Geheimniskrämerei verboten

EuGH beschließt: Nationale Regierungen dürfen nicht ohne Weiteres Veto gegen Veröffentlichung von Dokumenten durch EU-Institutionen einlegen. Geklagt hatten Umweltschützer, die Unterlagen zur Hamburger Airbus-Erweiterung einsehen wollen

VON GERNOT KNÖDLER

Die Erweiterung der Hamburger Airbus-Fabrik könnte in den nächsten Monaten noch einmal die Öffentlichkeit beschäftigen. Zwar stehen auf der künstlichen Werkshalbinsel im Süßwasserwatt „Mühlenberger Loch“ längst die Ausstattungshallen für den Riesenairbus A 380. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat gestern aber ein Urteil gefällt, das es ermöglichen könnte nachzuvollziehen, wie die dafür nötige Ausnahmegenehmigung der EU-Kommission zustande kam (Az. C-64/ 05 P). Demnach können nationalen Regierungen nicht ohne Weiteres verhindern, dass die EU-Kommission Dokumente offenlegt, die von den Mitgliedsstaaten stammen. Auf EU-Ebene ist der Zugang zu offiziellen Dokumenten großzügig geregelt.

Die Europa-Richter gaben dem Internationalen Tierschutz-Fonds (Ifaw) Recht, der die EU-Kommission auf Herausgabe der Dokumente zur Airbus-Erweiterung verklagt hatte. Vor allem interessiert die Umweltschützer ein Briefwechsel zwischen dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dem Präsidenten der EU-Kommission Romano Prodi, in dem sich Schröder für eine Ausnahmegenehmigung stark machte. „Wir sind sehr gespannt, ob diese Ausnahmegenehmigung zu Recht erteilt wurde“, sagt Ifaw-Pressesprecher Andreas Dinkelmeyer. Ifaw hält es für möglich, dass sich die Kommission aufgrund einer bisher nicht bekannten Absprache zwischen Prodi und Schröder über die Regeln des europäischen Naturschutzrechts hinwegsetzte.

Die Elbbucht Mühlenberger Loch steht unter dem Schutz der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) und der Vogelschutz-Richtlinie der EU. Sie ist Teil des europäischen Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“. Um hier bauen zu können, müssen „zwingende Gründe überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden“.

In einem der taz vorliegenden Brief an Prodi vom 15. März 2000 argumentiert Schröder mit der Bedeutung des A 380 als Industrieprojekt sowie der Schaffung und Sicherung von 4.000 Arbeitsplätzen. „Nach Einschätzung der Industrie kommen nur die Standorte Hamburg und Toulouse für Arbeiten der Endmontage in Frage“, schrieb der damalige Bundeskanzler und verband das mit einer Bitte: „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn auch Sie persönlich darauf hinwirken könnten, dass die umweltrechtliche Unbedenklichkeitserklärung der Kommission umgehend erteilt wird.“ Fünf Wochen später schrieb Prodi, die EU-Kommission habe grünes Licht gegeben.

Ifaw-Sprecher Dinkelmeyer vermutet, dass es neben diesen bekannten Briefen weitere Dokumente gibt, die zeigen, dass und wie die Bundesregierung Druck ausgeübt hat. „Hätten sie nichts zu verbergen, hätte es keinen Grund gegeben, uns die Einsicht zu verwehren“, sagt Dinkelmeyer. „Wir wollen beweisen, dass Umweltschutzregeln wirkungslos sind, wenn das große Geld im Spiel ist“, sagt Scott Crosby, der Anwalt von Ifaw.

Die Naturschutzorganisation hatte im Dezember 2001 bei der EU-Kommission Einblick in eine Reihe von Dokumenten zu dem Airbus-Projekt verlangt – unter anderem in die Briefe des Hamburger Senats und des Bundeskanzlers an die Kommission. Die EU-Kommission lehnte das ab, weil die Bundesregierung ihre Zustimmung verweigerte. Ifaw klagte mit Unterstützung Schwedens, unterlag aber vor dem europäischen Gericht in erster Instanz. Dieses Urteil hat der EuGH jetzt aufgehoben.

Basis der Rechtsprechung ist die EG-Verordnung 1049 / 2001 „über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission“. Verweigere ein Mitgliedstaat die Offenlegung eigener Dokumente durch EU-Institutionen, müsse er sich auf die in der Verordnung vorgesehenen Ausnahmen berufen, urteilte der EuGH. Außerdem müsse das Mitgliedsland seine Auffassung begründen.

Das sei nicht geschehen, weshalb es rechtswidrig gewesen sei, die Akteneinsicht abzulehnen. „Das bedeutet nicht, dass alle Unterlagen freigegeben werden müssen“, sagte Ifaw-Anwalt Crosby. Der EuGH habe aber mehrfach betont, dass die Akteneinsichtsverordnung im Sinne maximaler Transparenz auszulegen sei. Ifaw kündigte gestern einen weiteren Anlauf an: „Wir werden erneut Einsicht verlangen in die Dokumente“, sagte Dinkelmeyer.

Laut Verordnung kann der Zugang zu den Akten nur verweigert werden, wenn die Privatsphäre beeinträchtigt oder Geschäftsinteressen gefährdet würden. Gleiches gilt für das öffentliche Interesse an innerer Sicherheit, Verteidigung, internationalen Beziehungen oder die Finanz- und Wirtschaftspolitik eines Staates. Auch interne Entscheidungsprozesse der EU sind ausgenommen.

Das erstinstanzliche Gericht hatte argumentiert, die Mitgliedstaaten genössen nach der Verordnung einen Sonderstatus. Die EU habe die Pflicht, die Mitgliedstaaten vor einer Veröffentlichung ihrer Akten zu informieren. Dies wäre überflüssig, wenn EU-Institutionen das Recht hätten, den Widerstand der Mitgliedstaaten zu übergehen.

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