Schmerzmittel bringt Tod für Europas Geier

VOGELSCHUTZ Zulassung von Diclofenac in Spanien und Italien gefährdet Bestand der Aasfresser

In Indien, Pakistan und Nepal gingen die Geierbestände um 99 Prozent zurück

BERLIN taz | Den Geiern in Südeuropa droht massenhafter Tod durch das Schmerzmittel Diclofenac. Mehrere internationale Vogelschutzorganisationen und der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) fordern, den Einsatz des Medikaments für Nutztiere in Italien und Spanien zu verbieten. Sie befürchten, dass Geier als Aasfresser mit Kadavern von Rindern, Schweinen und Pferden in Berührung kommen, die mit dem Mittel behandelt wurden, und dann verenden.

In Indien, Pakistan und Nepal waren bis 2006 innerhalb weniger Jahre sämtliche dort heimischen Geierarten um 99 Prozent zurückgegangen – und damit fast ausgestorben. Geier, die Kadaver von mit Diclofenac behandelten Nutztieren gefressen hatten, starben an Nierenversagen. Der Zusammenhang mit dem Medikament konnte wissenschaftlich zweifelsfrei nachgewiesen werden.

Zwar gibt es in der EU eine Verordnung zur Tierkörperentsorgung, es existieren jedoch Ausnahmeregeln für die extensive Weidewirtschaft, wie sie in Spanien betrieben wird: Hier dürfen totgeborene Lämmer auf den Weiden bleiben – als Futter für Geier. Es gebe sogar spezielle Stellen, an denen Tierkadaver für Geier ausgelegt würden, erklärt Nabu-Vogelexperte Lars Lachmann.

In Spanien kommt Diclofenac für Tiere nach der Zulassung im März 2013 gerade langsam auf den Markt. Laut Lachmann hat sich in Indien gezeigt, dass ein einziger belasteter Kadaver von 200 verendeten Tieren ausreichend ist, um die Population der Umgebung um 99 Prozent zu dezimieren. Die Vogelschützer sehen dringenden Handlungsbedarf. Nach einem Diclofenac-Verbot in drei Bundesstaaten Indiens hätten sich die Bestände dort wieder erholt.

Diclofenac wirkt als schmerz- und entzündungshemmender Wirkstoff in einer ganzen Reihe von Schmerzmitteln. Für den Menschen gilt er als verträglich.

In Europa leben vier Geierarten, hauptsächlich in Spanien: Schmutzgeier, Gänsegeier, Bartgeier und Mönchsgeier. Der Schmutzgeier ist mit einer Flügelspannweite von 165 Zentimetern vergleichsweise klein: Bartgeier und Mönchsgeier messen von Flügelspitze zu Flügelspitze knapp drei Meter. Der Bartgeier war in den Alpen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts vollständig ausgerottet. Nur mühsam gelang in den letzten Jahrzehnten die Wiederansiedlung, indem Jungvögel ausgewildert wurden.

Die Erfolge bei der Wiederansiedlung der Geier seien durch die Zulassung von Diclofenac in Italien und Spanien jetzt gefährdet, sagt Lachmann. „Ein sofortiges Verbot des Einsatzes dieses Medikaments für Tiere in der gesamten EU ist die einzig mögliche Lösung. ESTHER WIDMANN