Spaziergänger mit Raubauge

Anlässlich seines 100. Geburtstages setzt sich die Reihe „Beckett in Town“ bis zum Januar mit der Wahrnehmung Hamburgs durch den irischen Dichter und Nobelpreisträger und mit dessen Rezeption in der Hansestadt auseinander

Von Anfang Oktober bis Anfang Dezember 1936 – ein Jahr bevor er sich endgültig in Paris niederlassen sollte – erkundete ein junger Bildungsreisender die Hansestadt. Sensibel und bisweilen durchaus mit Spott beobachtete der Ire das politische und kulturelle Leben in der Stadt und hielt seine Eindrücke in einem erst kürzlich entdeckten Tagebuch fest: seine Besuche in der Hamburger Kunsthalle, Kommentare zur zunehmend restriktiven Kulturpolitik der Nationalsozialisten, zum Verbot der „Hamburger Sezession“.

Damals war Samuel Barclay Beckett – der später als einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts gelten und 1969 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet werden sollte – noch unbekannt. Ein Band mit Erzählungen unter dem zweideutigen Titel „More Pricks Than Kicks“ aus dem Jahr 1934 blieb erfolglos – und wurde auch noch verboten. Für seinen ersten Roman „Murphy“ hatte er noch keinen Verleger gefunden.

Anlässlich seines 100. Geburtstages und seiner besonderen Beziehung zu Hamburg nimmt das Projekt „Beckett in Town“ bis zum Januar sowohl die Wahrnehmung der Stadt durch den jungen irischen Dichter in den Fokus wie auch umgekehrt die spätere Rezeption von Becketts Werk in der Stadt.

Die zentrale Idee der Veranstaltungsreihe ist, die Großstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Anregungsfeld für den Dichter zu untersuchen. Sie widmet sich der Vielfalt der Beckett’schen künstlerischen Interessen: Vom Theater über das Museum bis zur Architektur. Denn der oft als weltabgewandter Asket verkannte Schriftsteller war Zeit seines Lebens ein leidenschaftlicher Fußgänger, der stundenlang durch Stadt und Landschaft wanderte.

So widmet sich das Symposion „Die Stadt als Inspirationsquelle. Becketts Reisestation Hamburg“, das vom 10. bis zum 12. November im Hauptgebäude der Universität zu finden sein wird und dessen Ergebnisse in einer Publikation Niederschlag finden sollen, vor allen Dingen dem „Raubauge“ Becketts, das in das dichte Geflecht der urbanen Kultur eintaucht und Auffälligkeiten erbeutet, die thematisch oder strukturell in das schriftstellerische Werk einfließen. Das Symposion und drei zentrale Ausstellungen bilden das Grundgerüst des Projekts. Daran schließen sich zahlreiche andere Beckett-Ereignisse in der Hansestadt an – Lesungen, weitere Ausstellungen, Filmabende, TV- und Radiosendungen und natürlich Theater.

So beginnt „Beckett in Town“ am Dienstag mit der Aufführung von „Glückliche Tage“ im St. Pauli Theater, gefolgt von zwei Beckett-Nächten mit Projekten junger RegisseurInnen am 13. und 14. Oktober und der Premiere von „Das letzte Band“ am 23. Oktober. In der Kunsthalle eröffnet am Ende des Monats die Ausstellung „Fountain of Erscheinung – Samuel Beckett und die moderne Hamburger Kunst 1936“, in der Helmut-Schmidt-Universität lässt sich den November über in einer Ausstellung das Leben und Werk des Dichters entdecken. Das Beckett auch ins Kino ging und sogar selbst Filme drehte, lässt sich schließlich am 13. November im Abaton-Kino lernen. Wer am selben Tag zu Hause bleiben möchte, schaltet nach dem Bücherjournal die Beckett-Nacht im NDR-Fernsehen ein. Seinen Abschluss findet das Projekt dann Mitte Januar – natürlich mit der Premiere von „Warten auf Godot“ in den Kammerspielen. ROBERT MATTHIES

3. bis 14. 10.; Programm unter www.beckett-in-hamburg.de