Wagenleben wagen: Rollheimer in sieben Schritten

Auf der Wagenburg Lohmühle genießen vor allem mittellose Künstler und Freiberufler das Freiluftleben. Doch wie wird man eigentlich Wagenbewohner?

Berlin, Du hast es besser: Demo gegen die Räumung der Hamburger Wagenburg Bambule Bild: AP

Zur Langen Nacht der Museen eröffnet das Kreuzbergmuseum am Samstag die Ausstellung "Wagenburgen leben in Berlin". Ziel der Schau ist es, die Bewohner in ihren Lebenszusammenhängen vorzustellen und Barrieren zwischen den Rollheimern und ihren Nachbarn abzubauen. Präsentiert werden Fotos, Videos, Interviews, Kunstwerke und Alltagsgegenstände aus den Wagenburgen. Die Ausstellung wurde von Bewohnern des Wagenplatzes X-Dorf, der Gesellschaft für interregionalen Kulturaustausch und dem Museum vorbereitet und läuft bis zum 16. November. TIL

Infos: www.wagenburg.org

Leben im Bauwagen ist ein astreines Abenteuer, das weiß jedes Kind durch Peter Lustigs Sendung "Löwenzahn": Ein Wagenburgler trifft seine Freunde bereits zum Frühstückskaffee, der eigene Paradiesgarten beginnt direkt neben dem Kopfkissen und die Sonn scheint für ihn ohn Unterlass. Ein Spießer, wer nicht in Versuchung kommt, das Wagenleben zu wagen. Doch wie wird man zum Rollheimer?

Ortstermin auf dem Treptower Wagenplatz Lohmühle, auf dem ehemaligen Grenzstreifen am Landwehrkanal. Fremde werden am Eingang stilsicher begrüßt: Die Devise der Hunde heißt offenbar "bellen, aber nicht beißen". Ein wenig weiter flext eine junge Frau am Fahrgestell eines Wagens. Ein blonder Mann mit fränkischem Akzent weist den Weg zu Zoschs blauem Wagen. Der steht kurz vor einem kleinen Apfelbaum. Zosch ist ein hochgewachsener Endvierziger mit Batikhemd, Armeehose und Schnürstiefeln. Seine Mitbewohner nennen ihn den "heimlichen Bürgermeister". Auf zwei oder drei selbst gedrehte Zigaretten bittet er den Besucher zu sich herein und erklärt die Geheimnisse des Lebens auf Rädern.

1. Wagen auschecken

"Einen alten Wagen kriegst du ohne Probleme schon für 200 Euro, du musst nur die Baufirmen abtelefonieren", sagt Zosch. Jeder Wagenburgler träume allerdings von einem ausgebauten Zirkuswagen aus Holz mit Oberlichtern im Dach. Angebote gebe es auf einschlägigen Seiten im Internet. "Da musst du aber schon 3.000 bis 5.000 Euro hinlegen." Eine dritte Möglichkeit sei es, einen schrottreifen Bauwagen abzureißen und vom Fahrgestell aufwärts neu aufzubauen. Am silbernen Fahrgestell in der Nähe des Eingangs tobe sich zum Beispiel eine junge Architektin aus, die in ihrem Wagenaufbau komplett auf rechte Winkel verzichten möchte. "Wichtig beim Neubau ist eine gute Isolierung. Doch der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, einige haben sogar eine ofenbetriebene Fußbodenheizung."

Zosch, der seit der Besetzung der Lohmühle vor 16 Jahren hier wohnt, legt nicht so viel Wert auf Wohnkomfort. Sein Wagen war eine Duschkabine für Bauarbeiter in der DDR. Die schlichte Einrichtung besteht aus Bett, Ofen, Regal, einem Tisch mit Gaskocher und einem alten Sofa.

2. Stellplatz suchen

Der Besitz eines vierrädrigen Heims ist nur die halbe Miete. "Einen Stellplatz zu bekommen ist in Berlin ein Problem", weiß Zosch. Der Lohmühlenplatz sei mit den Bauwagen von 18 Erwachsenen und zwei Kindern komplett ausgefüllt. Auf knappen Dutzend anderen innerstädtischen Wagenburgen sehe die Situation nicht besser aus. "Auf der Lohmühle stehen zehn Interessenten auf der Warteliste."

Nur selten werden Plätze frei. Vor drei Jahren habe ein großer Bewohnerwechsel stattgefunden. "Da ist ein Großteil der Gründungsgeneration weggezogen." Die Gründe kann er gut nachvollziehen. Mit der Zeit stoße man auf dem Platz, der mit seinem unkommerziellen Kulturprogramm viel Engagement erfordert, an seine Grenzen. Im Sommer veranstalten die Rollheimer freitags Freiluftkino, samstags werden Jazzkonzerte angeboten, jeden Sonntag laden sie ihre Nachbarschaft zu günstigem Kaffee und Kuchen ein. Alle Veranstaltungen sind kostenlos.

3. Plenum begeistern

Wer auf Rädern leben will, braucht Zeit und eine soziale Ader. Auch wenn die Warteliste lang ist, beschäftigen sich die Lohmüller gerne mit Einzugskandidaten. Jeden Montag haben Interessenten die Chance, sich auf ihrem Plenum vorzustellen. Das Motto lautet offenbar "Reden schadet nicht". Ist mal ein Platz frei, wird über die Kandidaten basisdemokratisch entschieden. Das Wagenleben zieht ganz bestimmte Leute an: Die meisten Bewohner sind um die 30, arbeiten als Künstler oder freischaffend und haben wenig Geld, aber viel Freizeit.

4. Engagement zeigen

"Die Lohmühle hat den Ruf, ein arbeitsintensives Kulturprojekt zu sein", sagt Zosch. Bewerber hätten schon oft in anderen alternativen Projekten mitgearbeitet und wüssten, allein zum Wohnen sei der Platz nichts. "Es muss klar sein, dass das Wagendorf und die Kulturarbeit einen wichtigen Platz im Leben spielen sollen." Seit 2005 wird die Kultur auf dem Platz auch vom zuständigen Bezirksamt Treptow-Köpenick gewürdigt. Damals handelte der Trägerverein Kulturbanausen mit dem Bezirk einen Vertrag aus, wonach die Rollheimer das Grundstück billig pachten können, wenn sie dafür kostenloses Kulturprogramm anbieten. "Der Verein ist ein Glücksfall, weil wir so in engen Kontakt mit unserer Nachbarschaft gekommen sind", sagt Zosch. Als der Bezirk vor einigen Jahren den Wagenplatz dichtmachen wollte, hätte sie der Protest von Senioren aus den umliegenden Mietskasernen gerettet. "Die kannten uns von den Jazzkonzerten."

5. Auf Luxus verzichten

Das teure Abo für ein Fitnessstudio können sich Wagenbewohner sparen: Brennholz und Trinkwasser müssen in schweißtreibender Handarbeit herangebracht werden. Wasser ist daher streng rationiert. "Wir waschen und baden bei Freunden in der Nachbarschaft", erklärt Zosch. Auch der Stromkonsum sei etwas kompliziert, weil nur so viel Geräte ans Netz können, wie die eigene Solaranlage hergibt. Weil die Wagenwände dünn sind, höre man zudem die meisten Geräusche aus den Nachbarwagen.

6. Jubelnd umziehen

Wer sich trotz der Mühsal für das Wagenleben entscheidet und einen Platz auf der Lohmühle bekommt, hat allen Grund zum Jubeln: Die Fixkosten von maximal 100 Euro pro Monat für Pacht, Abpumpen des Toilettentanks und Vereinsbeitrag könnten sich selbst klamme taz-Redakteure leisten. Außerdem haben die Bewohner aus dem ehemaligen Todesstreifen eine grüne Oase mit parkähnlichen Wegen und exotischer Pflanzenvielfalt gemacht.

7. Probezeit überstehen

Richtig anzukommen auf dem Platz ist allerdings gar nicht so einfach, weiß Zosch. Sein Tipp lautet: "Auf keinen Fall verkrampfen. Jeder hier weiß, dass man erst einmal hereinfinden muss in die Wagenkultur." Deshalb hat jeder Neuling eine Probezeit von sechs Monaten zu überstehen, in denen geschaut wird, ob die Chemie stimmt. "In fast allen Fällen werden die Neuen richtig aufgenommen."

Für Zosch ist der Platz eine große Schule in Sozialkompetenz. "Bei 18 Leuten gibt es immer welche, die einem nicht so nahe stehen. Aber an der Auseinandersetzung kommt hier keiner vorbei." Das sei manchmal mühsam. Trotzdem will Zosch auf dem Platz bleiben. Denn die Rückkehr ins bürgerliche Leben würde ihm schwerfallen: "Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder in einer Wohnung leben könnte."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.