Demütigungen mit System

AUSSTELLUNG Ehemalige Insassen berichten von ihrer Zeit in der Landesfürsorgeanstalt Glückstadt. Dort ging es hart zu, die unausgebildeten Erzieher setzen alles daran, den Willen ihrer Schützlinge zu brechen

Fakt ist, dass sich der Jugendliche nach drei Wochen Einzelhaft das Leben nimmt

„Das war kein Heim, für mich ist das Knast gewesen!“ Der, der das sagt, den haben seine Eltern dort hin gebracht – und ihn später per Anwalt wieder herausgeholt. „Wenn das nicht passiert wäre und ich wäre drinnen geblieben, ich wäre ein anderer Mensch geworden, aber hundertprozentig.“

Dort drinnen – das war die Landesfürsorgeanstalt Glückstadt, eine ehemalige Korrektionsanstalt, eine ehemalige Landesarbeitsanstalt, zeitweise auch ein Konzentrationslager, in der von 1949 bis 1974 Jugendliche im Rahmen der geschlossenen Heimerziehung untergebracht waren. Nun erzählen die Insassen von ihrer Zeit in Glückstadt und bemühen sich, sich beim Wiedergeben des Erlebten von ihren Gefühlen nicht überwältigen zu lassen: Zu sehen in den Videostationen der Wanderausstellung „Für.Sorge.Erziehung – Zur Geschichte der Fürsorgeerziehung in Schleswig-Holstein“ und auf der beigefügten DVD zum begleitenden Buch.

Aus allen Bundesländern werden Jugendliche nach Glückstadt verfrachtet – weil es hier eine Spur härter zugeht; weil hier die unausgebildeten Erzieher alles dran setzen, den letzten Willen ihrer Schützlinge zu brechen. Nach Schleswig-Holstein füllt besonders Hamburg beständig die Schlafräume und Zellen auf.

Welcher Geist in Glückstadt herrschte, wird exemplarisch deutlich anhand der so genannten Revolte am 7. Mai 1969: Nachdem Gerichtstermine, in denen die Dauer der weiteren Heimunterbringung festgelegt werden sollten, erneut verschoben werden, demolieren die Jugendlichen die Inneneinrichtung, bewerfen die Erzieher mit allem, was sie in die Hände bekommen – bis diese sie überwältigen und zusammen schlagen. Während Historiker keine diesbezüglichen Unterlagen gefunden haben, sind sich die ehemaligen Insassen absolut sicher, dass damals bewaffnete Marinesoldaten auf den Dächern der Anstalt Position bezogen. Fakt ist, dass sich der Jugendliche, der von der Heimleitung als Rädelsführer benannt und in Isolation gesteckt wurde, das Leben nimmt: nach drei Wochen Einzelhaft.

Neben den eindrücklichen Schilderungen eines Systems, das allein auf Demütigung und Bestrafung, auf Einschüchterung und offener Gewalt beruht, bieten Ausstellung wie Publikation einen wahrhaft spannenden Einblick in die Dynamik von Politik und Verwaltung und berichten vom absoluten Versagen der Politik gegenüber den örtlichen Behörden: Denn es mangelt über die Jahrzehnte nicht an Initiativen aus dem Kieler Landtag heraus, das Heim, das nach Inspektionen regelmäßig schon baulich als völlig ungeeignet beschrieben wird, lieber heute als morgen zu schließen. Allein die Jugendbehörde in Kiel und die verschiedenen lokalen Ämter vermögen es ohne große Anstrengung, derartige Pläne schon bald wieder auszubremsen. Schon damals wird übrigens ein heute vertrautes Argument genutzt: Es sei schlicht nicht bezahlbar, die Jugendlichen anders unterzubringen.

Überhaupt können sich die Anhänger einer Zwangserziehung bis zum Schluss auf die Verwaltungen nicht nur in Kiel verlassen: Als Ende 1974 das Heim endlich geschlossen wird, bedauert dies die Jugendbehörde Hamburg ausdrücklich. FRANK KEIL

bis 9. Juli im Berufsbildungszentrum Schleswig, Flensburger Str. 19; im August und September im Kieler Rathaus, www.fuer-sorge-erziehung.de