Debatte Italien: Wahre Clowns

Nun jammern sie wieder, die europäischen Eliten. Dabei haben Grillo und Berlusconi nur bewiesen, dass in der Mitte nichts mehr zu holen ist.

Clowns, wohin man auch schaut. Bild: dpa

In den Burgen des Mittelalters war es Aufgabe des Hofnarren, den Herrschern unbequeme Wahrheiten zu sagen. Heute sind es die Steinbrück’schen „italienischen Clowns“, die die bitteren Tatsachen in die europäischen Regierungszentralen und Banktürme hineintragen.

Denkt man über die so verständliche wie billige Polemik Steinbrücks hinaus, dann hat das Wahlergebnis von jenseits der Alpen starke, gewiss auch spannungsgeladene Botschaften zu liefern. Zu lernen gibt es jedenfalls einiges.

Die erste Botschaft ist die totale Niederlage, die ein bestimmtes Europa bei den italienischen Wahlen erlitten hat – das der Troika, der Frankfurter Banker und der Kanzlerin Angela Merkel. Es handelt sich nicht einfach um ein persönliches Desaster Mario Montis, also des Professors, den die nun geschlagenen europäischen Eliten wie aus einem Zauberhut hervorholten und den Italienern im November 2011 ohne jede demokratische Legitimierung als Regierungschef vor die Nase setzten.

geboren 1947, studierte Physik und war Schüler von Pierre Bourdieu. Auf Deutsch liegt von ihm vor: „Das Schwein und der Wolkenkratzer. Chicago: Eine Geschichte unserer Zukunft“.

Apropos: Wenn jetzt immer über die „mangelnde Stabilität“ der neuen politischen Konstellation in Italien geseufzt wird, darf daran erinnert werden, dass Silvio Berlusconi durch einen schlichten Putsch zum Rücktritt gezwungen wurde, obwohl er über die stabilste parlamentarische Mehrheit verfügte, die je ein Regierungschef in der italienischen Republik sein Eigen nennen durfte.

Monti, Freund der Eliten

Mario Monti hatte die Unterstützung des italienischen Establishments (Fiat- Boss Sergio Marchionne, Ferrari-Boss Luca Cordero di Montezemolo und viele andere), des deutschfreundlichen Europas und der internationalen Finanzbranche (Monti arbeitete als Berater bei der größten Privatbank der Welt, Goldman Sachs), ja sogar der Vatikan und die italienische Bischofskonferenz standen ihm zur Seite – eine Verbindung, die man nun endgültig als überschätzt für den Ausgang italienischer Wahlen betrachten darf.

Die Niederlage der Troika, Merkels und des Europas der Banken wird aber noch eklatanter, wenn man das Wahlergebnis mit denen in den anderen europäischen Krisenstaaten vergleicht, den sogenannten Pigs. Die italienischen Wähler haben als Einzige dem Druck aus dem Norden widerstanden und die deutsche Austeritätspolitik rundum abgelehnt.

Im „realen Kapitalismus“, der Europa heute prägt, haben die Italiener als Erste die Banker offen herausgefordert – ein Mut, den weder die Griechen noch die Spanier, noch die Portugiesen hatten, die brav Regierungen nach Wunsch von Frankfurt und Berlin wählten. Sogar das mächtige Frankreich hat mit der Wahl François Hollandes nur leise protestiert.

Antideutsche Botschaft

In Italien haben die Gruppierungen, die gegen den deutschen Sparwahn, gegen Merkel, gegen die Diktatur des Spreads angetreten sind, 57 Prozent der Stimmen für das Abgeordnetenhaus geholt, also eine klare absolute Mehrheit. Die antideutsche Botschaft dieser Wahlen drückte schon ein Plakat des Berlusconi-Bündnisses aus: „Über die italienische Regierung entscheiden die Italiener.“ Darauf war ein Bild von Mario Monti zu sehen, der Merkel innig die Hand drückt.

Die Botschaft also ist klar: Zumindest die Italiener lassen sich nicht dazu bewegen, der eigenen Verelendung ihren demokratische Segen zu erteilen. Und vielleicht werden andere Völker Europas ihnen demnächst folgen.

Aber die italienischen Hofnarren haben noch eine zweite Botschaft im Gepäck – und die betrifft den Populismus. In den letzten Jahren hat nämlich die üble Tendenz Schule gemacht, alles, was die Leute tatsächlich wollen und brauchen, als Populismus zu bezeichnen. Ein bezahlbares und modernes Gesundheitssystem für alle? Du bist aber populistisch (insbesondere in den USA)! Eine Rente, von der man im Alter leben kann? Purer Populismus! Gut ausgestattete Universitäten, die Studierende und Eltern nicht in den Ruin treiben? Ich wusste doch, dass sich in dir ein Populist verbirgt!

Wem das Etikett des Populismus erst mal anklebt, der wird es so leicht nicht mehr los. Und es hilft auch nichts, wenn man darauf besteht, dass man doch nur soziale Grundbedürfnisse einfordert. Nun, am vergangenen Wochenende haben die Italiener mehrheitlich Populisten gewählt, pittoreske gewiss wie Grillo; und sie haben das getan, weil diese ihnen – zu Recht oder zu Unrecht – als die Einzigen erschienen, die die sozialen Rechte der Bevölkerung auf ihrer Agenda hatten.

Das Europa der Arbeitslosen

Nobelpreisträger Paul Krugman hat es so formuliert: „Niemand will die Bunga-Bunga-Politik verteidigen, aber diese einfache Frage muss man doch stellen: ’Was hat die Politik, die mit Monti heute als notwendig verkauft wird, eigentlich Italien Gutes getan oder auch Europa als Ganzes?‘ Monti war doch der von Deutschland eingesetzte Gouverneur, der einer ohnehin schon blutleeren Volkswirtschaft die Austerität als Heilmittel verschrieb; und nur wer diese totale Austerität betreibt, gilt in den herrschenden europäischen Kreisen als respektabel.“

Die italienischen Clowns haben nun ganz Europa gezeigt, dass der, der nicht breit ist, auf populäre Forderungen einzugehen, Populisten ernten wird – eine Erfahrung, die aus einer großen Wirtschaftskrise der Vergangenheit eigentlich noch allen geläufig sein müsste, insbesondere den Deutschen.

Die abschließende Botschaft dieser Wahl ist schließlich, dass das große Rennen Richtung Zentrum seinen Höhepunkt überschritten hat. Die Diktatur der Mitte hat abgedankt, nachdem uns die Politologen aller Länder jahrzehntelang in den Ohren lagen, dass man Wahlen in der Mitte gewinne, dass man gemäßigt sein und die extremen Flügel der Parteien kaltstellen müsse.

Schon George W. Bush hat auf seine Art bewiesen, dass es sich hierbei nur um Gemeinplätze handelte. Von der Mitte aus kann man sich vielleicht an der Regierung halten, aber mit gemäßigten Positionen kann man keine Wahlen mehr gewinnen – jedenfalls nicht bei 36 Prozent erwerbslosen Jugendlichen (Italien) oder bei 50 Prozent (Spanien), bei 60 Prozent (Griechenland) und wahrscheinlich auch nicht in Frankreich bei 20 Prozent. Für diese jungen Menschen gibt es keine „gemäßigten“ Lösungen, denen sie irgendetwas abgewinnen könnten.

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