TAZ-ADVENTSKALENDER: WALDENSERSTRASSE 2
: Der Duft von J. F. Schwarzlose

2. DEZEMBER Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahintersteckt, wissen nur wenige. Zum Glück gibt es Adventskalender: Da darf man täglich eine nummerierte Tür öffnen – und sich überraschen lassen

Trance, Rausch, Zeitgeist oder Treffpunkt 8 Uhr: Wer schon immer wissen wollte, wie die Menschen in den zwanziger Jahren in Berlin rochen, der ist bei den Düften von J. F. Schwarzlose richtig. Obwohl: Betritt man das Büro der Parfümmacher in einem alten Moabiter Backsteingebäude, riecht es erst mal nach – nichts. Stattdessen fallen einem die großen I-Macs auf den einfachen Holzschreibtischen ins Auge.

Dahinter sitzt ein Mittvierziger im Kapuzenpulli und mit Turnschuhen und begrüßt einen freundlich. Lutz Herrmann, der Kopf des kleinen Unternehmens, recherchiert hier nach alten, längst vergessenen Berliner Düften, lässt sie neu produzieren und verschickt sie an ausgewählte Parfümerien in der ganzen Welt. Und das läuft mittlerweile richtig rund. Die Marke Berlin verkauft sich gut.

Angefangen hat alles auf einem Flohmarkt. 2010 entdeckte er zufällig einen alten Parfüm-Flakon mit der Aufschrift „Treffpunkt 8 Uhr“. Die braune Flüssigkeit darin war längst umgekippt, aber er war trotzdem fasziniert von der Existenz eines Berliner Parfüms, das er bisher noch nicht kannte. „Ich hatte mich immer schon gewundert, dass es seit dem Zweiten Weltkrieg kein Parfüm mehr aus Deutschland gibt, obwohl Deutschland international der zweitgrößte Markt für Düfte ist“, sagt Herrmann, der seit Jahren für große Parfümhersteller als Verpackungsdesigner arbeitet. Er recherchierte und stieß auf die Geschichte der Berliner Firma J. F. Schwarzlose & Söhne – Hoflieferanten der Preußen und Hohenzollern, die ihre Düfte bis nach China und Australien exportierten.

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchie in Deutschland richtete sich das Unternehmen neu aus und bediente nun erfolgreich den Zeitgeist der „Roaring Twenties“ mit Düften wie Trance, Rausch oder eben Zeitgeist, die nicht mehr monothematisch nach Veilchen oder Rose dufteten, sondern nach einem wilden Mix aus Wermut, Rose, Patschuli und Sandelholz. Die Weltwirtschaftskrise, den Zweiten Weltkrieg und den Mauerbau überstand die Firma zunächst, gab dann aber in den siebziger Jahren endgültig auf.

Kein Mainstream-Duft

Herrmann bat eine befreundete Parfümeurin um eine Analyse und Neuauflage der braunen Flüssigkeit. Heraus kam ein Duft, der ihn faszinierte, weil er so anders war als alles, was es sonst auf dem Mainstream-Parfüm-Markt gab. Er recherchierte weiter und fand nicht nur drei weitere Düfte, sondern auch alte Firmenbücher und Werbeplakate. Auf einem Plakat ist eine kecke, junge Frau mit grüner Mütze und sehr rotem Lippenstift zu sehen: „I-A-33-Sportlich-rassig für kultivierten Geschmack“ steht darunter. I-A-33 steht für das alte Autokennzeichen von Berlin.

Am neuesten Duft werkelt Lutz Herrmann gerade. Dieses Mal soll es etwas Gegenwärtiges sein, den Duft des neuen Berlin einfangen. Er reicht eine Probe – die ist irritierend. Es riecht gut, ganz eindeutig, nach etwas Frisch-Prickelndem, einer feinen Ledernote und nach … Curry? Genau! Denn wonach riecht es in Berlin an fast jeder Ecke, fragt Lutz Herrmann? Richtig, Currywurst! Ach, Berlin – wir lieben deinen Duft, wenn wir um die Häuser ziehn. SANDRA LÖHR