Protest gegen Bundeswehr in Afghanistan: Elf Zivilisten getötet

Vor einer Außenstelle der Bundeswehr in Nordafghanistan sind bei Protesten gegen die Nato elf Zivilisten erschossen worden. Zwei deutsche Soldaten wurden verletzt.

Ziel von Protesten: Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. Bild: dpa

KABUL taz | Die Kette von Zwischenfällen bei Operationen der Nato-Truppen in Afghanistan, bei denen Zivilisten getötet werden, reist nicht ab. Und die Reaktionen empörter Afghanen werden zunehmend gewalttätig. Am Dienstag kam es in Talokan, der Hauptstadt der nordafghanischen Provinz Tachar an der Grenze zu Tadschikistan, in der es auch eine Außenstelle des deutschen Provinzaufbau-Teams mit 20 bis 25 Soldaten gibt, zu Protesten, die aus dem Ruder liefen.

Afghanische Journalisten vor Ort, mit denen die taz sprach, berichteten von anfangs 2000 Demonstranten. Die Menge sei später auf 15.000 angewachsen, darunter viele Schüler, die zum Teil bewaffnet gewesen seien, örtliche Einrichtungen angegriffen und Geschäfte und Autos demoliert hätten. Dabei seien Handgranaten über die Einfriedung des deutschen PAT (Provincial Avisory Team) geworfen und nach afghanischen Angaben zwei deutsche Soldaten und drei afghanische Wachleute verletzt worden.

Unklar, ob deutsche Soldaten geschossen haben

Die afghanische Polizei, die am Morgen eingriff, habe elf Demonstranten erschossen und etwa 50 weitere verletzt. Afghanischen Augenzeugen zufolge seien dann auch deutsche Soldaten aus dem Camp herausgekommen. Unklar blieb, ob sie auch geschossen haben. Nach den ersten Todesopfern hätten Angehörige weitere Einwohner mobilisiert. Die afghanischen Reporter berichteten zudem, dass am Mittag deutsche und afghanische Soldaten aus Kundus als Verstärkung in Talokan eingetroffen seien. Zu diesem Zeitpunkt seien noch Schüsse zu hören gewesen.

Den Protesten vorausgegangen war eine nächtliche Zugriffsaktion westlicher Soldaten, deren Nationalität bisher unbekannt ist, bei denen es sich aber wahrscheinlich um US-Sondereinheiten handelt. Dabei seien im nahegelegenen Dorf Kaumali drei Mitglieder einer Familie sowie ein Gast - zwei Frauen und zwei Männer - getötet und zwei weitere Männer festgenommen worden. US-Einheiten hatten unter der neuen Obama-Strategie für Afghanistan ihre sogenannten "night raids" gegen Taliban-Kommandeure, auch als "kill-or-capture"-Aktionen bekannt, landesweit erheblich ausgedehnt.

Im März fanden nach US-Angaben in ganz Afghanistan 293 solcher Operationen statt, bei denen 75 "Feinde" getötet und 521 festgenommen worden seien. Dabei kommen jedoch immer wieder Unbeteiligte zu Schaden, zuletzt in der Ost-Provinz Nangrahar, wo zwei Kinder getötet wurden. Auch das hatte zu gewalttätigen Protesten geführt.

Taliban als Schutzpatrone

In Afghanistans Norden gibt es zahlreiche bewaffnete Gruppen, die mit örtlichen Mini-Warlords verbunden sind, trotz entsprechender internationaler Vereinbarungen nie ihre Waffen abgegeben hatten und derzeit als sogenannte afghanische Lokalpolizei für den Kampf gegen die Taliban remobilisiert werden. Die dortige starke paschtunische Minderheit betrachtet die Taliban oft als Schutzpatrone gegen die Warlords, die überwiegend der nicht-paschtunischen Mehrheit - Tadschiken und Usbeken - angehören und für Übergriffe wie Landraub und illegale Steuererhebung bekannt sind.

Die aktivere Verteidigung des deutschen PAT scheint eine Reaktion auf Vorwürfe zu sein, dass die Bundeswehr sich Anfang April zu passiv verhalten hatte, als in Masar-e Scharif Demonstranten ein UN-Büro gestürmt und sieben Mitarbeiter ermordet hatten.

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