Brandenburger Slow-Food
: Wirtschaftsgut Knieperkohl

Das Kohlfeld sieht aus wie ein Wald: zwei Meter hohe Pflanzen mit riesigen Blättern auf blauen Stämmen. Man denkt an Klimawandel oder Genmanipulation. Das ist Markstammkohl, eine uralte Kulturpflanze, die nur noch selten angebaut wird, in der Regel als Viehfutter. In der Altmark findet man ihn gelb blühend als Zierde in Vorgärten, in der Prignitz, im Norden Brandenburgs, wird er gegessen. Zusammen mit Weiß- und Grünkohl, Kirschbaumblättern und Weinreben wird er gehäckselt, eingesalzen und milchsauer vergoren. Knieperkohl heißt diese Mischung. Ursprünglich aus der Not des Dreißigjährigen Krieges geboren, ist sie seit Generationen eine regionale Spezialität.

Der Geschmack irritiert. Zuerst denkt man an Grünkohl, dann wird es herb auf den Geschmacksknospen, und bis der Teller leer ist, weiß man immer noch nicht genau, wie, aber dass es schmeckt. Knieperkohl ist etwas für Slow-Food-Fans. Man serviert ihn in vielen Prignitzer Gaststätten, überall wird er anders zubereitet. Die meisten haben „ihren“ Bauern, der den Kohl für sie anbaut, eine eigene Rezeptur für die Kniepermischung und auch für die Kohlwurst, die „ihre“ Fleischerei für sie herstellt.

Die Saison geht von Dezember bis Ende Februar, und was der Region vor dreihundertfünfzig Jahren auf die Beine geholfen hat, soll auch heute die Wirtschaft ankurbeln. Ein Zusammenschluss von Gaststätten wirbt mit Pauschalpaketen für Sehenswürdiges mit Knieperessen. „Die Leute kommen gerne mit Bussen in Gruppen“, erzählt Horst Fenske, der Wirt vom Deutschen Haus in Pritzwalk und sehr aktiv in Sachen Vermarktung.

Wer es individueller haben möchte, sollte nach Putlitz fahren, in ein Städtchen auf halber Strecke zwischen Hamburg und Berlin. Am Rathaus, links hinter der Eiche, liegt die Gaststätte Borchert, eine Art öffentliches Wohnzimmer mit riesigem Kachelofen. Der Knieper wird hier in einem großen Bräter mit Schwarte und Kassler geschichtet und nach stundenlangem Kochen zum Simmern zwei Tage lang in die Röhre gestellt. Die Kruste, die sich bildet, wird immer wieder untergerührt. Obendrauf kommt zum Schluss eine Lungenwurst. Der Perleberger Senf, der dazu gereicht wird, ist ein eigenwilliger Gewürzsenf mit wechselvoller Geschichte. Seit der Wende hat jeder Hersteller aus dem ein oder anderen Grund aufgeben müssen. Heute wird er von einem Gastwirt produziert und vermarktet.

Vierzig Kilometer von Putlitz entfernt liegt ein Dorf mit dem malerischen Namen Kuhbier. Hier kann man Knieper kaufen. Mehrere Tonnen im Jahr vermarktet Sabine Schneider direkt ab Hof. Horst Fenske verkauft ihn fertig zubereitet in Gläsern. Die liefert er bis in die Arabischen Emirate an versprengte Brandenburger. Der umtriebige Wirt erfindet auch Neues wie Kniepersülze, und wenn man sich für seine historische Sammlung über Knieperkohl interessiert, verschenkt er schon mal ein Tütchen Markstammkohlsamen. Eine Rarität, denn das Saatgut ist im Handel nicht zu bekommen.

Beate Selders

Restaurant Borchert, R.-Breitscheid-Str. 12, Putlitz Tel. (03 39 81) 8 02 13; Horst Fenske, „Deutsches Haus“, Havelberger Str. 15, Pritzwalk, Tel. (0 33 95) 30 42 16