Kirche mit Guckloch

KIRCHTURM-TOUR Radler können Ostfrieslands sehr spezielle Kirchen entdecken – samt „Leprafenster“

Kirchen in Ostfriesland sind speziell. Meistens wurden sie auf künstlichen Anhöhen, sogenannten Warften, mit einem freistehenden Glockenturm gebaut. Ohne wäre der Untergrund hier zu weich. Die Gotteshäuser hätten sonst den Erschütterungen der Glocken nachgegeben und nie die Jahrhunderte überstanden. Speziell sind auch die schmalen „Schiel“- oder „Leprafenster“, die immer auf der Südseite in die Gemäuer gehauen sind. Durch diese Durchbrüche in Kopfhöhe durften die Ausgestoßenen der Gemeinde den Gottesdienst verfolgen.

In Ostfriesland sind diese Kirchen vielerorts kultureller Höhepunkt, etwa in der Krummhörn. Die Gemeinde im äußersten Nordwesten Ostfrieslands ist knapp 160 Quadratkilometer klein und besteht aus 19 Dörfern, von denen das bekannteste das etwas verkitschte, pittoreske Fischer- und Touristendorf Greetsiel und der größte Ort die Kleinstadt Pewsum ist. Fast jedes Dorf hat eine Kirche, einige sogar zwei. Viele der Backsteinschiffe stammen aus dem 13. Jahrhundert, ihre Vorläufer sind noch älter.

63 Kilometer Strecke

Bei der Krummhörner Kirch-turm-Tour stehen sie für Besucher offen. Am 12. September findet die Fahrradtour zum dritten Mal statt. Start- und Zielpunkt ist Jennelt, los geht es zwischen 8 und 10 Uhr. Gefahren wird nicht im großen Pulk, sondern in kleinen Gruppen. Führungen und ein Begleitprogramm gibt es an jeder Kirchengemeinde.

Abends treffen sich die Radler wieder in Jennelt – zu Livemusik und zum Austausch der Erlebnisse. Ganz Eifrige fahren an diesem Tag auf 63 Kilometern alle Stationen ab. Teilstrecken sind aber auch möglich. Die Tour kostet für Einzelstarter fünf Euro und für Familien zehn Euro.

Die Krummhörn beheimatet 23 Kirchengemeinden, evangelisch-lutherische natürlich, aber auch fast exotische wie die alt-reformierte im Dörfchen Campen. Unauffällig am Ortsrand zwischen länglichen alten Landarbeiterhäuschen, deren drei Schornsteine Zeugnis dafür ablegen, dass dort einst Platz für drei Familien gewesen sein muss. Wer vorbeikommt, kann sich vom Küster die karge, im neugotischen Stil 1905 erbaute Kirche, deren Schmuck im Wesentlichen aus einer alten niederländischen Bibel besteht, zeigen lassen. Ist der Campener Küster nicht da, macht vielleicht die 86-jährige Nachbarin Anni Folkerts auf. „Hier hab ich geheiratet – und das ist 56 Jahre her“, sagt sie. Kirche hat immer eine Rolle gespielt in ihrem Leben. 40 Jahre sang sie im Kirchenchor. „Singen kann ich auch noch, aber mit dem Stehen hapert es“, sagt sie.

Gut gefülltes Gotteshaus

Zu den Gottesdiensten der altreformierten Kirche reisen die Menschen zum Teil bis zu 60 Kilometer an. Viele der Gemeindemitglieder sind hier lebende Niederländer. „Das ist eine der wenigen Kirchen, die noch gut besucht sind“, sagt Helmut Schönfelder, ehemaliger Lehrer, Kirchenmusiker und Nachbar.

Der 75-Jährige hat im Ruhrgebiet gelebt, im Wendland, und seine zerfledderte Anti-AKW-Fahne war schon bei Demos in Berlin. „Man muss es schon lieben“, sagt er über das Leben hier. „Aber ich wollte unbedingt hier hin.“ Er liebt die Einsamkeit bei schlechtem Wetter: „Dann triffst du keinen Menschen auf dem Deich und kannst dir richtig den Kopf durchpusten lassen.“

Campen hat keine 500 Einwohner, aber gleich zwei Kirchen. Und es ist eher die evangelisch-reformierte, die zu den Sehenswürdigkeiten zählt. Ein für diese Gegend typisches Backsteingebäude, errichtet um das Jahr 1300. Ein mächtiges Gebäude, erreichbar über schmale Wege, mit immens lauten, 1295 hergestellten Glocken im nebenstehenden Türmchen. Nur anders als bei den benachbarten Altreformierten besuchen heutzutage nur ein, zwei Dutzend die Gottesdienste. „Schade ist das, richtig schade für diese tolle Kirche“, sagt Schönfelder.

Aus Backsteinen wie bei der alten Kirche in Campen sind die meisten in dieser Gegend errichtet. Im morastigen Ostfriesland lösten sie ab dem 13. Jahrhundert die Holzkirchen ab, obwohl das Material in dieser Gegend nicht vorkam. Die Steine schafften sie über die vielen Wasserstraßen hierher. Granit und Backstein überwiegen.

Die Kirchen stehen nah zusammen: eine in Upleward, die nächste einen Kilometer weiter in Hamswehrum, dann eine in Groothusen. Und bis Pewsum sind es auch nur noch rund zwei Kilometer. Aber dafür stehen dort dann auch wieder zwei – eine lutherische und eine katholische Kapelle. In dieser Gegend eine Seltenheit. Ole Rosenbohm