Buch über Boxen im KZ: Siegen oder Sterben

Zum Zeitvertreib ließen KZ-Wächter Häftlinge gegeneinander kämpfen. "Eines Tages werde ich alles erzählen" ist die Geschichte eines Boxers, der im Ring sein Leben rettete.

Mörderische Boxpromoter: SS-Offiziere in Auschwitz. Bild: ap

Victor "Young" Perez war Boxer, ein Fliegengewichtler, der damals, in den frühen Dreißigerjahren, in Europa kaum noch Gegner fand. Von seinem Kampfrekord existieren zwei Versionen: Eine wähnt Perez 140-mal in Serie als Sieger - eine unglaubliche Quote. Es waren keine gewöhnlichen Duelle.

Die Boxer waren sich im Klaren darüber, dass sie eine Niederlage das Leben kosten könnte. Perez war ein Jude sephardischer Herkunft, er war einer von jenen Kämpfern, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten boxten, um den Wachmannschaften die Zeit zu vertreiben. Wer siegte, der verbesserte die Chance, zumindest noch eine Weile zu überleben.

Perez war nicht der einzige Klasseboxer, der zur Unterhaltung der KZ-Belegschaft kämpfte. Salomo Arouch war ein weiterer, der, anders als Perez, auf einem der Todesmärsche ums Leben kam. Perez überlebte den Holocaust. Vor zwanzig Jahren nahm sich Hollywood seiner Geschichte an und verfilmte mit Willem Dafoe in der Hauptrolle unter dem bizarr anmutenden Titel "Triumph of the Spirit" die Biografie Arouchs.

Das Schicksal dieser Klasseboxer steht exemplarisch für das etlicher anderer Kämpfer, die in den Lagern starben. Obwohl es Hunderte, wenn nicht sogar Tausende gewesen sein müssen, ist nur wenig bekannt über die Todeskämpfe in den Lagern der Nazis. Ein kleines literarisches Fundstück ist die Erzählung "Der Boxer und der Tod" von dem polnischen Schriftsteller Jozef Hen.

Darin tritt ein Gefangener gegen den Lagerkommandanten an, einen ehemaligen deutschen Spitzenboxer. Deshalb dürfte der kürzlich im Verlag "Die Werkstatt" veröffentlichten Biografie des ehemaligen Schwergewichtlers Hertzko Haft einiges an Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. "Eines Tages werde ich alles erzählen" lautet der Titel des Lebensberichts. Es ist das einzige in deutscher Sprache verlegte Buch, in dem dieser Missbrauch des Boxsports ausführlich von einem Augenzeugen beschrieben wird.

Haft wurde von einem SS-Offizier zum Boxer gemacht. Der Gefangene machte einen physisch starken Eindruck; er wurde in eine Reihe von Duellen geschickt. Die Regeln waren klar definiert: Geboxt wurde ohne Handschuhe, ansonsten war das Reglement identisch mit dem eines regulären Kampfes. Der Ringrichter hatte uneingeschränkte Autorität, Tiefschläge waren verboten, nachschlagen war nicht gestattet.

Allerdings gab es kein Rundenlimit, ein Kampf war zu Ende, wenn ein Boxer ihn nicht mehr fortsetzen konnte. Haft gewann 75 Kämpfe, das Schicksal der Unterlegenen versuchte er beiseite zu schieben. Bevor ihm die Flucht gelang, stellte man ihn gegen einen ebenfalls noch unbesiegten Gegner auf. Haft schlug ihn k.o.: "Hertzko sah, wie man den Franzosen aus dem Ring zog und fortbrachte. Inmitten des Jubelgeschreis glaubte er zwei Gewehrschüsse zu hören. Aber er war sich nicht sicher."

Die Lebensgeschichte des Überlebenden wurde von seinem Sohn Alan Scott Haft aufgezeichnet. Das Buch ist vor allem ein Dokument. Der Autor pflegt keinen ausgefeilten Stil, doch der nüchterne, bisweilen lakonische Tonfall ist dem Gegenstand in vielen Passagen angemessen. Und er betrachtet die Erzählung seines Protagonisten nicht ohne Vorsicht. Der Chronist unterschlägt nicht, dass Haft ein gewalttätiger Mensch war. So ergibt sich auch das Bild eines Antihelden. In den USA legte sich Haft den Vornamen Harry zu. Als Profiboxer ging er 22-mal in den Ring, 14-mal verließ er ihn als Sieger.

Das ist kein eindrucksvoller Rekord, und doch gibt es etwas, das Haft deutlich aus der Masse seiner damaligen Konkurrenten heraushebt: Er ist einer derjenigen, die sich mit dem legendären Schwergewichtschampion Rocky Marciano anlegten. Der ist bis heute das Synonym für Unschlagbarkeit: In seinen 49 Profikämpfen konnte den Mann, dessen Rechte vermutlich auch einen Truck erschüttert hätte, kein Gegner bezwingen.

Haft nahm das Angebot, gegen den "Brockton Blockbuster" zu boxen, zunächst stoisch hin. Chiffriert verwies er auf seine Vergangenheit im Vernichtungslager. Die Schläge Marcianos könnten ihn nicht erschrecken - nach all den Erinnerungen, die er mit sich herumtrage. Haft berichtet auch davon, dass der Kampf manipuliert worden war. Doch diese Erklärung wird nicht ohne Skepsis vom Autor betrachtet.

Die Fakten zeichnen das Bild eines typischen Marciano-Kampfes: Der Champ schlug seinen Kontrahenten in nur wenigen Runden und beendet am 26. Juni 1949 die kurze Profilaufbahn des Mannes, der in seinem früheren Leben zum Kämpfen gezwungen worden war.

Alan Scott Haft: "Eines Tages werde ich alles erzählen. Die Überlebensgeschichte eines jüdischen Boxers." Die Werkstatt, Göttingen 2009, 16,90 Euro

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