Teurer Tüll aus Porzellan

KUNSTGEWERBE Die „Porzellanwerkstatt“ in der Hamburger Innenstadt verarztet zersplitterte Keramik – von der wertvollen Vase bis zur Kitsch-Deko, an der der Besitzer aus persönlichen Gründen hängt

VON SARAH MAHLBERG

Vor der „Porzellanwerkstatt“ im Hamburger Kontorhausviertel beim Hauptbahnhof hält ein weißer Kombi. Auf seinem Dach thront eine große dunkelrote Teekanne, die mit den verschiedenen Porzellanannahmestellen in Hamburg wirbt.

Aus diesem so extravagant anmutenden Firmenwagen steigt Harald Schmalhaus, der Geschäftsführer. Er schließt den Laden auf, knipst das Licht an und kurbelt das Fenstergitter hoch, das zuvor die Sicht ins Schaufenster verhinderte. „Eingebrochen wurde hier noch nie“, erklärt er dabei. „Das Gitter war bei unserem Einzug schon vorinstalliert, also nutzen wir es natürlich auch. Hat den Versicherungsvertreter aber auch sichtlich beeindruckt.“

Direkt am Eingang des Ladens neben einer Vitrine mit kostbarem Geschirr sitzt eine fast lebensgroße Dogge aus Porzellan. Jetzt ist auch klar, warum hier nie eingebrochen wurde. Harald Schmalhaus geht an dem Hund vorbei hinter den Tresen und in die eigentliche Werkstatt, die versteckt im hinteren Teil des Ladens liegt.

Dort herrscht ein lebendiges Durcheinander. Mitten im Raum steht eine Art kleiner Sandkasten, in dem einige Stücke zum Trocknen liegen. Ein alter Teller mit goldener Verzierung ragt aus dem Sand, daneben kuriert eine Alice-im-Wunderland-Tasse ihren Henkelbruch aus. Auf einem anderen Tisch liegt zwischen kaputten Teetässchen eine Zahnbürste. Im Regal darüber ein Pärchen aus Porzellan. Sie will ihn auf die Wange küssen, er hat aber unpraktischerweise seinen Kopf verloren, sodass der Kuss ins Leere geht.

Seit vier Jahren hat die Porzellanwerkstatt nun ihren Sitz in der Altstädter Straße, nachdem sie wegen Umbauaktionen von der Große Bleichen an Hamburgs Jungfernstieg weichen musste. Schmalhaus bearbeitet neben Porzellan auch andere Keramik – etwa Steingut oder Ton – sowie Glas, Marmor, Alabaster, Halbedelsteine und Elfenbein.

Insgesamt besteht die früher unter dem Namen „Porzellan-Klinik“ bekannte Firma seit über 100 Jahren. 1948 übernahm sie Schmalhaus’ Schwiegervater Erich Tünnecke. Seitdem ist sie ein Familienbetrieb, der sehr populär wurde, nachdem Tünnecke an Robert Lembkes Beruferaten-Fernsehshow „Was bin ich?“ teilgenommen hatte. „Seinen Beruf haben die damals nicht rausgekriegt“, sagt Harald Schmalhaus.

Seit 1998 leitet er die Werkstatt. Insgesamt sei das Porzellangeschäft rückläufig, sagt er. Es sei einfach nicht mehr das typische Material – und Reparaturen seien generell aus der Mode gekommen. Die Leute kauften sich lieber neue Dinge. Trotzdem habe er genug Kundschaft, um die Werkstatt am Leben zu erhalten. Es gebe einfach nicht so viele Werkstätten dieser Art, sagt er. Außerdem habe er Absprachen mit einigen Porzellangeschäften getroffen, die ihre Kunden zu ihm schickten.

Die Aufträge sind sehr verschieden. Manche Kunden bringen wertvolle Artefakte, deren Reparatur sich rentiert. Andere bringen Stücke von allein persönlichem Wert vorbei. Schmalhaus’ Mitarbeiterin Tinka Dolzer setzt zum Beispiel gerade die Scherben eines Wandschmucks zusammen. Es ist eine Gemüsepalette aus Steingut, die mithilfe von Tesafilmklebestreifen zusammengesetzt und dann auf Vollständigkeit überprüft wird.

„Schon interessant, woran die Leute so ihr Herz hängen“, sagt die ehemalige Töpferin und begutachtet ihr Werk. Der Blumenkohl ist vollständig, aber bei der Paprika fehlt ein Stück.

Aber das lässt sich problemlos restaurieren – mit Hilfe einer hauseigenen „Porzellan-Ersatzmasse“. Die drückt man mit einem Spachtel in die Unebenheit; danach wird alles in Form geschliffen und neu bemalt.

Bevor die Restauration beginnt, muss man das Stück mit einem kaffeesahneähnlichen Klebstoff möglichst passgenau kleben. Danach kommt es in den Ofen – und dann erst beginnt die eigentliche Reparatur. Das Ganze kann bis zu acht Wochen dauern, je nach Aufwand.

„Einmal bekamen wir einen Massenauftrag von einem Museum, weil ein Elektriker bei der Arbeit in eine der Vitrinen gefallen war“, sagt Schmalhaus. „Für die Reparatur haben wir acht Monate gebraucht, der Schaden lag bei 10.000 Euro. Zum Glück hat die Versicherung gezahlt.“

Ein anderes Großprojekt sei die Glasdecke eines Supermarkts gewesen – und in den nächsten Tagen komme ein riesiger Spiegel aus einem Museum in Ludwigslust, an dem allerlei Kleinigkeiten ausgebessert werden müssten.

Es scheint wirklich, als ob die Porzellanwerkstatt genug Kunden hätte. „Wir garantieren für eine lange Haltbarkeit“, sagt Schmalhaus. „Die Erfahrung zeigt, dass ein von uns reparierter Teller, wenn er nochmal runterfällt, eher an einer anderen Stelle bricht.“ Und dass er etwas nicht reparieren konnte, sei noch nicht vorgekommen.

Eine Reparatur lohne sich aber nicht immer. „Diese Ballerinafiguren aus hauchzartem Porzellan sind aufwendig zu reparieren, aber selten besonders wertvoll“, sagt Schmalhaus. Das Ausbessern abgestoßener Tüllröckchen sei kompliziert und zeitintensiv, sodass die Kunden nach dem Kostenvoranschlag meist abwinkten.

www.dieporzellanwerkstatt.de