Wieder Zeit für Gefühle

POP Desiree Klaeukens hat nichts dagegen, wenn man sie altmodisch Liedermacherin nennt – jetzt ist ihr Debütalbum erschienen

VON THOMAS WINKLER

Wenn man will, kann man sehen, wie Desiree Klaeukens so wohnt. Es steht nicht viel drin in ihrem Zimmer, das die Kulisse bildet zum Videoclip ihres Liedes „Warm in meinem Herz“. Ein schmales CD-Regal, ein paar Platten und Bücher in Obstkisten, eine Gitarre an der Wand, eine Schreibmaschine, Schrank und Bett. Es ist ein karges Leben. „Ich mag das, so wenig im Zimmer zu haben“, sagt Klaeukens, „sonst verliere ich noch den Überblick.“

So wie ihr Zimmer aussieht, so klingt die Musik von Klaeukens. Klar und deutlich steht ihre Stimme im Mittelpunkt der Songs auf ihrem ersten und ziemlich großartigen Album „Wenn die Nacht den Tag verdeckt“. Ihrer Band gelingt es währenddessen, das Möglichst-gar-nicht-Spielen zu einer Kunstform zu erheben. „Ich arbeite gern mit wenig, ich mag das nicht zukleistern“, sagt Klaeukens, „ich mag die Wand lieber ohne Tapete.“

Ohne Tapete sind die Risse und Löcher, die Kanten und Furchen in der Wand, die Spuren des Lebens eben, besser zu sehen. Man kennt das aus der Politik, den Wunsch nach höchstmöglicher Transparenz. Aber wie in der Politik ist dieser Wunsch auch in der Popmusik, die mit Bildern und Masken, Sehnsüchten und Versprechungen spielt, eher ein frommer. Klaeukens aber mag sich auf dem Cover ihres Debütalbums, auf der Bühne und auch im echten Leben stets und immer unter einer Mütze verstecken, in ihren Songs lässt sie den Hörer so dicht an sich heran wie die Kamera in ihr Zimmer.

Sie singt davon, wie der Winter einzieht in ihren „eigenen verdammten vier Wänden“, sie singt vom Regen, der „das Salz aus unseren Wunden“ wäscht, davon, dass das Fliegen erst dann anfängt, wenn „die Angst zu fallen“ endlich aufhört. Sie singt, wie schlimm es ist, zu sehr zu wollen, aber auch wie schwierig es sein kann, jemanden zu haben. Sie singt von der Liebe, aber auch vom Sex und davon, dass man heute morgen noch dachte, das eine oder das andere wäre in der Lage, die Welt zu retten – und vor allem von der Enttäuschung, die sich einstellt, wenn man herausfindet, dass es doch komplizierter ist. „Natürlich sollen sich andere in diesen Liedern wiederfinden können“, sagt sie, „aber ich bin das schon, das ist autobiografisch.“

Ein Konzept ist das nicht. „So bin ich halt, dass ich Menschen gern reinlasse, ich habe da keine Widerstände“, sagt sie im Hinterzimmer einer Kneipe im noch nicht vollständig durchgentrifizierten Teil von Prenzlauer Berg. „Ich mache das, was ich mache. Ich sage das, was ich sage. Und das kommt dann eben sehr authentisch rüber, weil ich keine Rolle spiele.“ Selbst gegen die belastete Berufsbezeichnung Liedermacherin hat sie – im Gegensatz zu vielen ihrer Altersgenossen – nichts einzuwenden. „Ein altmodischer, aber schöner Begriff“, sagt sie, „das klingt nach Handwerk, das klingt wie ich.“

Die prägende Tom-Zeit

Mit Handwerk kennt sie sich aus, schließlich hat die heute 28-Jährige, die in Duisburg geboren und aufgewachsen ist, eine Lehre als Kfz-Mechatronikerin abgeschlossen. Das Gitarrespielen dagegen hat sie sich größtenteils autodidaktisch, nur unterstützt von einem Volkshochschulkurs, beigebracht. Ihre erste Gitarre bekommt sie mit 16. Mit 17 entdeckt sie die Musik des Duisburger Lokalheroen Tom Liwa und seiner Flowerpornoes. Es folgt, was sie heute „meine prägende Tom-Zeit“ nennt.

Mit 19 lernt sie ihren Helden dann bei einem Konzert kennen, arbeitet später sogar eine Zeit lang mit dem großen Grummelbarden Liwa zusammen, aber das begonnene Album wird nie erscheinen. Noch im Ruhrgebiet lernt sie Florian Glässing kennen, der ihr musikalischer Partner wird und bis heute in ihrer Band spielt. Und außerdem Niels Frevert, noch so einen Singer/Songwriter. Der ehemalige Sänger von Nationalgalerie wird ihr „ein sehr guter Ratgeber“, gibt „den letzten Anstoß, doch noch dieses Album aufzunehmen“, und produziert „Wenn die Nacht den Tag verdeckt“ schließlich auch.

In Berlin lebt sie seit 2010, auch weil man von hier aus einfacher eine Karriere als Musikerin starten kann als von Duisburg aus. Seitdem hat sie – bei vielen Auftritten, etwa auch im Vorprogramm von Frevert, Gisbert zu Knyphausen oder Die Höchste Eisenbahn – festgestellt, dass ihre Art, ihr Leben in Songs zu verarbeiten, nicht nur ihr selbst hilft, „den ganzen Mist rauszulassen“, sondern offensichtlich auch anderen Menschen etwas gibt: „Ich habe das Gefühl, es ist wieder Zeit für Gefühle.“

Das Interesse an Klaeukens’ Musik ist da, die ersten Kritiken sehr positiv. Trotzdem jobbt sie noch, zwar nicht in einer Autowerkstatt, aber in einem Plattenladen – und das wird auch noch eine Weile so bleiben. „Es wäre eine Illusion zu glauben, man könnte irgendwann von der Musik leben“, sagt sie. „Aber das ist schon okay, ohne Job würde mir auch die Decke auf den Kopf fallen.“ Außerdem würde jemand, der keine Geschichten erfinden mag, so ganz ohne ein herzlich normales Leben wohl keine Geschichten mehr erleben, die es zu erzählen lohnt.

Es gibt einen weiteren Videoclip zu einer älteren, roheren Version von „Warm in meinem Herz“. In dem baut sie sich aus herumstehendem Sperrmüll ein Wohnzimmer auf dem Gehweg vor einem Mietshaus. Desiree Klaeukens mag mittlerweile in einem eigenen Zimmer wohnen, sie mag in Berlin eine Heimat gefunden haben, aber finden kann man sie am besten dort, wo sie ganz bei sich ist: in ihren Liedern.

■ Desiree Klaeukens: „Wenn die Nacht den Tag verdeckt“ (Tapete/Indigo) Live 16. 2. im Vorprogramm von Die Höchste Eisenbahn im Lido