Weg von der Ressourcenfrage

Auf ihrem Zukunftskongress suchen die Grünen nach einer „Grünen Marktwirtschaft“. Doch das Konzept greift zu kurz, weil es den Wandel zur Wissensgesellschaft unterschätzt

Wissen wird niemals knapp. Das hat Folgen, wenn alle Waren sich in Wissensprodukte verwandelnEs wäre falsch, sich auf „Weg vom Öl“-Fragen zu beschränken. Die Ressourcen werden immer unwichtiger

An diesem Wochenende tagt in Berlin der „Zukunftskongress“ der Grünen. Doch was bedeutet dieser Kongress für die Zukunft der Grünen? Viele Workshops dort befassen sich mit Themen wie Grundsicherung und neue Arbeit, mit Klimawandel und gerechter Globalisierung, mit Bildung, Demografie, Patentrechten oder Unternehmensteuern. Das wirkt zunächst sehr heterogen, doch hat der Zukunftskongress eine hidden agenda: Er will den Neoliberalismus überwinden, der auf die „freie“ Marktwirtschaft und die entfesselte Kraft der Unternehmen setzt.

Als Alternative fordern viele Grüne eine „Grüne Marktwirtschaft“. Dazu gehört auch die Formel „Weg vom Öl“. Öl wird knapper, Öl wird teurer, also sollte es durch Biokraftstoffe ersetzt werden. Selbstverständlich ist diese Strategie richtig. Dennoch zeigt sich darin ein Grundproblem vieler Grüner: Sie vertrauen noch viel zu sehr auf den Markt und sehen ihn als geeignetes Instrument, um ein politisches Anliegen wie den sparsamen Umgang mit Ressourcen durchzusetzen. Doch die Politik kann nicht mehr allein auf „Marktwirtschaft“ setzen, sei sie nun „grün“, „sozial“ oder „frei“.

Denn die klassische Marktwirtschaft, sie funktioniert nicht mehr: Sie löst sich auf. Dies hat mit einem Phänomen zu tun, das unter dem Label „Wissensgesellschaft“ firmiert. Was dieser Wandel bedeutet, wird jedoch meist radikal unterschätzt: Die Mehrheit verbindet damit nur den Gedanken, dass die Bedeutung von Bildung zunimmt. Die Wissensgesellschaft erscheint dabei als eine Art Turbo-Industriegesellschaft: Mit Hilfe von ganz viel Bildung wird ganz viel Wissen erzeugt, das dann die bisherige Palette von Gebrauchsgütern erneuert. Autos, Fernseher, Kühlschränke werden ergänzt oder ersetzt durch neue Hightech-, Nano- oder Intelligenz-Produkte. Ansonsten aber bleibt in dieser Vorstellung die Ökonomie weitgehend, wie sie war: die Investitionen, ihre Amortisation durch verkaufte Waren oder der Markt als zentraler Vergesellschaftungsmechanismus.

Tatsächlich jedoch folgt eine Wissensökonomie einer völlig anderen Logik als die Industriegesellschaft: Anders als Rohstoffe wird Wissen nicht knapp. Dies gilt genauso für Wissensprodukte. So ist ein Computer-Betriebssystem kein Verbrauchsgut, sondern ein Konzept. Ob es eine Million Mal verwendet wird oder aber 100 Millionen Mal, spielt für die Herstellungskosten keine Rolle. Sein Wert verringert sich nicht durch Gebrauch – der Wert wird sogar eher größer, wenn etwa ein Betriebssystem zum Weltstandard wird. Gleiches gilt für Medikamente: Dort ist die Rezeptur das Entscheidende. Die Produktionskosten für eine Tablette sind verschwindend gering.

Der Übergang zur wissensgesellschaftlichen Produktion stellt die Unternehmen vor erhebliche Schwierigkeiten. So brennt Microsoft etwa sein Computer-Betriebssystem auf CDs, die einzeln verkauft werden: Damit wird künstlich Knappheit erzeugt und das klassische Verbrauchsgut quasi simuliert. Doch bleibt das Problem der beliebigen Reproduzierbarkeit. Also wird versucht, mit technischen und rechtlichen Mitteln jedwedes Kopieren unmöglich zu machen. Das ist völlig neu: Im Prinzip müssen alle Eigentumsrechte der Käufer außer Kraft gesetzt werden, damit der Verkäufer seine finanziellen Rückflüsse sichern kann. Mit aller Macht versucht Microsoft die Kontrolle über die Rechner seiner Kunden zu erlangen. Dies ist eine Vergesellschaftung völlig neuer Art.

Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass diese Tendenz nur für reine Wissensprodukte gelte. Auch beim normalen Gebrauchsgut, etwa einem Hühnerei, ist entscheidend, durch welches Konzept man zu einem gesunden Hühnerei kommt; der Wert von Dotter, Eiweiß und Kalk ist dagegen eher gering. Der Anteil des Wissens an der gesamten Wertschöpfung beträgt heute bereits etwa 70 Prozent. Alle Waren verwandeln sich latent in Wissensprodukte.

Wissen ist beliebig verfügbar, wird nicht weniger. Überfluss ist in der tradierten Markttheorie jedoch nicht vorgesehen. Dort besteht der Sinn des Marktes ja in der „optimalen Allokation“; er soll dafür sorgen, dass ein „knappes“ Gut dorthin gelenkt wird, wo es den größten Nutzen stiftet. Ist ein Gut wie beim Wissen stets vorhanden, kann der Markt aber nicht mehr steuern. Die klassische Markttheorie funktioniert nur unter dem „kalten Stern der Knappheit“: ohne Knappheit keine Allokationsfunktion.Auf das Verschwinden des Marktes wird momentan damit reagiert, ihn krampfartig zu verewigen. Die Marktsteuerung soll gerettet werden, indem immer mehr künstliche Produkte definiert werden. Die beliebig verfügbaren Wissensgüter sollen so knapp werden, wie es einst die klassischen Industriegüter waren: Also werden Patentrechte vergeben und verteidigt; selbst Pflanzen werden inzwischen patentiert.

Zu diesem Phänomen gehört aber auch, dass ehemals staatliche Aufgaben in künstliche Güter umgewandelt werden: Die Arbeitsagenturen betreuen „Kunden“ und geben „Vermittlungsgutscheine“ aus, an den Universitäten werden Studiengebühren erhoben, und Verwaltungsleistungen werden zu „Produkten“ umdefiniert. Weltweit treiben vor allem die USA den Kurs voran, die zunehmend immaterielle Produktion weiterhin zu kontrollieren, indem sie über Patente Eigentumsrechte vergeben. Dagegen steht unter anderem die aufstrebende Supermacht der Wissensgesellschaft, China. Wir registrieren, das China klar erkennbar nicht daran interessiert ist, dass geistige Eigentumsrechte die Weltproduktion kontrollieren.

Weltweit versuchen die USA, über Patente Ideen zu Eigentum zu erklären. Doch China hält sich nicht daran

Angesichts dieses globalen Wandels ist das Projekt „Grüne Marktwirtschaft“ viel zu eng gefasst. Es ist zwar verständlich, dass die Grünen die Ressourcenfrage in den Mittelpunkt stellen wollen, weil sie dabei an die ökologische Tradition und an die breite Zustimmung für eine „Weg vom Öl“-Strategie anknüpfen können. Aber sie würden sich von den zukunftsweisenden Debatten abkoppeln, wenn sie sich nur auf die „neuen Knappheiten“ bei den Rohstoffen konzentrieren. Die Ressourcen sind bei der gesamten Wertschöpfung relativ unwichtig. Nur 1 Prozent beträgt der durchschnittliche Materialwert in einem Auto, Handy oder Fernseher. Wichtig ist aber, die Dynamik der restlichen 99 Prozent zu verstehen.

Der Wandel zur Wissensgesellschaft bietet durchaus Chancen für mehr globale Gerechtigkeit: Wissen lässt sich immer nur gesellschaftlich herstellen, nie isoliert vom Einzelnen. Die Annahme, künftig stehe das Individuum mit seiner Eigenverantwortung im Vordergrund, macht einen falschen Gegensatz auf. Zwar muss der Einzelne sehr viel stärker gefördert werden, wenn er die Bildung erwerben soll, die in einer Wissensgesellschaft nötig ist. Doch mehr Bildung erhält der Einzelne nur dann, wenn die Gesellschaft ausreichend Ressourcen in das Bildungssystem steckt. Eine Politik, die von einer generellen „Individualisierung“ von „Marktteilnehmern“ ausgeht, ist nicht zukunftsfähig.

DIETMAR LINGEMANN
LISA PAUS