„Ausrotten wird man Doping nie“

OLYMPIA Doping-Experte Wilhelm Schänzer glaubt, dass auch bei den Spielen von Sotschi vor allem die Klassiker der unerlaubten Leistungssteigerung zum Einsatz kommen

■ Jahrgang 1951, gilt als einer der führenden deutschen Doping-Experten. Der Biochemiker leitet seit 1995 das Institut für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule in Köln und das ebenfalls dort angesiedelte Dopingkontroll-Labor.

INTERVIEW SUSANNE ROHLFING

taz: Herr Schänzer, am Freitag beginnen die Winterspiele in Sotschi. Freuen Sie sich darauf?

Wilhelm Schänzer: Ja, Olympische Spiele sind ja immer ein Highlight.

Wie muss man sich das vorstellen: Professor Schänzer, der Dopingfahnder, fiebert vor dem Fernseher mit?

Vielleicht fiebere ich nicht ganz so mit, weil ich doch etwas Abstand habe. Ich finde Sport dann interessant, wenn es spannend ist. Nicht, wenn einer ganz weit vorn ist und alle anderen hinterherlaufen.

Ihr Job hat Ihnen den Spaß am Spitzensport nicht verdorben?

Ich weiß, dass es viele Disziplinen gibt, in denen Doping die Leistung sehr stark beeinflussen kann. Wenn ich einen Skilanglauf über zehn Kilometer sehe, schaue ich mir schon an, wer da vorn mitläuft. Sind das Athleten aus Sportsystemen mit guten Dopingkontrollen? Wenn ich aber Disziplinen mit hohen technischen Anforderungen sehe, etwa das Eiskunstlaufen, dann denke ich eher nicht an Doping.

Können Sie sagen, wer gedopt ist und wer nicht?

Nein, das würde ich nicht wagen, da habe ich schon zu viele Überraschungen erlebt. Ich mutmaße auch, genauso wie Sie und andere. Und bei bestimmten Athleten aus bestimmten Ländern bin ich misstrauisch, weil man weiß, dass die Qualität der Kontrollen außerhalb der Wettkämpfe etwa in Osteuropa noch sehr gering ist. Aber man muss immer auch die individuelle Entwicklung sehen. Im Wintersport bin ich da nicht so gut. Ich bin in der Leichtathletik groß geworden. Man muss sich schon auskennen in einer Sportart, dann kann man Leistungen erkennen, die nicht so einfach zu erklären sind. Deshalb bin ich sehr vorsichtig mit schnellen Vermutungen.

Könnte man der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein Unrecht getan haben, die 2009 als weltweit erste Spitzensportlerin allein auf Grund von Indizien eine Dopingsperre erhalten hat?

Bei Pechstein gibt es viele Daten, die im Nachhinein zusammengetragen wurden und die zeigen, dass sie auf Grund einer vererbten Anomalie ein außergewöhnliches Blutbild hat. Aus meiner Sicht ist die Datenlage bei Frau Pechstein nach heutigem Stand nicht ausreichend, um sie des Dopings zu bezichtigen.

Nach damaligem Stand aber war sie es?

Der Welteislaufverband hatte damals sein Blutpassprojekt, aber mögliche Blutanomalien zum Beispiel sind viel zu spät in dieses Verfahren mit eingebunden worden.

Eine Sperre aufgrund von Indizien im Blutpass kann also schon richtig sein?

Das Blutpassprogramm, so wie wir es heute anwenden, erfasst mehr Parameter als nur die Retikulozytenwerte wie bei Frau Pechstein. Diese können extreme Abweichungen aufweisen, das wissen wir heute. Wenn man das früh genug in das Verfahren einbezogen hätte, wäre Pechstein gar nicht gesperrt worden.

Es gibt Experten, die sehr viel extremer gegen das Dopingproblem im Spitzensport wettern als Sie. Der Molekularbiologe Perikles Simon etwa sagte, er gehe davon aus, dass in Sotschi rund 60 Prozent der Athleten gedopt sein werden. Dessen Kollege Werner Franke meint, auch der olympische Wintersport sei „total versaut“. Wie sehen Sie die Lage?

Solche Schlagzeilen verkaufen sich natürlich immer ganz gut. Ich bin da vorsichtiger. Doping ist natürlich nach wie vor ein Problem. Wir versuchen, durch verbesserte Programme eine Erhöhung der Abschreckung zu erreichen. Wir wissen aber auch, dass nicht alle überall gleich gut kontrolliert werden. Und wir wissen, dass es trotz Blutpass noch Möglichkeiten gibt, mit Eigenblutdoping zu manipulieren. Aber da eine Dunkelziffer anzugeben halte ich für schwierig.

Simon bezieht sich auf Umfragen unter Sportlern.

Diese ganzen Umfragen muss man sehr kritisch sehen. Da wird dann gefragt: Haben Sie irgendwann schon mal eine Dopingsubstanz genommen? Na klar, es gibt ja zum Beispiel Substanzen, die nur im Wettkampf verboten sind. Stimulanzien wie Cannabis etwa. Die stehen auf der Dopingliste, aber außerhalb des Wettkampfes haben viele die schon mal eingesetzt. Da ist dann die Frage: Wie sauber ist diese Abfrage? Diese hohen Zahlen können in bestimmten Sportarten im Spitzenbereich in der Vergangenheit so zutreffend gewesen sein. Ob sie es heute noch sind? Da wäre ich vorsichtig.

Können Sie sagen, welche Mittel zurzeit hoch im Kurs stehen bei den Dopern?

Zumindest hoffen wir, dass wir da eine Ahnung haben.

Welche sind es?

Nach wie vor anabole Steroide. Gerade dort, wo außerhalb des Wettkampfes nicht genügend kontrolliert wird. Durch eine verbesserte Analytik haben wir in der letzten Zeit sehr viele Athleten vor allem aus Osteuropa überführt. Dann spielen Epo und seine Analogen zur Verbesserung der Sauerstoffaufnahmefähigkeit weiterhin eine Rolle. Niedrig dosiert und geschickt appliziert, so wie es Lance Armstrong gemacht hat, ist das nur vier bis fünf Tage nachweisbar.

Und wie lange wirkt es?

Damit es überhaupt wirkt, muss ich es über eine längere Zeit nehmen, zwei, drei, vier Wochen. Wenn ich dann Kontrollen setze, erwische ich den Athleten auch. Nach so einer Epo-Kur hält die Wirkung aber sicherlich zwei, drei Wochen an, also auf jeden Fall länger als die Nachweisbarkeit. Deshalb sind Trainingskontrollen ja so wichtig.

Was ist mit Sportlern, die neue, noch unbekannte, vielleicht sogar gefährliche Substanzen einnehmen?

Wer weiß das schon? Ich denke, es wird in erster Linie versucht, mit den Substanzen zu arbeiten, bei denen sich über die Jahre eine deutliche Wirkung gezeigt hat. Und mit Substanzen, die eine Ähnlichkeit zu Stoffen haben, die der Körper selbst produziert. Bei Epo und anabolen Steroiden ist das der Fall. Wir haben in den letzten Jahren immer versucht herauszufinden, was in der Pipeline ist. Aber gerade nach den Aussagen von Lance Armstrong fühle ich mich bestätigt: Es werden die Klassiker benutzt.

GW 1516, das offenbar Krebs verursacht und aus der klinischen Forschung genommen wurde, sowie Aicar, das noch nicht als Medikament zugelassen ist, sollen den Fettstoffwechsel beeinflussen und bereits von Sportlern zu Dopingzwecken genutzt werden.

Dass Substanzen möglicherweise gefährlich sind, hindert Athleten nicht daran, sie zu nehmen. Wer raucht, weiß ja auch, dass er Krebs bekommen kann. Das schreckt anscheinend nicht ab. GW 1516 und Aicar sind auf die Dopingliste gesetzt worden, weil man im Tierversuch festgestellt hat, dass diese damit ausdauernder werden. Ob das beim Menschen effektiv ist, wissen wir nicht. Die Mittel werden auf dem Schwarzmarkt gehandelt, aber ob sie der große Renner sind? Ich bin da im Augenblick sehr skeptisch. GW 1516 können wir sehr gut nachweisen. Aicar wird auch im Körper produziert, aber wir haben hier im Haus ein Nachweisverfahren entwickelt. Wenn das zugelassen wird, können wir in Nachanalysen überprüfen, ob diese Substanz wirklich ein Problem war.

Hat der Sport eine Chance?

Ausrotten wird man Doping nie. Aber ich denke, die Abschreckung ist in den letzten Jahren erhöht worden. Wenn man dann sieht, dass auch Leute wie Lance Armstrong überführt werden können, ist das ein großer Erfolg.