Telefonverbindungen millionenfach gespeichert

ÜBERWACHUNG Piraten beklagen Massenauswertung von Handydaten in Schleswig-Holstein

Nach Berechnungen der Piratenpartei wurden sieben Millionen Handys ausgespäht

KIEL taz | Die schleswig-holsteinische Polizei erfasst seit Jahren massenhaft Verbindungs- und Standortdaten von Handynutzern. Das geht aus einer Antwort auf eine Große Anfrage der Piratenpartei hervor. Danach gab es von 2009 bis 2012 exakt 850 von der Staatsanwaltschaft angeordnete Funkzellenabfragen, bei denen alle Mobilfunkverbindungsdaten erfasst werden, die innerhalb eines Gebiets in einem bestimmten Zeitraum anfallen. Nach Berechnungen der Piratenpartei wurden dabei rund sieben Millionen Handys geortet und ihre Aktivitäten ermittelt. Jahr für Jahr, so belegt die Antwort, wurde von dem umstrittenen Ermittlungsinstrument stärker Gebrauch gemacht.

Katarina Nocun, Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland, spricht von einer „Massendurchleuchtung“. Es sei „völlig unverhältnismäßig, ins Blaue hinein eine massenhafte Kompletterfassung aller Handybenutzer im Umkreis eines Tatorts vorzunehmen“.

Funkzellenabfragen müssen richterlich genehmigt werden und sind nur bei der Verfolgung besonders schwerer Straftaten erlaubt. Sie sind vor allem zur Aufdeckung von Serienstraftaten ein geeignetes Instrument, da mit ihnen ermittelt werden kann, welche Mobilfunkgeräte sich bei verschiedenen Straftaten in Tatortnähe befanden.

Nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft, auf denen die Antwort beruht, trugen die 850 Funkzellenabfragen nur zu 36 Verurteilungen bei. In gerade mal 64 Fällen führte die Abfrage überhaupt zu weiteren Ermittlungsmaßnahmen. 786 der 850 Funkzellenabfragen liefen demnach vollständig ins Leere.

Bei der stellvertretenden schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten Marit Hansen löst die Antwort der Landesregierung „hohen Nachfragebedarf“ aus. Eine „abschließende Stellungnahme“ sei ihr zwar „noch nicht möglich“, aber die „sehr hohen“ Abfragezahlen könnten auf eine „exzessive Ermittlungstätigkeit“ hindeuten.

Auch lege die Antwort nahe, dass die Löschung erhobener Daten mitunter „ein bisschen verpennt“ wird und Speicherzeiten von bis zu 42 Monaten doch „sehr, sehr lang“ seien. Die Funkzellenabfrage sei offenbar „zum Standardinstrument der polizeilichen Ermittlungsarbeit“ geworden, was nicht unproblematisch sei. Hansen: „In diesem Netz bleiben viele Handynutzer hängen, die mit Straftaten überhaupt nichts zu tun haben.“

Schon in der Vergangenheit sorgten Funkzellenabfragen für Zündstoff. Im Juni 2011 musste der Dresdner Polizeipräsident seinen Hut nehmen. Unter seiner Regie waren hunderttausende Verbindungsdaten von Teilnehmern einer Anti-rechts-Demo und auch von Unbeteiligten ausgespäht worden. MARCO CARINI