Nun tobt der Streit auch offen im ZK

Stipe Suvar, Generalsekretär des jugoslawischen Bundes der Kommunisten, stellte sich in der Eröffnungssitzung des ZK klar auf die Seite der slowenischen Reformer: Trennung von Partei und Staat, neue Machtstrukturen, Wirtschaftsreform  ■  Aus Belgrad Christian Kreutzer

„Auf daß der jugoslawische Sozialismus einer besseren Zukunft entgegenschreitet“ - so der Titel des Einleitungsreferats der mit stark gemischten Gefühlen erwarteten 17.Sitzung des Zentralkomitees des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens. Der Vortragende: Generalsekretär Stipe Suvar. Während in Sava-Centar die Zentralkomitee -Mitglieder über die Zukunft des Landes beraten, geht in der Innenstadt Belgrads alles seinen gewohnten Gang. Anders als erwartet, denn vorausgegangen waren nationalistsche Unruhen in Serbien, der größten der sechs Republiken, sowie in zunehmendem Maße Unstimmigkeiten der Republiken untereinander. Diese gipfelten vergangene Woche im offenen Streit zwischen Serbien und Slowenien, der wirtschaftlich stärksten Republik.

Der Streit kommt nicht von ungefähr: Die stark westlich orientierte Alpenrepublik Slowenien erwirtschaftet nicht nur den Löwenanteil des jugoslawischen Bruttosozialprodukts. Sie gilt auch seit längerem als Geburtsstätte reformistischer Ideen. Neben der Jugendzeitschrift 'Mladina‘ wurden hier auch durch den „Bund des sozialistischen werktätigen Volkes“ - einer Organisation, der alle Werktätigen auch außerhalb der kommunistischen Partei angehören - zunehmend Stimmen laut, die auf marktwirtschaftliche Methoden zur Lösung der wirtschaftlichen Dauerkrise drängten, in die Jugoslawien in den acht Jahren seit dem Tod Titos geraten ist. In der serbischen Republikhauptstadt Belgrad hingegen ist eine andere Politik angesagt. Hier ist derzeit Slobodan Milosevic, der demagogische Parteichef der Republik, „Herr der Straße“. Er peitschte in den letzten Wochen immer wieder das Nationalgefühl der Serben auf, indem er deren Augenmerk von den eigentlichen Problemen weg auf die im Norden und Süden gelegenen autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo lenkte.

Doch auch der Generalsekretär der Bundespartei der jugoslawischen Kommunisten, der Kroate Stipe Suvar, geriet letzte Woche mit den Serben aneinander: 15 serbische „Intellektuelle“, Uni-Professoren und Journalisten, hatten einen Rundbrief an das Präsidium der föderativen Republik gerichtet, in dem es erstmals zu einem offenen Angriff auf den Landesvater Tito kam. Er habe, so hieß es, die antiserbische Politik der Komintern fortgesetzt und nach der Parole „Ein schwaches Serbien für ein starkes Jugoslawien“ gehandelt. Angespielt wurde hier unter anderem auf die 1974 unter Tito verabschiedete Verfassung, die der Vojvodina und dem zu 87 Prozent von Albanern bewohnten Kosovo den Status autonomer Provinzen einräumte. Die serbische Presse stellte sich taub und verschwieg den Fall. Genau das jedoch erboste den Generalsekretär, der Milosevic daraufhin zur Rede stellte, warum er keine Verurteilung des Pamphlets in der Presse angeordnet habe. Der antwortete barsch und wie schon so oft mit dem Argument, die serbische Volksseele koche nun einmal in gerechtem Zorn und es sei nicht im Sinne des Kommunismus, diesen „Ausdruck des Volkswillens“ zu unterdrücken. Wer jedoch das Feuer unter dem serbischen Kessel hauptsächlich schürt, ist in Jugoslawien kein Geheimnis.

Derweil blieben die eigentlichen Ursachen der Krise weitgehend verdeckt. Die zentrale Frage dieser 17.Sitzung des gesamtjugoslawischen Zentralkomittees ist nun, was Stipe Suvar einerseits der chronischen Wirtschaftskrise des Landes, andererseits dem von Milosevic angeheizten serbischen Nationalismus und seinen Auswirkungen entgegenzusetzen hat. Das Unerwartete geschah schon am Montag morgen. In seinem Einleitungsreferat stellte sich der Kroate Stipe Suvar inhaltlich auf die Seite Sloweniens und verordnete seinem Land umfassende, sogar systemverändernde Reformen. Dies ist nun in der Vergangenheit schon öfter geschehen, jedoch nie vor aller Öffentlichkeit vor dem höchsten Gremium der Partei.

Auf drei Ebenen soll die Reform stattfinden: zunächst wird Stipe Suvar die lang angekündigte, doch immer wieder am Widerstand rechter Kreise gescheiterte Trennung von Staat und Partei durchsetzen. Danach soll, so Stipe Suvar, die Macht der Partei auf andere Organisationen übergehen, beispielsweise auf den oben erwähnten Bund des sozialistischen Volkes, sowie auf die sozialistischen Jugendorganisationen wie auch auf die Gewerkschaft. Dies soll eine Auffrischung der verkrusteten Machtstrukturen mit sich bringen.

Am schwierigsten wird sich freilich die Wirtschaftsreform gestalten, die Jugoslawien aus Inflationsnöten und dem Problem der Arbeitslosigkeit herausführen soll. Hierzu ein paar Zahlen: die Auslandsverschuldung - immer wieder hatten mittlerweile teure Kredite aus dem Westen als Beruhigung gedient - hat nunmehr die Höhe von 21 Milliarden Dollar erklommen. Hiermit sollte eigentlich das Land ausgebaut, die Autarkie gesichert werden. Mißwirtschaft und Fehlinvestitionen führten jedoch über die Jahre hinweg zu mangelnder Produktivität und letztlich zu einem ständigen Absinken des Bruttosozialprodukts. Als der IWF zu Anfang der 80er Jahre auf die Rückzahlung der Schulden drängte, mußte die jugoslawische Wirtschaft auf den Gewinn von Devisen ausgerichtet werden. Jugoslawische Waren wurden zu Schleuderpreisen exportiert.

Im Inland ging es weiter bergab. Die Inflation steigt mittlerweile täglich, bislang auf 200 Prozent. Im vergangenen Jahr fiel der Lebensstandard um 20 Prozent. Daß die These von den zwei Systemen, von denen eins, das kapitalistische, kurz vor dem Zusammenbruch stehe, nicht mehr zutreffe, sagte Stipe Suvar. Eine These, die zu Isolation und Veralterung geführt habe. Der internationale Markt soll nunmehr einen positiven Druck ausüben. Importbeschränkungen will der Generalsekretär Stück für Stück aufgehoben sehen. Der Reallohn soll den Einheitslohn in den selbstverwalteten Betrieben ersetzen. Das Zentralkomitee zog mit und begrüßte die Reformvorschläge.

Querschläger war auch hier Milosevic, der sich wie immer in polemischen Attacken gegen die angeblich antiserbische Politik erging - und das drohte die ganze Sache scheitern zu lassen. „Wie groß Serbien ist, hängt davon ab, mit welchem Maß man mißt“, so der Nationalistenführer. Sein Erfolg ist schwer nachvollziehbar, denn ein Programm hat Milosevic nicht. Interessanterweise wurde am Montag abend erst ab 18 Uhr die englische Simultanübersetzung der Rede von der Nachrichtenagentur 'Tanjug‘ zugeschaltet - zu diesem Zeitpunkt begann Milosevic sein Referat. Ein Blick auf die Gesichter des serbischen Personals, das die Rede mitverfolgte, sprach Bände: Milosevic spricht nicht den Intellekt an, sondern die Emotionen. Ein Novum in diesem Land.

Viel Vertrauen haben die Jugoslawen nicht mehr in ihre Politiker - zu viele Versprechungen wurden schon gemacht und nicht gehalten. So könnte es letztlich zu einer Pattsituation im ZK kommen, denn hier müssen Beschlüsse einstimmig gefaßt werden. Das Ende der Krise dürfte daher noch auf sich warten lassen, obgleich das Rezept dafür gefunden zu sein scheint.