Worum geht es eigentlich?

PROMIS Welche Themen für die Wahl wirklich wichtig sind: Mutti Merkel, Fleisch, Queerness und Energiewende. Oder reicht es, wenn wir alle nackt sind?

Folgende Ziele würde ich anstreben: Kultur und Struktur der öffentlichen Bildung radikal ändern. Kultur: Vom Defizitaufspüren zur Potenzialentfaltung. Von der Wettbewerbsmanie zum kooperativen Lernen – das Ganze ein Leben lang. Von der Theorie-Abgehobenheit zur Dialektik von Theorie und Praxis, als interdisziplinäre und transdisziplinäre Forschung und Lehre. Struktur: Qualitativ hohe, vor allem durch gutes und ausreichendes Personal abgesicherte Bildungsangebote von der Krippe bis zur Hochschule – unbezahlt. Europa: Endlich begreifen, welchen Anteil auch die deutsche Wirtschaft und Politik an der Entstehung der Krise haben. Endlich begreifen, dass wir ohne gemeinsam beschlossenes und kreditfinanziertes nachhaltiges Wachstum mit offener gemeinsamer Haftung nicht aus der Krise kommen. Endlich aufhören mit den kollektiven Unterstellungen gegenüber unseren europäischen Nachbarn, dass sie generell weniger zur Verantwortung fähig oder bereit wären als wir. Endlich aus der selbstgerechten deutschen Provinzialität herausfinden. Wirtschaft und Soziales: Die unerträgliche Schere zwischen Arm und Reich müsste sich wieder schließen. GESINE SCHWAN Präsidentin der Humbold-Viadrina School of Governance

Muttis Merkelsprache ist unsere Muttersprache geworden. Alles Gesagte gilt nur für den Augenblick. Nichts muss ernst genommen werden oder verbindlich sein. Sagt ein Kanzlerkandidat: „Politik ist eine ernste Sache“, geht ein Aufschrei durch das Land: Er beleidige uns Bürger, die wir Spaß wollen. Und Spaß erlaubt uns unsere Führerin. Sie lügt und trickst, so wie wir lügen und tricksen. Ihre letzte Regierung mit der FDP sei die allerbeste seit 1990. Applaus! Applaus! Das unwahre Wort gilt. Der Euro von ihr gerettet? Halb Europa versinkt in Armut. Macht nichts. Das ist unsere Chance. Die Chance ihrer „marktkonformen Demokratie“, die den Markt bedient und unsere Schulden in Billionenhöhe treibt. Wir wissen das alles, aber wollen es nicht wahrnehmen. Wir werden eingelullt mit gelenkter Sprache, die den Bürger entlastet vom eigenen Denken. Es ist die Sprache aus der FDJ-Abteilung für Agitation und Propaganda, die Merkel uns mitbrachte. Hieß es dort: „die Partei hat immer Recht“, so hier: „ die Entscheidungen seien alternativlos“. Es ist dasselbe Prinzip, zerstört jetzt die Europaidee, wie damals die sozialistische. Wird Sprache so systematisch unwahr gebraucht, verkommen Staat und Justiz, Sitte und Kultur, und das Vertrauen in jegliche Gemeinschaft schwindet, das lehrte schon Konfuzius. INGRID BACHER Autorin

Stecken geblieben. Im positionsbereinigten Nichts. Irgendwo zwischen alternativlos und Abwrackprämie. Die systemrelevante Banken stützen! NSA, das ist Neuland. Schnell noch ein paar Scheine Betreuungsgeld hinterhergeschmissen, denen, die es eh schon haben. Und Europa zieht die Mauern höher. Frontex stößt junge Leute zurück ins Meer. Bei uns ist voll. Wir müssen selber sparen, sagt die Troika. Griechenland retten. Die Selbstmordrate steigt und in Spanien gibt es keine Arbeit mehr. Hoch die Tassen, Herr Brüderle. Und runter mit den Steuern. Der andere lässt die Kavallerie aufsatteln, und DJ Dosenpfand spielt uns noch einen. In Hellersdorf wird gezündelt. Hinterher hat’s wieder keiner gemerkt. Aber bald wird die Agenda ja nachgebessert. Fleiß muss sich wieder lohnen, sonst wird halt aufgestockt. Solidarität, das war schon immer unser Ding. Denn: Wir sind das Wir. ROBERT STADLOBER

Schauspieler und Musiker

Demokratie besteht nicht mehr nur aus Wahlen, aus Delegation von Macht, sondern auch aus effektiver Kontrolle von Macht. Entflechtung! Das wäre das Leitmotiv für diese runderneuerte Demokratie! Nicht nur die Parlamentarier, sondern auch das Volk selber würde wichtige Entscheidungen treffen. THILO BODE Gründer von foodwatch

Es ist jedes Christen Pflicht, zur Wahl zu gehen. Wer nicht wählen will, weil er nicht weiß, wen er wählen soll, der kann seinen Wahlzettel mit einem Strich ungültig machen. Nur so können die Parteien und Politiker erkennen, dass der Bürger unzufrieden ist. Für mich liegt der Fokus bei der Wahl in erster Linie auf der Person, die mich überzeugt. Parteiprogramme sind mir heute weniger wichtig als in der Vergangenheit. Des Weiteren geht es mir darum: Wer hat Kompetenz und die Rückendeckung seiner Partei? Wer hat die besseren Führungsqualitäten? Wer überzeugt im Ausland, wer wird respektiert? Und es geht um die Zukunft Europas. Wie lösen wir die aktuelle Krise? Wer schafft es, in den südeuropäischen Ländern Disziplin durchzusetzen, Druck auszuüben, damit dort nicht auf Kosten Deutschlands gelebt und gewirtschaftet wird? Die Sicherung des zukünftigen Lebensalltags von Alten und Kranken und des Arbeitsmarkts. Wessen System sorgt dafür, dass Leute noch Lust darauf haben, zu arbeiten beziehungsweise jemandem Arbeit zu geben? Das sind die Dinge die mich bewegen und die ich für wichtig halte. Und nicht zuletzt: Wie steht es mit der Religion im Allgemeinen, dem Lebensschutz im Besonderen – von Pränataldiagnostik bis Euthanasie? Das ist die Gretchenfrage, aktueller den je! Klar geht es um etwas! GLORIA VON THURN UND TAXIS, Adel

Wollte Schwarz-Gelb zunächst Atomkraftwerke länger laufen lassen, hat Fukushima die Regierung eines Besseren belehrt. Zwei Jahre danach geht es nun darum, ob die Energiewende ausgebremst oder ob sie beschleunigt wird. Die Wahl entscheidet mit, ob Deutschland wieder eine Vorreiterrolle im Umwelt- und Klimaschutz erringen kann. Fordern einige Parteien den Neubau von Kohlekraftwerken – der falsche Weg, um eine umweltfreundliche Energieversorgung zu sichern –, wollen andere, dass bis 2030 alle Kohlekraftwerke vom Netz sind und der gesamte Strom aus erneuerbaren Energien kommt. Es geht also darum, umweltorientierte Parteien und Kandidaten zu wählen. HUBERT WEIGER Vorsitzender des BUND

Es geht um die Energiewende. Sie hat zum Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien in den kommenden vier Jahrzehnten auf 80 Prozent zu erhöhen. Die Energieeffizienz soll deutlich verbessert und Energiesparen gefördert werden, beispielsweise durch energetische Gebäudesanierung. Aber auch die Mobilität soll auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Ein derart umfassender Transformationsprozess der gesamten Energieversorgung eines Industrielandes bedeutet massive Veränderungen in nahezu allen Bereichen. Die Politik hat die Aufgabe, diesen Prozess zu managen. Es ist fraglich, ob die jetzige Bundesregierung den begonnenen Prozess konsequent weiterführen wird und nicht alles im Keim der Interessen ersticken lassen wird. Kaum eine Partei sieht die Energiewende – leider – als zentrale Aufgabe einer zukünftigen Bundesregierung an. CLAUDIA KEMFERT Energieökonomin

Ich glaube nicht an alternativlose Politik. Das Gerede von marktkonformer Demokratie finde ich schlimmer als eine gut begründete Wahlenthaltung. Die Wahlwerbung, die Programme in leichter Sprache finde ich gruselig. Sie gaukeln uns etwas vor. Sie wiegen uns in Sicherheit. Sie reden über Politik, als ließe sich das weichspülen. In der Politik geht es um die Durchsetzung von Interessen. Also um Macht. Was ist Macht? Wie gewinnen Wähler wieder ein Gefühl für die eigene Macht? Das gelingt am besten, wenn wir uns mit der simplen Logik der politischen Lager nicht zufrieden geben. Der Demokratie könnte das gut tun. Darum geht es mir bei der Wahl. TILO JUNG Chefredakteur „jung und naiv“

Glücklicherweise geben die Umfragen der Extremrechten für die Bundestagswahlen nicht die nötigen 5 Prozent, sonst könnte sie mit anderen Parteien eine Koalition schließen – denn alle anderen Parteien sind bereit, sich mit fast allen zu einigen: CDU/CSU mit FDP; die Grünen mit der SPD; SPD mit CDU, den Grünen und der Linken; die FDP mit allen anderen Parteien, nur nicht mit der Linken; die Grünen mit allen anderen ohne Ausnahme. Nur die Linke will kein Bündnis schließen, das nicht auf einem Partnerschaftsvertrag beruht, der ein linkes Programm für soziale Gerechtigkeit vorsieht. Für alle Arbeiter und Angestellten und Arbeitslosen, deren Einkommen zu niedrig sind und die feststellen müssen, dass ihre Kaufkraft weiter abnimmt, ihre Renten in der Zukunft nicht abgesichert sind, ist die beste Lösung, die Linke zu wählen. Sie ist die einzige Partei, die ihre Interessen mit aller Kraft vertreten wird, sei es in der Opposition oder im Bündnis mit anderen Parteien, denen sie ihre Bedingungen für ein gemeinsames Regierungsprogramm aufzwingen wird. Wenn Sie nicht in Ihrer Wahl enttäuscht sein wollen, dann stimmen Sie für eine Partei, die Linke. BEATE KLARSFELD Nazijägerin

Es geht um die Wurst. Falls es jemand noch nicht gemerkt hat: Dies ist der erste Fleischwahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik! Man darf es schlechterdings einen Geniestreich der Grünen nennen, mit dem Veggie-Day das letzte Thema gefunden zu haben, das noch halbwegs zu polarisieren vermag – nicht einmal das Rauchverbot konnte ähnliche mentale Verheerungen anrichten. Schon formt sich das stumpf vor sich hin brütende Stimmvieh zur Stampede: Sie wollen uns das Fleisch aus dem Fleischsalat zupfen! Das wird man ja wohl noch essen dürfen! In der Aufregung fällt unter den Tisch, dass auch die anderen Parteien die Fleischfrage wenigstens personell lösen: So schickt die FDP zwei Würstchen in den Wahlkampf, das eine knackig und farblos, das andere zehn Jahre in Alkohol eingelegt. Die SPD hingegen lebt im Wahlkampf pesco-vegetarisch, serviert Eiersalat, garniert mit einem überreifen Fischbrötchen. Und Merkel? Ein fahles Stück Gelbwurst, ein schon angeschnittener Presskopf? Weder noch: Merkel ist eine Rügenwalder Mühlenfrikadelle aus der Dose. Klumpig, breiig, entfernt an ein organisches Erzeugnis erinnernd und nur noch durch jede Menge Konservierungsmittel zusammengehalten. Aber mit einem roten Klecks daneben kriegt man’s halt doch irgendwie runter. Mahlzeit! LEO FISCHER

Chefredakteur „Titanic“

Wenn ich Königin von Deutschland wäre, würde ich das ganze Jahr in meinem Palast im Pool plantschen und der taz vertrauensvoll die Regierungsgeschäfte überlassen. PS: Wäre diese Anfrage von der Bild gekommen, müsste ich mein Regierungsprogramm noch einmal überdenken … HELLA VON SINNEN Entertainerin

Ständig höre ich, alle Parteien stünden doch ohnehin für dasselbe, und deshalb könne man unmöglich entscheiden, wen man wählen soll. Vielleicht liegt das daran, dass die Probleme so komplex geworden sind, dass wir alle – jedenfalls längst nicht bei allem – durchblicken. Weil niemand gern sagt: „Ich blick’s nicht“, sagen dann alle lieber: „Die machen alle dasselbe.“ Was aber geht: Ich lege fest, was mir wichtig ist und wo ich mich auskenne, und dann suche ich nach den Unterschieden. Bei mir ist es: Landwirtschaft, Ernährung, Ressourcenverbrauch, die Zukunft unsres Planeten. Wo ich weiß, welche politischen Fragen anstehen. FELIX LÖWENSTEIN Vorstand des Forschungsinstituts für biologischen Landbau

Wählen ist Geschmacksache. Und was, wenn man keinen Appetit mehr hat? Aus Gewohnheit das Gleiche wählen oder Parteiprogramme studieren und sich Gedanken machen. Darüber, welche Partei meine Interessen am besten vertritt, welcher Politiker mir am sympathischsten ist, oder darüber, wie es uns in hundert Jahren gehen soll? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Vielleicht geht es mir zu gut, vielleicht bin ich einer dieser Verdrossenen, die den Politikern nichts mehr zutrauen, aber ihnen am Ende doch alle Schuld und Verantwortung für die Misere geben. Vielleicht habe ich bisher auch immer das Richtige gewählt, so dass es keine Ziele mehr gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt. Wählen ist vor allem auch eine Frage der Motivation. Und wie kann ich mich motivieren, wenn ich keine Orientierung habe. Schon längst scheinen die Versprechungen und Forderungen der Parteien austauschbar. Der Wähler ist nicht dumm. Er hat die Masche der nach Macht Strebenden durchschaut. Selten haben die Parteiprogramme und Wahlreden der Politiker mit der Realität zu tun. Selten sagt jemand, wie es wirklich ist und wie es vielleicht sein wird. Warum sagt niemals ein Politiker, dass alles gut läuft. Warum lobt die Opposition nicht einmal die Regierung und umgekehrt. Weil es dazugehört. Und das merken die Wähler. Deshalb ist es auch nicht mehr als eine Pflichtübung, sein Kreuz zu machen. Es geht nicht mehr um Richtung, sondern um Machtkampf und Lobbydenken. Und dennoch gehe ich immer wieder zur Urne. Weil ich mir vorstelle, wie es ist, wenn man nicht wählen dürfte. Auch wenn meine Stimme vielleicht nichts ändert, bleibt mir wenigstens die Illusion dass ich daran beteiligt war. SERDAR SOMUNCU Musiker und Kabarettist

Es darf kein zusätzlicher Quadratmeter an Fläche versiegelt oder physisch verwertet werden. Rückbauprogramme für Kraftwerke, Flughäfen, Autobahnen, Parkplätze, Häfen, und Industriegebiete gäben Raum für ökologische Produktionssysteme frei. Auf ehemaligen Flughäfen und Autobahnen könnten Wind- und Solaranlagen stehen, um den Naturverbrauch zu stoppen. Der CO2-Fußabdruck aller Produkte und Dienstleistungen wäre offenzulegen, um langfristig eine individuelle CO2-Bilanz von nicht mehr als 2,7 Tonnen pro Jahr einzuhalten. Der Subventionssumpf wäre trockenzulegen. Arbeitszeitverkürzungen mit dem Fernziel einer 20-Stunden-Woche könnten den Industrierückbau sozial abfedern. Das Genossenschaftsprinzip, eine Finanzmarkt- und Bankenregulierungen, eine Vermögenssteuer sowie ein Verbot öffentlicher Werbung. Um nur Schlaglichter einer schrittweise einzuführenden, ökologisch und sozial stabilen Postwachstumsökonomie anzudeuten. NIKO PAECH Professor für Produktion und Umwelt

Ich plädiere für einen kreativen Umgang mit den Dingen, denn irgendwie muss diese Masse an nichtssagenden Großformaten weiterverarbeitet werden. Sicher ließen sich unterhaltsame Spielchen erfinden, die dieser Materialschlacht einen Sinn geben. Vielleicht mag irgendwer ein Quartett zur Ödnis der Parteienwerbung entwickeln? Ich bin überzeugt, dass Wahlplakate als Rohlinge für Adbusting dienen. Natürlich muss ich mich bei der CDU nicht wundern, wenn sie mit weißem, heterosexuellem Vater-Mutter-Kind-Idyll konservative Brauchtumspflege betreibt, sich aber modern vorkommt, wenn es irgendwas mit Vielfalt zu lesen gibt. Die Hinweise auf die Heteronormativität der Wahlwerbung und die Homophobie der Christdemokraten erfolgt dann – und dafür gibt’s auf jeden Fall Props! – durch die schriftgewordene Subversion, die das Plakat durch den Zusatz „Selbstverständlich no Homo“ wieder vervollständigt. SOOKEE, Rapperin

Die Energiewende ist eine große Chance für unser Land – wenn man sie denn richtig umsetzt. Die Energiewirtschaft steht zu dem Ziel, dass die erneuerbaren Energien zum Leitsystem der Zukunft werden, doch die Herausforderungen werden immer größer. Es geht vor allem um zwei Themen: die Reform der Förderung der Erneuerbaren und ein neues Energiemarktdesign. Von der Neuausrichtung der Energiepolitik hängt viel ab. Eine sichere Versorgung mit Energie ist Grundlage eines starken Wirtschaftsstandortes – und damit von Wohlstand und Beschäftigung. HILDEGARD MÜLLER Geschäftsführerin Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft.

Deutschland muss endlich den Mut aufbringen, darauf zu dringen, dass sich die EU zu Vereinigten Staaten von Europa weiterentwickelt. Mit einem Parlament, das (ohne in die verbrieften Rechte der nationalen Volksvertretungen einzugreifen) verbindliche Gesetze beschließen kann, mit einer echten Regierung und eigenen steuerlichen Einkünften. Europa ist eben mehr als der Euro: Nur gemeinsam können wir uns wirtschaftlich, vor allem aber politisch im internationalen Geschehen behaupten und unsere gemeinsamen Werte verteidigen. Umso bedauerlicher, dass das Thema im Wahlkampf geflissentlich totgeschwiegen wird. Das gilt vor allem für die Bundesregierung. Dabei habe ich Zweifel, ob Angela Merkel überhaupt eine Vorstellung davon hat, wie das künftige Europa aussehen soll. Sie ist eine gediegene machtpolitische Handwerkerin, doch der Mut zu glaubwürdiger Führung ist ihr fremd. Bedauerlich freilich, dass auch die SPD und die Grünen bisher eine grundsätzliche öffentliche Diskussion gemieden haben. EDZARD REUTER, Exvorstandschef der Daimler Benz AG

Aus der Ferne betrachtet unterscheiden sich die Unionsparteien in Deutschland nicht allzu sehr von der Sozialdemokratie, wenn man sich die Programme zur Innen- und Europapolitik ansieht. Obwohl in Polen die Ängste vor einer wachsenden Dominanz der Deutschen in Europa wachsen, wünschen sich viele Polen doch, dass die Deutschen ihre proeuropäische Haltung beibehalten. Der Wahlerfolg der Partei Angela Merkels scheint genau dies zu garantieren. Für einen Teil der Polen ist das poetische Projekt eines vereinigten Europas schon verblasst. Dennoch erwarten viele von ihnen, dass die Deutschen nach den Wahlen zum Bundestag nicht nur intelligente Manager des Wirtschaftsprojekts der EU sein werden, sondern auch einen neuen Impuls zur Verwirklichung des Traums eines vereinten Europas geben werden. STEFAN CHWIN, Schriftsteller

Ich finde es gut, dass der Staat sich um die Kunst kümmert. Doch die Kunst gleicht sich der Politik an, die alles andere als mutig ist. Kunst soll unsere Gesellschaft reflektieren. Vor allem aber soll die Kunst sich selbst reflektieren. Doch wie reflektiert man etwas, wenn man selbst Teil des Systems ist? Die Jüngere sind bereit, sich mit weniger zufrieden zu geben. Dass die Kultur nicht ist, wie sie sein soll, wird beschwiegen, vor allem von Kulturschaffenden, da diese fürchten, die nächsten zu sein, die das System frisst. Ich habe Kultur stets als Gegenentwurf zum Kapitalismus verstanden. Es ist naiv zu hoffen, dass die Kunst sich darauf zurückbesinnt. Ich tue es trotzdem. NINO HARATISCHWILI Theaterregisseurin

Es sollte ein Dekret für ein verpflichtendes Schulfach zur Technikkompetenz geben. Für Kinder ab der 1. Klasse und ausschließlich mit freier Software! Außerdem müssen alle Mitarbeiter der Geheimdienste in Deutschland beurlaubt werden, bis eine Kontrolle der Dienste gewährleistet ist. Wenn ich Königin wäre, wäre eine wichtige Sofortmaßnahme: Exportverbot aller Zensur- und Repressionstechnologien aus Deutschland! CONSTANZE KURZ Sprecherin Chaos Computer Club

Ich bin überzeugter Demokrat. Deshalb bin ich empört, dass die Bundesregierung nicht adäquat auf den Abhörskandal reagiert. Dieser laxe Umgang damit ist Indiz dafür, dass die demokratische Grundlage Deutschlands infrage gestellt wird. Was ich mir wünsche, ist ein Stück mehr Ehrlichkeit in der Politik – doch taktische Überlegungen und eine zu große Abhängigkeit von der Industrie verhindern dies leider zu oft. RANGA YOGESHWAR Journalist und Moderator

Ich würde die besten Leute des Landes zusammenholen und einen Plan machen, damit wir endlich wieder eine Zukunftsvision entwickeln können. Ich würde mit dem Dogma brechen, dass Zukunft eine lineare Verlängerung der Vergangenheit ist, und würde versuchen, Zukunft zu antizipieren und ein Gesellschaftsbild darauf zu entwickeln, das gerechter, nachhaltiger, lustvoller und visionärer wäre. Was mich momentan kaputtmacht, ist das absolute Fehlen einer politischen Strategie; eine Vision, an der man sich orientieren kann. Mir fehlt die Debatte, mir fehlt der Streit. Und dass die guten Leute in diesem Land irgendwie gehört werden. CLAUDIA LANGER Gründerin von Utopia.de

Wenn ich König von Deutschland wäre, wäre ich eine Königin

alle sollten nackt sein

mit bunten Schleifen

und jeder, der ein böses Wort sagt

müsste sich einen Tag lang

an die Nase fassen

ROSA VON PRAUNHEIM , Regisseur

Um irgendetwas geht es ja bei immer. Dieses Mal etwa soll alles bleiben, wie es ist, denn den Deutschen geht es bombig. Deshalb werden sie Angela Merkel wiederwählen. Im Rest Europas ist die Stimmung zwar nicht so super, und im grössten Teil der Welt schon gar nicht, aber das ist ja das, was den Deutschen gut gefällt. CHRISTIAN Y. SCHMIDT Journalist

Am 23. September 2017, einen Tag vor den Wahlen zum 19. Deutschen Bundestag schlagen die Wogen nochmals richtig hoch. Eine oppositionelle Koalition aus der Linken und einer neuen Mittelstandspartei haben im Wahlkampf mit ihrem Programm für ein gerechtes und soziales Deutschland mächtig aufgeholt. Nach dem Vorbild der bürgerlichen Schweiz und gegen den wütenden Widerstand der deutschen Regierung planen sie eine Volksabstimmung über die gerechte Entlohnung von Managern. NIKOLAUS BRENDER, Journalist