Bild aus dem Gurlitt-Fund: Der Matisse der Rosenbergs

Für einen Matisse der Sammlung Gurlitt steht der rechtmäßige Vorbesitzer fest: Ein Pariser Kunsthändler. Seine Nachfahren wollen das Bild zurück.

„Die sitzende Frau“ von Matisse: Zur Zeit wird das Gemälde in Oslo ausgestellt. Bild: ap

NEW YORK taz | Wenn Paul Rosenberg in den Jahren zwischen den Kriegen zur Ausstellungseröffnung in die rue La Boétie einlud, erschienen Sammler, Verleger, Künstler, Aristokraten, Kritiker und Politiker – „le tout Paris.“ An den seidenbespannten Wänden der Galerie hingen die Werke der Avantgarde, doch hier, im Parterre seiner prächtigen Stadtvilla im 8. Arrondissement, fühlte sich auch das Establishment so sehr zu Hause, dass die polemischen Passionen um die Kunst der Moderne in der Atmosphäre unfehlbarer Eleganz einfach verflogen.

Picasso, den Rosenberg seit 1918 ebenso wie Matisse und Braque exklusiv vertrat, wohnte mit Olga Koklowa nebenan. Kaum hatte „Pic“ eine Arbeit vollendet, rief er „Rosi“ auf den angrenzenden Balkon, um sie ihm zu zeigen. In den Privaträumen des Händlers, der seine Karriere im Alter von 18 Jahren mit dem Ankauf von zwei Van-Gogh-Zeichnungen und einem Manet für die Galerie seines Vaters begann, drängten sich die Picassos zwischen Bildern von Monet, Courbet, Corot und Léger.

Lange bevor die Wehrmacht in Paris einmarschierte, hatte die Reichskulturkammer Rosenbergs Kunstsammlung, seine Glasnegative, Antiquitäten aus aller Welt und seine Archive für die Enteignung vorgesehen. Rosenberg gelang es, einen Teil seines Besitzes in Sicherheit zu bringen und mit seiner Familie nach New York zu fliehen.

Dort hatte er bereits vor dem Krieg Kundenbeziehungen gepflegt und maßgeblich am Aufbau von Museumssammlungen, wie etwa dem MoMA, mitgewirkt. 1940 wurde sein Haus in Paris geplündert und im folgenden Jahr zum Treffpunkt des infamen Instituts zum Studium der Judenfrage auserkoren.

Eine Plakette an der Sandsteinfassade von 21 rue La Boétie erinnert an diese böse Ironie des Schicksals. Anne Sinclair, die französische Journalistin, Exfrau von Dominique Strauss-Kahn und Paul Rosenbergs Enkelin wählte die mythische Adresse als Titel ihrer kürzlich erschienenen Memoiren.

Weder vergessen, noch aufgeben

73 Jahre später taucht nun eines der Gemälde, das einmal in Paul Rosenbergs Salon hing, in Schwabing auf: Die „Sitzende Frau“ von Matisse ist das erste Gemälde des Gurlitt-Funds, dessen ursprünglicher Eigentümer unzweifelhaft identifiziert werden kann. Marianne Rosenberg, Pauls Enkelin und Anne Sinclairs Cousine, bestätigte Anfang November, dass ein S/W-Foto im Familienarchiv das Bild als eines der gestohlenen Kunstobjekte ihres Großvaters ausweise.

Erst im August hatte die prominente New Yorker Anwältin anlässlich des Rechtsstreits mit dem Osloer Henie-Onstad Art Center um einen anderen Matisse aus der Sammlung Paul Rosenberg gegenüber der New York Times erklärt: „Wir wollen weder vergessen noch aufgeben. Ich begreife das als einen Kreuzzug.“

Paul Rosenberg selbst machte sich unmittelbar nach Kriegsende vergeblich auf die Suche nach seiner Kunst, die er zum Teil in einem Tresor in Libourne bei Bordeaux versteckt hatte. Seine Schwiegertochter Elaine Rosenberg, Witwe seines 1987 verstorbenen Sohns Alexandre, überblickt in ihrem Upper East Side Townhouse die 250.000 Dokumente, Briefe und Fotos, mit denen der akribische Paul die Provenienz all seiner Besitztümer belegte.

Ein vollzeitig beschäftigter Archivar unterstützt sie. „Die Rosenbergs sind in dieser Hinsicht einzigartig“, sagt Christopher A. Marinello, Direktor des Art Loss Registers. Er repräsentiert die Erben sowohl im Gurlitt- als auch im Henie-Onstad-Fall sowie einer Reihe anderer, noch geheimer Ermittlungen. Weniger als fünf Prozent der beraubten Erben verfügen auch nur annähernd über vergleichbare Ressourcen und Informationen, um die schätzungsweise hunderttausend noch vermissten Beutekunstwerke einzutreiben.

Der größte Teil der Sammlung durch 1944 Zufall entdeckt

Die Wiederbegegnung mit dem größten Teil der circa 400 von den Nazis entwendeten Arbeiten verdanken die Rosenbergs einem so unwahrscheinlichen Zufall, dass die Begebenheit 1957 mit Burt Lancaster in der Hauptrolle verfilmt werden sollte: Als Leutnant in de Gaulles Befreiungsarmee wurde Alexandre Rosenberg 1944 mit fünf weiteren Soldaten beordert, den letzten Judentransport zu stoppen, der gerade Paris verlassen hatten.

Sie sprengten die Schienen vor und hinter dem Zug, öffneten die Waggons und fanden ein paar erschöpfte deutsche Soldaten, die Kisten voller Kunst bewachten. Darunter 29 Braques, acht Bonnards, vier Degas und 64 Picassos, die Alexandre auf Anhieb wiedererkannte: Sie stammten aus seinem Elternhaus und der Galerie seines Vaters, der sie bald darauf in New York in Empfang nahm.

Nach dem Tod seines Vaters 1959 übernahm Alexandre die Galerie und machte sich als europäischer Kunstgelehrter, der sich besonders mit ethischen Fragen seines Metiers auseinandersetzte und einer der Mitbegründer der Art Dealers Association of America war, einen Namen.

Der Nachtzug von Zürich nach München, in dem Cornelius Gurlitt 2010 den ersten Verdacht auf sich lenkte, ist für die Rosenbergs zwar nicht mit dem Coup von 1944 zu vergleichen, doch die Wiederentdeckung eines so lange verschollenen Meisterwerkes ist aufregend, auch wenn die Rückgabe keineswegs garantiert ist.

Christopher Marinello spricht von dem am besten dokumentierten Restitutionsanspruch, den er je gesehen habe, doch das Washingtoner Abkommen bezieht sich nur auf den illegitimen Besitz öffentlicher Institutionen und nicht auf Privateigentum wie im Falle Gurlitt.

Dessen Verkauf des Max-Beckmann-Bildes „Der Löwenbändiger“ über das Kölner Auktionshaus Lempertz, bei dem die Erben des enteigneten Kunsthändlers Alfred Flechtheim die Hälfte des Gewinnes bekamen, sieht Wesley Fisher, Forschungsleiter der Jewish Claims Conference, „als potenzielles Modell für weitere Rückgabeforderungen“, wobei ein Vergleich mit den Erben „Herrn Gurlitt im hohen Alter zu einem sehr vermögenden Mann machen könnte“.

Rosenberg kaufte ein Degas zurück

Alexandre Rosenberg ging 1971 sogar so weit, „Zwei Tänzer“ von Degas zurückzukaufen – zwar missfiel es ihm, wie er schrieb, „die Nachkommen von Dieben zu bereichern“, doch war der ungerechte Kompromiss für ihn nichts anderes als Politik. Und auch Fisher glaubt, dass man die Restitution aus dem Bereich des Gesetzes auf die Diplomatie verlagern müsse. „Mit den regulären Eigentumsgesetzen sind diese Fälle nicht zu lösen, denn es handelt sich um Diebstahl in Zeiten des Genozids.“

Obwohl „es keineswegs Aufgabe der Anspruchsberechtigten ist“, meint Marianne Rosenberg, „herumzurennen und in jedem Katalog und in jedem kleinen Museum ihrer gestohlenen Kunst hinterherzujagen“, tut ihre Familie in nunmehr dritter Generationen genau das.

Als ihre Mutter beinah resignieren wollte, erschienen Mitte der 90er Jahre eine Reihe von Büchern über den Kunstraub der Nationalsozialisten, darunter „Das verlorene Museum“ von Hector Feliciano, das eine verschollen geglaubte „Odalisque“ von Matisse erwähnt – tatsächlich hing sie im Seattle Museum of Art, das sich 1999 als erste Kultureinrichtung in den Vereinigten Staaten per Gerichtsbeschluss zur Rückgabe ihrer Beutekunst aus dem „Dritten Reich“ gezwungen sah.

Die Rosenberg-Klage veranlasste weitere Museen in den USA, ihre Bestände nach Werken mit dubioser Herkunft zu durchforsten, obwohl die Institutionen größtenteils in privater Hand und damit von der Washingtoner Vereinbarung ausgenommen sind.

Das Matisse-Gemälde bleibt vorerst in Oslo

Ob die Familie Rosenberg ihren Matisse aus Oslo, den auch Hermann Göring einmal kurzfristig sein Eigen nannte, zurückerhalten wird, ist noch ungewiss. Denn es handelt sich um eines der Glanzstücke der kleinen Sammlung – das Museum verstieg sich zu der Behauptung, Rosenberg selbst müsse das Bild verkauft haben: „Es ist erstaunlich, wie viele Institutionen in aller Welt in widerspenstigem Unglauben verharren, wenn man sie mit Nazi-Beutekunst in ihren Sammlungen konfrontiert“, meint Marinello, der gerade in Norwegen für die Rosenbergs verhandelt.

Natürlich lässt sich ein weiterer Fund vom Ausmaß des Gurlitt-Schatzes nicht voraussagen, doch geht Wesley Fisher davon aus, dass mit dem Wegsterben der letzten NS-Generation weitere Beutekunst ans Tageslicht kommen wird: „Genau deshalb darf die Verjährungsfrist von dreißig Jahren nicht auf Sammlungen, die aus welchen Gründen auch immer geheimgehalten wurden, von der Verteidigung angewandt werden.“

Kulturgüter, findet Wesley Fischer, sind mit anderem Eigentum nicht zu vergleichen. „Kunst lässt sich durch nichts ersetzen, und das Verhältnis zu ihr ist weitaus emotionaler als zu anderen Dingen.“ Paul Rosenberg würde ihm zustimmen: Als ihn der befreundete Sammler Duncan Phillips zu überzeugen versuchte, ihm ein paar Picassos aus seinem persönlichen Besitz zu verkaufen, weigerte sich der Galerist mit den Worten: „Sie sind der Ausdruck meines Lebens.“

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