Hat die Polizei weggeschaut?

DERBY-WOCHENENDE Der FC St. Pauli und seine Fanszene verurteilen die Angriffe von HSV-Hooligans auf das Jolly Rogers und den Einsatz der Polizei scharf

Auch das Präsidium des FC St. Pauli verlangt von der Polizei, die Vorfälle um den Einsatz aufzuklären

Nach dem abgesagten Hamburger Derby und den Ausschreitungen am Wochenende herrscht Frust im braun-weißen Fanlager. Mehrmals hatten HSV-Hooligans, unterstützt von Schlägern aus Glasgow und Belgrad, versucht, die St. Pauli-Fan-Kneipe Jolly Roger zu stürmen. Ein Großangriff am Samstagabend gegen 22.00 Uhr von 100 bis 200 Hooligans mussten die Kneipenbesucher selbst abwehren, denn Polizei war keine vor Ort.

Am Sonntagabend stand nach einer Mitteilung des Vereins Ballkult, der das Jolly Roger betreibt, ein weiterer Angriff bevor. Gestern meldete sich auch FC St. Pauli-Präsident Stefan Orth zu Wort: „Traurig und wütend“ hätten die Angriffe das Präsidium des FC St. Pauli gemacht. „Von den Verantwortlichen des HSV verlangen wir, Einfluss auf Teile seiner Fanszene zu nehmen.“ Ferner fordert der FC St. Pauli von der Polizei, die Vorfälle um das Eingreifen der Beamten beim Angriff auf das Jolly Roger aufzuklären.

Die HSV-Fans kamen am Samstag vom Hans-Albers-Platz, wo sie sich zum „Warm-Up-Bier“ verabredet hatten. Obwohl immer wieder Polizeiwagen die Budapester Straße in Richtung Reeperbahn entlangfuhren, erreichten die Hooligans das Jolly Rogers. Nachdem die Auseinandersetzung dort begonnen hatte, dauerte es etwa zehn Minuten, bis die Einsatzkräfte eintrafen.

Der Verein Ballkult kritisierte die Polizei massiv. „Wie kann es angehen, dass es einer großen Gruppe Angreifer gelingt, 700 Meter unter den Augen der Polizei in Richtung Jolly Roger zu laufen, um einen Angriff zu starten?“, fragen sie in einer Stellungnahme. Ballkult erinnert daran, dass dies bereits nach dem Derby-Hinspiel geschehen sei. „Ist die Polizei Hamburg so unfähig oder steckt politischer Wille dahinter?“ Die Polizei wollte die Vorwürfe auf Anfrage nicht kommentieren.

Am Sonntag war die Polizei erneut am Jolly Roger im Einsatz - dieses Mal, um eine „polizeiliche Maßnahme“ durchzuführen. Laut Polizei hielten sich vor dem Lokal mehrere Personen auf, die mit Schlagwerkzeugen bewaffnet gewesen sein sollen. Die Polizei riegelte das Lokal ab und durchsuchte es. Sie beschlagnahmte zahlreiche Holzlatten, außerdem wurden die Personalien von 78 Gästen aufgenommen.

Laut dem Verein Ballkult gab es am Sonntag Informationen über einen erneuten Angriff von HSV-Hooligans. Ballkult schreibt, dass von den Besuchern des Jolly Roger weder am Samstag noch am Sonntag eine Gefahr ausgegangen sei.

Gegen den 21-jährigen HSV-Fan aus Bönningstedt, der vergangene Woche drei Rauchbomben im Gästebereich der HSV-Arena angebracht hatte, wird mittlerweile wegen des „Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion“ ermittelt. Nach taz-Informationen erließ die Staatsanwaltschaft Hamburg entgegen anderen Medienberichten bereits am Samstag Haftbefehl gegen den Mann. PATRICK GENSING