Zwischen Schränken ein Mensch

HAUSBESUCH Sie zögerte erst – ein Theologe? Aber dann gab es doch Leidenschaften. Bei den Cordts in Neumünster

VON FRIEDERIKE GRÄFF
(TEXT) UND MIGUEL FERRAZ (FOTOS)

Neumünster in Schleswig-Holstein, Stadtteil Einfeld, zu Hause bei Gunhild, Christian und Margarethe Cordts.

Draußen: Der linke Backsteinwürfel ist das Pfarrhaus, der rechte das Gemeindehaus. Davor eine Durchgangsstraße, die Bushaltestelle direkt vor der Tür. Weiter hinten am See liegen die Villen von Neumünster-Einfeld, hier stehen Einfamilienhäuser.

Drin: Essecke, daneben die Sofaecke, gegenüber das Klavier. In den Bücherregalen Krimis von Gunhild und Friesischbücher von Christian. Auf dem Tisch steht noch die Weihnachtsdekoration.

Wer macht was? Gunhild kümmert sich um den Garten und lässt niemanden sonst dort herumwerken. Beim Kochen wechseln sie und Christian sich ab, an den Wochenenden übernimmt auch mal Margarethe. Um die Wäsche kümmern sich Gunhild und Christian, über das Sortiersystem sind sie sich uneinig.

Wer denkt was? Gunhild ist stolz, dass ihre Schule die vielen Bildungsreformen überlebt hat. Als Schulleiterin einer Grund- und Gemeinschaftsschule ist sie froh, wenn sie auch mal unterrichtet, Mathe oder Technik. Christian ist Pastor und freut sich in seiner Gemeinde über das, was die Mitglieder selbst auf die Beine stellen: das Gemeindecafé etwa oder den Posaunenchor. Margarethe will nach dem Abi Chemie studieren. Sie findet es nicht schlimm, Pfarrer- und Lehrerstochter auf einmal zu sein: In der Schule fiel es nicht so auf, weil sie und ihre Mutter unterschiedliche Namen tragen. Und im Pfarramt stellt sie sich auch mal tot, wenn abends die Leute vom Posaunenchor klingeln. „Ich weiß eh nicht, wo die Noten sind, die sie suchen.“

Gunhild: Geboren in Neustadt (Holstein). Sie hat neben dem Chemie- und Mathematikstudium auch eine Tischlerlehre gemacht. Sie wäre gern in Kiel geblieben, wo sie studiert hat, hat sich aber mit Einfeld arrangiert. Wenn es der Familie zu öde wird, reist sie nach Berlin, wo der Sohn Morten studiert. In drei Jahren plant sie ein Sabbatjahr, will ihre Kusine in Australien besuchen und für drei Monate in einen Kibbuz nach Israel. Das war ihr Traum schon als Schülerin und seitdem die Kinder gezeigt haben, dass man sich mal abseilen kann, plant sie das auch.

Christian: Er belebt sich sehr, als vom Friesischen die Rede ist. Er ist als achtes von neun Geschwistern auf der Nordsee-Insel Föhr aufgewachsen und hat Friesisch bei den Nachbarn gehört. Die Gemeinde guckt, was die Pfarrersfamilie so macht, aber die Sozialkontrolle ist längst nicht mehr so stark wie früher, sagt er.

Margarethe: Nach dem Abi will sie erst einmal wieder ins Ausland. Als Schülerin war sie ein Jahr in Costa Rica, ohne bereits Spanisch zu können, sie hat sich am Anfang mit Händen und Füßen verständigt.

Das erste Date? Christian hatte eine Kontaktanzeige in einer Studentenzeitung aufgegeben, erstes Treffen im Juni 1983. Danach war Gunhild nicht so ganz überzeugt: mit Theologie konnte sie wenig anfangen und sein Zimmer war zugestellt mit Schränken voller Zeitungen, unter anderem Konkret und Titanic. Aber: „Er blieb hartnäckig“, sagt sie. Eine Sache, die sie schon damals gemeinsam hatten: politisches Interesse – sie waren gemeinsam auf Demos in Kiel für besetzte Häuser und, „natürlich“, in Brokdorf.

Die Hochzeit: Sie sind zur standesamtlichen Trauung nach Dänemark gereist, weil Gunhild ihren Namen behalten wollte. Doppelnamen findet sie blöd. Der Standesbeamte trank bei jeder Trauung einen Schnaps, sie waren das 16. Paar des Tages.

Der Alltag: Weil sie verschiedene Arbeitszeiten und -stile haben, verabreden sich Gunhild und Christian bewusst. Beide zieht es zum Handball. „Besser als Tatort gucken“, sagt Gunhild. „Man vergisst alles.“ Sie haben echte Fanausrüstung: T-Shirt, Schal, Brotdose und Sparbüchse mit Vereinslogo. Das Problem: Er ist Fan von SG Flensburg-Handewitt, Gunhild vom THW Kiel. Sie arrangieren sich damit. Wenn THW gegen Flensburg spielt, kommt Gunhild aber nicht mehr mit, weil sie mit ihrem THW-Schal dumm angemacht wurde. Margarethe hat wenig freie Zeit. „Ich könnte mehr für die Schule machen“, sagt sie, trotzdem bleibt in einer Woche mit vier Vorabiturs-Klausuren nicht viel Freiraum. Sie spielt Klavier, Klassik, aber auch Jazz und Blues und versucht, jeden Tag wenigstens ein bisschen zu üben. An den Wochenenden ist sie oft bei Seminaren der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, dem ehrenamtlichen Verein, mit dem sie in Costa Rica war. Sie bereitet Jugendliche darauf vor, ins Ausland zu gehen. Zum Ausgehen fährt sie nach Kiel – oder nach Berlin zum Bruder, der ist drei Jahre älter, nimmt sie aber trotzdem mit zu Konzerten.

Was halten Sie von Merkel? Gunhild findet es gut, dass eine Frau, dazu aus einem Pfarrhaus, es an die Spitze geschafft hat. Gewählt hat sie sie trotzdem nicht. Christian ist unglücklich mit dem, was bislang passiert ist in der „neoliberalen Zeit“. Er hofft, dass Menschen mit weniger guten Ausgangsbedingungen unter der neuen Regierung „mehr Chancen bekommen“. Margarethe ist „eher links“, dass Merkel die erste Frau im Amt ist, beeindruckt sie nicht: „Costa Rica hat auch eine Präsidentin.“

Wann sind Sie glücklich? Gunhild: „Beruflich, wenn die Kollegen möglichst wenig krank sind.“ Privat, wenn die Familie etwas Schönes macht, zum Beispiel der Herbsturlaub auf der Kanareninsel El Hierro. Christian: Wenn Flensburg gegen Kiel gewinnt. Margarethe: „Wenn ich Spaß mit Freunden habe oder beim Klavierspielen.“

Nächstes Mal treffen wir Manfred Burkhart in Freiburg. Wenn Sie auch besucht werden möchten, mailen Sie an hausbesuch@taz.de