Debatte Politische Teilhabe im Netz: Das WWW ist nicht die Welt

Von politischer Teilhabe im Netz dank Facebook, Youtube und E-Petitionen ist viel die Rede. Nur: Wer seine Stimme online abgibt, könnte offline enttäuscht werden.

Die Idee klingt gut: ein Angebot, an dem sich viele Menschen beteiligen können und das in hohem Maße Mitbestimmungsmöglichkeiten verspricht. Auf den ersten Blick ist es unmittelbar einleuchtend, dass das Medium Internet geradezu prädestiniert dafür ist, demokratische Partizipationsmöglichkeiten auszuweiten und zu vertiefen.

Nicht zufällig finden sich so auch in sozialen Netzwerken wie Facebook unzählige Gruppen, in denen man mit einem einfachen Mausklick seine Zustimmung oder Ablehnung zu politischen Vorstellungen signalisieren kann. Auch die Möglichkeit, Onlinepetitionen zu initiieren und nach Mitstreiter(inne)n zu suchen, die durch einen Klick das Anliegen unterstützen, erfreut sich wachsender Beliebtheit.

Nun könnte man in enthusiastischen Jubel einstimmen, wenn sich mit dem Medium Internet tatsächlich neue Formen von Partizipations- und Beteiligungsmöglichkeiten herauskristallisieren würden, die der vielfach attestierten "Politikverdrossenheit" entgegenwirken könnten.

Aber genau das Gegenteil ist der Fall: die unzähligen Möglichkeiten, im Internet seine Zustimmung zu politischen Konzepten durch einen Mausklick zu artikulieren, erhöhen nicht das Maß an politischer Partizipation, sondern verstärken im Gegenteil Frustrationen und die Apathie der Bürger/innen gegenüber ihren demokratischen Institutionen.

Reale politische Entscheidungen

In der damit formulierten These, dass die Verfahren des One-Click-No-Vote der Demokratie mehr schaden als nutzen, liegen einige erklärungsbedürftige Implikationen. Denn es ist ohne Zweifel richtig, dass den hoch gebildeten, politisch engagierten und in die öffentlichen Debatten involvierten Bürger/innen durch das Internet tatsächlich ein Zugewinn mit Blick auf Informations- und Vernetzungsmöglichkeiten, aber auch auf die Effizienz politischen Handelns hin eröffnet wird.

Allerdings unterscheidet sich die Nutzung des Internet durch diejenigen, die klar sehen, dass das WWW nicht die Welt und damit auch immer nur eine Ergänzung zu tatsächlicher Politik sein kann, von der Internetnutzung durch diejenigen, die die Grundprinzipien demokratischer Partizipation nicht hinreichend zu reflektieren in der Lage sind.

Denn mit dem Anklicken einer Facebook-Seite verbindet sich oft der irrige Glaube, dieser Vorgang selbst sei partizipativ – und nicht nur Ausdruck bestimmter Überzeugungen und Sympathien. Dass in der mit einem Mausklick erledigten Zustimmung zu einem bestimmten Politikziel zwar eine soziale Handlung im Sinne einer Interaktion und Vernetzung mit anderen Menschen, allerdings kein politischer Akt im Sinne einer relevanten Willensäußerung liegt, wird dabei übersehen.

Die abertausend Facebook-Gruppen interessieren im Regelfall nicht nur niemanden, sondern können aufgrund ihrer Masse und Unstrukturiertheit, aber vor allem wegen ihrer strukturellen Distanz zum politischen Prozess selbst, auch niemanden interessieren, der an realen politischen Entscheidungsprozessen mitwirkt.

Scheinpartizipation

Wenn ein Onlineaktivist sich in seinem Selbstbild nun aber als politisch aktiv begreift, zugleich aber feststellen muss, dass sein Scheinhandeln keine Konsequenzen zeitigt, dann führt dies zu Frustrationen und zu einer Zunahme der Unzufriedenheit über das politische System selbst.

Es ist eine Form von Scheinpartizipation, die genau das Bild "Die da oben machen ja eh was sie wollen" weiter verschärft, weil es Frustrationserfahrungen produzieren muss – eben weil politisches Handeln suggeriert wird, letztlich der "Erfolg" aber nur darin besteht, sich innerhalb eines überschaubaren Bekanntenkreises darüber zu vergewissern, mit wem man Ansichten teilt und mit wem nicht.

Während in derartigen One-Click-No-Vote-Verfahren Politik vorgetäuscht wird und damit Frustrierungen einhergehen, die auf einer individuellen Ebene Ablehnungen von demokratischer Realpartizipation befördern können, stellt das Medium der Online-Petition darüber hinaus noch eine strukturelle Überforderung von Demokratie dar. Strukturelle Überforderung deshalb, weil neben den – selbstredend im politischen System vorgesehenen und auch schon in der Zeit vor der Existenz des Internet möglichen Petitionen – auch hier die Hoffnung geweckt wird, dass durch einen das höchste Maß an persönlicher Faulheit fördernden Vorgang, das Sitzen vor dem PC, bereits politische Aktivität entfaltet würde.

Auch hier bekommen wieder die politisch sowieso bereits Engagierten ein nützliches Instrument an die Hand, ihre Aktivitäten zu effektivieren. Die Ungebildeten missverstehen dagegen Online-Petitionen als eine Form von direkter Demokratie, bei der jede/r in scheinbar allmächtiger Omnipotenz das egoistische Eigeninteresse in den politischen Prozess einspeisen kann, womit die Macht vorgetäuscht wird, Politiker/innen vom heimischen Schreibtisch aus fernsteuern zu können.

Form autoritärer Herrschaft

Insofern stehen den erfolgreich realisierten Online-Petitionen eine große Zahl erfolgloser Versuche wenig informierter Bürger/innen gegenüber, die hoffen, ihre persönlichen Meinungen auf diesem Weg politisch durchsetzen zu können, ohne dafür wirklich etwas tun zu müssen.

Das zentrale demokratietheoretische Problem besteht dabei darin, dass Erwartungen an das politische System geweckt werden, die dieses strukturell nicht nur nicht erfüllen kann, sondern auch nicht erfüllen darf: denn könnte jede/r geradezu willkürlich seinen Willen durchsetzen, wäre dies faktisch eine Form autoritärer Herrschaft. Die Crux ist, dass das Medium der Online-Petition nur in Gesellschaften als struktureller Zugewinn wahrgenommen werden kann, die bereits über ein hohes Maß an politischer Aktivität auf der Basis von intensiver politischer Informiertheit verfügen, dann allerdings gleichsam fast überflüssig wäre.

Ein Nebeneffekt der für die breite Masse der Bevölkerung lediglich als Surrogat existierenden Onlinepartizipationsmöglichkeiten ist, dass die konventionellen Partizipationsmöglichkeiten weiter unattraktiv gemacht werden, und stattdessen Politiker/innen immer mehr Engagement in ihre Onlineaktivitäten investieren, die aber in die gleiche Frustrationsspirale einmünden: denn der Politiker, der offenbar jederzeit verfügbar ist, also der Idealtyp des 24 Stunden twitternden Abgeordneten, überschüttet zwar die Welt mit (weitgehend belanglosen) Informationen, weckt aber zugleich die Hoffnung beim Otto Normalverbraucher, mit seiner persönlichen Meinung Einfluss auf dessen Verhalten nehmen könnten, ja dass Politiker/innen und Bürger/innen auf Augenhöhe agieren.

Was passiert, wenn ein Facebook- und Twitter-Aktivist regelmäßig auf Statusmeldungen reagiert, dann aber bemerkt, dass in der politischen Praxis die eigene Reaktion für den/die Politiker/in (logischerweise) keine Rolle spielen, ist naheliegend: Man fühlt sich missverstanden, hat den Eindruck nicht Wert geschätzt zu werden, und bekommt damit aufs Neue vorgehalten, dass "die da oben" tatsächlich nur tun, was sie wollen. Das eigene Scheinengagement wird auch hierbei nur als das vorgeführt, was es eigentlich ist: nämlich eine Form von vorgegaukelter Symmetrie in einer notwendig hierarchischen Beziehung.

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