Ein Wahnsinn namens Schwangerschaft

URAUFFÜHRUNG In Tobias Steinfelds Komödie haben die Figuren nur ein Thema. Das zweitplatzierte Stück beim Osnabrücker Dramatikerwettbewerb wurde nun im Emma-Theater uraufgeführt

Marie glaubt, ihr Kind sei unterentwickelt, weil es im dritten Monat das kleinste ist

Schwanger sind sie hier alle. Auf blauen und rosafarbenen Gymnastikbällen wippen die werdenden Mamas und Papas auf und ab und überlegen, wie sie es den anderen sagen. Und wann. Auf keinen Fall vor der zwölften Woche, predigt Achim sein angelesenes Wissen aus seinem Markus-Lanz-Ratgeber. Für ihn die Bibel, die der konservative Rechtsanwalt mit durch dieses Stück trägt. Schwägerin Maria und ihr Mann Bernhard sind da schneller und verkünden ihre frohe Botschaft schon in der zehnten Woche.

In der Komödie „27 Monate“ ist das Schwangersein alles andere als eine Zeit glückseliger Vorfreude. Vielmehr bricht ein neunmonatiger Leistungskampf aus. Für sein Erstlingsstück, in dem drei Schwestern gleichzeitig schwanger werden, bekam Tobias Steinfeld Ende letzten Jahres den zweiten Preis beim Osnabrücker Dramatikerwettbewerb. Im dortigen Emma-Theater war am Wochenende die Uraufführung zu sehen.

Der 31-jährige Autor, in Osnabrück geboren und heute in Düsseldorf wohnhaft, lässt grundverschiedene Typen aufeinander los. Bei Marc und Lisa war die Schwangerschaft ein Unfall. Nun hängt sie kotzend über dem Klo einer Bahnhofstoilette und ärgert sich darüber, dass Medizinstudent Marc ihr die Temperaturmethode als „bombensicher“ verkauft hat. Absolut geplant war der Nachwuchs bei Achim und Julia, die sogar mit einer Kinderwunsch-App nachgeholfen haben. Esoterik-Tante Maria, die älteste Schwester, ist froh, mit über 40 endlich schwanger geworden zu sein. Der schwer christliche Bernhard ist sich deshalb sicher, dass seine Gebete erhört wurden. „Du hast gefickt“, hält ihm Schwager in spe Marc entgegen.

Wer bemängelt, dass die Figuren nur auf ein Thema reduziert werden, liegt richtig. Das ist nicht anders gewollt. Schwangersein und Schwangersein und noch mal Schwangersein, um etwas anderes geht es nicht. Irgendwann rollt ein riesiger Fötus auf die Bühne, mehr Kugelfisch als Mensch. So wird deutlich: Die Schwangerschaft ist dank moderner Medizin und Turbokapitalismus längst dem Optimierungswahn verfallen. Wer kauft den besten Kinderwagen? Wer hat den größten Fötus? Das ist alles, was zählt.

Marie etwa glaubt, ihr Kind sei unterentwickelt, weil es im dritten Monat das kleinste von allen ist. Achim wiederum streitet seine Vaterschaft ab, als bei Julia eine Schwangerschaftsdiabetes festgestellt wird. Marc und Lisa bauen derweil als Subunternehmer hunderttausende Kugelschreiber zusammen, um ihre Haushaltskasse aufzubessern. Mit zunehmendem Schwangerschaftswahnsinn nimmt die Inszenierung an Tempo zu. Nach dem Prinzip „Bekloppt as bekloppt can“ treibt es Regisseurin Marie Bues auf die Spitze.

Im Vergleich ist zwar verständlich, dass Thomas Köck „Jenseits von Fukuyama“ den ersten Preis beim Osnabrücker Dramatikerwettbewerb gewonnen hat. Die Gesellschaftskritik in seinem im Frühjahr uraufgeführten Stück ist sehr viel umfassender. Doch auch Tobias Steinfeld schickt sich an, als talentierter Komödienschreiber die Theaterwelt zu bereichern. Mitte letzter Woche gab es dafür eine weitere Anerkennung. Da wurde Steinfeld für den Kinder- und Jugendstadtschreiber Feuergriffel in Mannheim nominiert. Und der Dramatikerwettbewerb in Osnabrück schickt sich an, neue Talente in der Theaterlandschaft zu entdecken.  ANNE REINERT

Nächste Vorstellungen: 20. 12., 26. 12. jeweils 19.30 Uhr, 31. 12., 17 und 20 Uhr