erhobener Rechter, gebetet wird zu Wotan und Thilo Sarrazin. Selbst grundlegende Errungenschaften der Zivilisation, so etwa die Rechtschreibung und die Grammatik, scheinen in der sächsischen Parallelgesellschaft vergessen. Es ist nicht verwunderlich, dass erste Stimmen einen Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik fordern.

Einigen Einheimischen wäre eine solche Sezession auch ganz recht. Nach dem Vorbild des Islamischen Staates (IS) könnten sie sich dann unbeschwert an die Errichtung eines Sächsischen Staates (SS) machen. Einigen Sachsen juckt es erkennbar schon in den Fingern, Relikte einer überwundenen Fremdkultur wie Parlamente und Zeitungsredaktionen endlich in die Luft jagen zu können.

Blick zurück

Will man das Rätsel Sachsen lösen, muss man in die Geschichte schauen. Denn auch die Sachsen selbst richten ihren Blick am liebsten zurück in die gute alte Zeit. Es war im Mittelalter, als sich am Fuße des Erzgebirges und im Tal der Elbe Germanen und Slawen zur fröhlichen und friedlichen Völkervereinigung trafen. So entstanden die Sachsen, die ihren multikulturellen Ursprung leider über die Jahrhunderte ein wenig verdrängt haben. Da wir schon einmal bei der Völkerpsychologie sind, wollen wir auch sogleich den Charakter des Sachsen an und für sich bestimmen: Er zeichnet sich durch eine etwas süßliche Weichheit aus.

Die Eierschecke, eine für Fremde ungenießbare sächsische Kuchenspezialität, kann als Symbol dieser Eigenart dienen. Auch beim Sprechen seines Dialekts kaut der Sachse grundsätzlich alle Gonsonanden weich. Die Sachsen, sie lieben es gemütlich, sie schlemmen und feiern gern, sie schätzen das Schöne. Kampf und Arbeit sind ihnen lästige Pflicht, darum sind sie auch friedvoll und umgänglich – zumindest für gewöhnlich.

Als Häuptlinge wählte sich der Stamm der Sachsen auch eher gemütliche Herrscher. Die verloren zwar alle ihre Kriege, bewiesen aber Sinn für Schönheit und Lebensart, indem sie Künstler und Huren üppig mit Aufträgen versorgten. So wuchs Sachsens Glanz, während Preußen das Gloria eroberte. Der berühmteste der sächsischen Herrscher ward August der Starke genannt, denn er konnte Hufeisen mit den bloßen Händen verbiegen und Keuschheitsgürtel mit den bloßen Zähnen aufbeißen.

Starker August

Ungefähr eine halbe Million Kinder mit mehreren Frauen soll August der Starke gezeugt haben – die männlichen Sachsen lieben ihn noch heute für diese Leistung. Sie selbst kommen über anderthalb Kinder mit einer Partnerin nicht mehr hinaus, was umso unverständlicher ist, als sächsische Frauen völlig zu Recht als attraktive Geschöpfe gelten.

Spaziert man an einem sonnigen Sonntag durch Dresden, sieht man die Sachsen friedvoll und gelassen am Strand der Elbe lagern. Kaum glaublich scheint es bei diesem Anblick, dass am folgenden Tag einige eben dieser Sachsen zornentbrannt aufmarschieren, einem Lügner und Banditen zujubeln und gegen „Volksfahrräder“ anbrüllen werden. Doch es ist so.

Hier wird die Schattenseite des sächsischen Charakters sichtbar: Weichheit versteinert zu unnachgiebiger Härte, übermäßige Süße verdirbt zu Bitternis. Die vielen politischen und militärischen Niederlagen haben den Sachsen nämlich trotz kultureller Blüte auch einen Minderwertigkeitskomplex in die Seele gepflanzt und ein Misstrauen gegen alle Invasoren.

Man lache nicht über solch historische Erklärung: Die Preußen mögen den Siebenjährigen Krieg und den Wiener Kongress längst vergessen haben, die Sachsen aber haben weder vergessen noch vergeben! Erst recht nicht die ständige Bevorzugung Ost-Berlins zu Zeiten der DDR! So fürchtet der Sachse auch heute noch beständig, wieder einmal von Fremden verarscht oder bestohlen zu werden.

Dynastie der Bachmänner

Wie passt dies aber damit zusammen, dass Sachsen so viele Fremde als Touristen recht gern begrüßt? Leider recht einfach: Viele Sachsen haben es sich angewöhnt, jene Fremden, denen man Geld aus der Tasche ziehen kann, freundlich willkommen zu heißen, jene Fremden aber, die Hilfe brauchen, verärgert von sich zu weisen.

Nach ihrer Nützlichkeit beurteilte schon der anonyme Autor des Buches „Dresden, wie es ist, und wie es seyn sollte“ im Jahre 1800 die Menschen: „Es ist ganz natürlich, daß es an Fremden in einer Residenz, besonders in Dresden, wo so viele Merkwürdigkeiten zu sehen sind, nicht fehlen kann. Aber gerade diese Klasse bringt der Stadt eher Nachtheil als Vortheil.“ Auch noch andere Fremde störten ihn: „Juden werden von Tage zu Tage mehr, und auf allen Straßen wird man von solchen Leuten angefallen.“

Ob dieser anonyme Autor die Dynastie der Bachmänner begründete? Touristen werden heute von den Sachsen im Allgemeinen zwar etwas günstiger beurteilt. Wer aber einmal in einem der teuren und recht geschmacklosen Restaurants in der Dresdner Altstadt gespeist hat, dem wird vielleicht aufgefallen sein, wie sich unter der übersüßen Freundlichkeit der unterbezahlten Kellnerin nur mühevoll eine bittere Aggressivität verbarg.

Sachsen werden gebraucht

Was sollen die Sachsen nun machen, da ihr Ruf vorerst ruiniert ist? Bleibt ihnen vielleicht nur die Auswanderung, die Flucht nach Russland unter den Schutz Wladimir Putins? Erst einmal kann Entwarnung gegeben werden: Die Sachsen werden auch in Deutschland weiter gebraucht. Und zwar von jenen hässlichen Deutschen, die sich gleich ein wenig hübscher vorkommen, wenn sie mit dem Finger auf hässliche Sachsen zeigen.

Nicht nur Ausländer kann man abschieben, sondern auch den Rassismus. Wer sich einen guten Anwalt leisten, wer beim Abgeordneten seines Vertrauens anklingeln kann, um ein Flüchtlingsheim zu verhindern, der muss es natürlich nicht anzünden. Und kann ganz befreit auflachen über alle Untermenschen, sächsische und nichtsächsische.

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