Autor Salman Rushdie: Lob der Kritik

Vor genau 20 Jahren verhängte der iranische Revolutionsführer Chomeini die Fatwa über Salman Rushdie. Von seiner aufgeklärten Weltanschauung ist der Autor der "Satanischen Verse" nicht abgerückt.

Studentenprotest in Pakistan gegen den Ritterschlag Rushdies. Bild: dpa

Als Ajatollah Ruhollah Chomeini am 14. Februar 1989 seine Fatwa über Salman Rushdie verhängte, setzte er in England Ereignisse in Bewegung, die das iranische Todesurteil an Dramatik noch übertrafen. Die Einwanderer vom indischen Subkontinent, für die sich Rushdie mit seinem literarischen und gesellschaftlichen Engagement eingesetzt hatte, verbrannten jetzt in den Straßen von London und Birmingham seine Bücher und forderten wutentbrannt seinen Kopf. Die Frau aber, die Rushdie in seinen Artikeln und Essays über Jahre auf das schärfste kritisiert hatte, hielt nun schützend ihre Hand über ihn. Der in Bombay geborene Rushdie hatte seit 1964 einen britischen Pass, und Margaret Thatcher, die britische Premierministerin erklärte, dass der britische Staat gewaltsame Übergriffe auf seine Bürger nicht dulden würde. Wie sehr die Eiserne Lady damals von linken Künstlern und Intellektuellen gehasst wurde, mag man sich heute kaum mehr vorstellen. Doch in diesem Testfall verteidigte sie die Prinzipien der Kunstfreiheit und der freien Rede. Rushdie, der sich bis dahin als linkskritischer Intellektueller verstanden hatte, als Antagonist gegenüber Staat und Regierung, verlor durch die Fatwa nicht nur sein Leben in Freiheit, sondern auch seine politische Heimat.

Begleitet von der Häme ehemaliger Weggefährten und mit dem Schutz des alten Gegners, verkörpert durch den britischen Geheimdienst, ging also Rushdie für zehn Jahre in den Untergrund. Er schlief in Wohnungen ohne Fenster und wechselte mehrmals in der Woche das Domizil. Oft wachte er auf und wusste nicht einmal, in welcher Stadt er sich befand. Mittlerweile lebt Rushdie in New York. Ganz ohne Personenschutz kommt er zwar nicht aus, aber die Drohungen, die regelmäßig zum Jahrestag der Fatwa bei ihm eingehen, seien nicht mehr als "eine Art islamistischer Valentinsgruß", so Rushdie.

Damals aber, vor zwanzig Jahren, löste Rushdies vierter Roman eine globale Krise aus und demonstrierte so auf dramatische Art und Weise die Macht der Literatur. Bei gewaltsamen Protesten kam es zu hunderten von Toten, auf mehrere Buchhandlungen, die den Roman im Sortiment führten, wurden Bombenanschläge verübt. Der japanische und türkische Übersetzer des Buchs wurden im Zuge der Fatwa ermordet.

Dass es sich bei den "Satanischen Versen" um einen der großen Romane des 20. Jahrhunderts handelt, wurde von den tragischen Ereignissen überschattet. Rushdies vierter Roman war bereits mit dem Whitbread Award für die Best Novel of the Year ausgezeichnet worden - jede weitere literarische Würdigung hätte für alle beteiligten Personen jedoch die Bedrohung von Leib und Leben bedeutet. Nicht zuletzt aus diesem Grund geriet die literarische Bedeutung dieses komplexen Kunstwerks zu Unrecht in Vergessenheit.

In Deutschland gab es noch nicht mal einen Verlag, der es wagte, den Roman zu publizieren. Aus diesem Grund ereignete sich etwas in der deutschen Verlagsgeschichte Einmaliges: Ein Zusammenschluss verschiedener Herausgeber gründete den Verlag Artikel 19 - mit dem einzigen Zweck der Publikation der "Satanischen Verse". Der Name bezog sich auf den Artikel, der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Grundrecht auf Meinungsfreiheit garantiert. Das Konsortium bestand aus Literaten und Politikern wie Hans-Magnus Enzensberger, Günter Grass und Gerhard Schröder, auch Institutionen wie die Heinrich-Böll-Stiftung waren beteiligt. Bei den großen Zeitungen unterbreitete Arno Widmann von der taz den Vorschlag, dass die überregionalen Blätter zusammen in einer konzertierten Aktion alle am selben Tag das erste Kapitel des Romans abdruckten sollten, um so die Meinungsfreiheit auf breiter Front zu verteidigen. Als die taz dann tatsächlich mit den "Satanische Versen" auf Seite eins aufmachte, stand sie allerdings allein auf weiter Flur. Einige der anderen Zeitungen, allen voran die Zeit, brachten urheberrechtliche Gründe vor, wieder andere verwiesen auf die Verantwortung für ihr Personal. Möglicherweise war man bei der taz auch einfach durch die relative Nähe zur aktivistischen Protestkultur eher bereit, in einer derartig unberechenbaren Situation offensiv zu agieren, als bei den bürgerlich verwurzelten, konservativeren Blättern.

Der iranische Staatschef Ajatollah Chomeini hatte das "Todesurteil" jedenfalls nicht allein aus religiösen oder machtpolitischen Gründen erlassen, sondern möglicherweise auch aus persönlicher Rache. Schließlich war das wenig schmeichelhafte Porträt des im Westen exilierten Imams im Roman unmissverständlich dem iranischen Revolutionsführer gewidmet - und Chomeini kannte das Buch; ein Anhänger aus seinem geistlichen Umfeld hatte es für den Revolutionsführer ins Persische übertragen.

Rushdie hatte bei den Vorbereitungen zu seinem Roman Chomeinis Abhandlung über "Die Natur des Wassers" gelesen und den darin enthaltenen Begriff von der "Reinheit" als Gegenentwurf zu seiner eigenen Vorstellung einer pluralen, offenen Gesellschaft ausgemacht. Anstatt nun aber ein grotesk überzeichnetes Abbild eines religiösen Fanatikers zu zeichnen, entschloss sich Rushdie, mit einem psychologisch nüchternen Porträt die Brutalität von Chomeinis Weltbild zu demaskieren - glaubwürdiger und nachhaltiger, als je eine Karikatur dazu imstande gewesen wäre.

Der eigentliche Stein des Anstoßes des Romans bezog sich indessen auf die negative Darstellung des Propheten und seiner Gefolgschaft. Rushdie ging es mit den "Satanischen Versen" aber nicht um Provokation. Er wollte vielmehr zeigen, wie sehr jeglicher Anspruch auf religiöse Wahrheiten an das Irdische, menschlich Beschränkte gekettet ist - und ein absoluter Wahrheitsanspruch zwangsläufig zu Grausamkeiten gegenüber Andersdenkenden führen muss. Der dem Magischen Realismus verpflichtete Roman, der in seiner übergeordneten Erzählebene im multikulturellen London der Gegenwart angesiedelt ist, erkundet in wiederkehrenden Traumsequenzen des Schauspielers Gibreel Farishta die Entstehung des Islams. Mohammed, in den "Versen" Mahound genannt, wird darin als Machtmensch beschrieben, der es versteht: "Wie praktisch, ein Prophet zu sein", heißt es an einer Stelle.

Rushdies "Satanische Verse" sind in diesem Sinne ein Plädoyer für den Zweifel als kulturelle Errungenschaft, für den Skeptizismus als Mittel der Erkenntnis und als Prophylaxe gegen jede Form von Fundamentalismus. Im Grunde ist Rushdies Roman ein klassisches Stück humanistischer Aufklärungsliteratur - Ratio gegen Mythos, Verstand gegen Glauben. Der Furor, der die Publikation des Buchs begleitet hat, sowie der Proteststurm, den die Verleihung der Ritterwürde an Salman Rushdie vor rund zwei Jahren entfacht hatte, zeigt, dass ein großer Teil der islamischen Welt bereit ist, ihre tief empfundene Verbindung zu ihren religiösen Traditionen auch mit Gewalt zu verteidigen. Ein Grund mag darin liegen, dass, wie Bernard Lewis es einmal ausgedrückt hat, keine Religion ihren Anhängern so sehr ein Gefühl von Stolz und Würde vermittele wie der Islam.

Rushdie hat sich jedenfalls auch nach der Fatwa immer wieder für das Recht eingesetzt, Kritik auch gegenüber religiösen Dogmen zu üben. So setzte er sich vor zwei Jahren auch gegen ein britisches Gesetz ein, das in seiner ursprünglichen Fassung religiösen Gefühlen ein so hohen Stellenwert einräume, dass er einen empfindlichen Rückschritt für das kritische Denken per se darstelle, erklärte Rushdie. Bei einer Lesung in der schwedischen Akademie in Stockholm erklärte er Ende vergangenen Jahres: "Früher hieß Respekt, dass ich dich ernst nehme, auch wenn ich nicht deiner Meinung bin. Wenn ich heute eine Meinung nicht teile oder mich gegen sie einsetze, wird mir vorgeworfen, ich verweigere dem anderen Respekt. Wer so argumentiert, will das freie Wort verbieten."

Anders als viele Islamkritiker, die den Islam im Namen der Freiheit und der Menschenrechte als Ganzes ablehnen und am liebsten verbieten würden, warnte Rushdie immer vor der Gleichsetzung von gläubigen Muslimen und radikalen Islamisten. Auf die Frage, ob die Gewaltbereitschaft im Islam nicht im Wesen der Religion selbst begründet ist, erklärt er, der Koran enthalte nicht mehr und nicht weniger Aufrufe zur religiös begründeten Gewalt als die heiligen Schriften anderer Religionen. Regelmäßig kritisiert der in Bombay geborene Brite die Gewalt, mit der das indische Militär das muslimische Kaschmir drangsaliert. Und wenn V. S. Naipaul öffentlich erklärt, dass die muslimische Invasion im 11. Jahrhundert die indische Kultur zerstört habe, meldet sich Rushdie zu Wort und erteilt dem Nobelpreisträger eine Lektion, die sich gewaschen hat.

Das ist eigentlich das Erstaunlichste an der ganzen Rushdie-Affäre: Dass der Autor der "Satanischen Verse" den traumatischen Ereignissen zum Trotz seinen Intellekt nicht von niederen Motiven hat lenken lassen und sich die Unabhängigkeit seines Urteils bewahrt hat. Aus diesem Grund ist Salman Rushdie das geblieben, was er vor der Fatwa war: ein freier Mann.

Ob die Fatwa und ihre Folgen Rushdies Kreativität beeinflusst haben, ist indessen schwer zu beurteilen. Tatsache ist, dass der weltgewandte, schlagfertige, überaus witzige Mann, der auch die Geselligkeit liebt und niveauvollen Party-Smalltalk durchaus zu schätzen weiß, seine Brillanz in letzter Zeit eher in seinen Aufsätzen und Interviews offenbart als in seinen Romanen.

Zwar konnte er mit "Der Mauren letzter Seufzer" von 1995 quasi aus dem Untergrund einen weltsatten und lustvollen Roman vorlegen, der sich intellektuell mit den "Satanischen Versen" durchaus messen konnte und auch souveräner, reifer und weniger hölzern erschien als die artverwandten "Mitternachtskinder". Mit Ausnahme seines opus minimus, "Wut", von 2003, das dann doch recht einhellig von der Kritik durch den Fleischwolf gedreht wurde, tragen alle seither erschienenen Romane die unnachahmliche Handschrift eines Meisters, ohne selbst Meisterwerke zu sein. Rushdie wird sich dessen bewusst sein, schließlich ist er ein intelligenter und zur selbstkritischen Einsicht fähiger Mensch. Aber er wird es auch verkraften können - weil auch die "schlechten" Romane von ihm im Sinne des Wortes Weltliteratur sind und auch immer noch zum Besten zählen, was die angelsächsische Literatur zu bieten hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.