Wie im Real Life

INTERNET Die meisten Blogs im Netz stammen von Frauen. Doch wenn diese gehört werden wollen, gelten sie als karrieregeil

Eine selbstbewusste Frau wird mit Beleidigungen unter der Gürtellinie überschüttet

VON KATRIN STROHMAIER

Im Netz hätte alles anders werden können: Mehr Gleichbehandlung, eine Loslösung von alten Geschlechterrollen. Doch das Internet ist ein von Männern dominiertes Medium, wie eine aktuelle Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen nahelegt: In Deutschland sind 79 Prozent der Männer und nur 65 Prozent der Frauen online. In den „deutschen Blogcharts“ befinden sich die wenigen Bloggerinnen, die eine eigene Seite betreiben, auf den hinteren Rängen.

Ende des vergangenen Jahres heizte die deutsche Soziologin und Bloggerin Anne Roth die Debatte um das Geschlechterverhältnis in der Blogosphäre an: Sie stellte fest, dass mit „Mondgras“ das erste Blog von einer Frau auf Platz 35 der Charts auftauchte, zurzeit ist es Platz 46. Betreiberin Sarah Kroschel schreibt auf ihrer Seite vorwiegend über ihre Kaninchen oder über Maßnahmen zur Gewichtsregulierung.

Ein Beispiel dafür, was FeministInnen und SozialwissenschaftlerInnen weiblichen Bloggern attestieren: Frauen schreiben seltener als männliche Nutzer über Themen wie Technik, Medien oder Politik, die mehr Öffentlichkeit finden. Eine Studie der Ruhruniversität Bochum zeigt, dass 75,9 Prozent der Blogs, die Frauen schreiben, reine Tagebuchblogs sind. Bei den Männern sind es nur 37,1 Prozent. Zu diesem Schluss kommt auch der empirische Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger: „Frauen fühlen sich seltener ermächtigt, öffentlich zu sprechen“, sagt er. „Das ist das Ergebnis jahrelanger kultureller Prägung.“ Er nennt es den „langen Arm des Real Life“: Die Welt außerhalb reproduziert sich im Netz, obwohl nach Schönbergers Analyse zwei Drittel aller Blogs von Frauen stammen.

„Wenn man Frauen suggeriert, dass sie in einem Fachgebiet schlechter sind, dann sind sie das in der Folge auch tatsächlich“, sagt Anke Domscheit-Berg vom European Womens Management Development Network (EWMD). Würden Mädchen anders sozialisiert, sagt die 42-jährige Trägerin des Berliner Frauenpreises, würden sie sich auch für Technik interessieren und darüber reden. „Das war in der DDR so und ist heute noch in osteuropäischen Ländern der Fall – in Bulgarien sind 50 Prozent der Informatikstudenten Frauen.“

Frauen seien durch Beruf und Familie zudem schlicht vielfältiger belastet, außerdem unterschätzten sie die Bedeutung von Netzwerken erheblich. Frauen empfänden es eher als Missbrauch einer sozialen Beziehung, was für Männer normal ist: netzwerken, um voranzukommen.

Daneben hapere es oft an technischem Wissen, sagt Annina Luzie Schmid. Die 26-Jährige startete im März die Initiative „Girls Can Blog“, auf der Seite stehen Blogs aus über 40 Ländern.

Zum Beispiel das feministische Blog „Mädchenmannschaft“. Autorin Verena Reygers versucht, die Bloggerinnen auf Onlinediskussionen vorzubereiten. „Wir wollen Frauen starkmachen, an Diskussionen teilzunehmen, mitzureden und ihnen auch ein Stück weit ein dickeres Fell mit auf den Weg zu geben“, sagt sie.

Domscheit-Berg bloggt selbst und hat oft erlebt, wie gerade Frauen unsachlich kritisiert, sexistisch angemacht und beleidigt werden: „Eine selbstbewusste Frau mit einer erfolgreichen Karriere wird dann als männerhassende, karrieregeile Egoistin dargestellt, mit Beleidigungen unter der Gürtellinie überschüttet und bloßgestellt.“ Wer als Frau gehört werden will, muss einiges über sich ergehen lassen. Wie in der analogen Welt, trotz aller Lobgesänge auf den egalitären Charakter des Netzes.