Venus - heißes Vorbild für die Erde

Der Himmelsgott Uranos, der mit Vorliebe seine eigenen Kinder verschlang, wurde von seinem Sohn Saturn mit einer Sichel entmannt. Das abgeschlagene Glied des Vaters schleuderte Saturn ins Meer, und sogleich bildete sich daraus weißer Schaum, dem am Strand der Insel Kythera die wunderschöne Venus entstieg, weshalb sie auch die „Schaumgeborene“ genannt wird.

Mit solch phantastischen Geschichten über die Entstehung des Zwillingsplaneten der Erde machen die modernen Astronomen jetzt Schluß. Die Göttin der Sinneslust und Harmonie wird entschleiert. Obwohl sich die Venus unter dicken Schwefelsäurewolken versteckt, warten die Wissenschaftler mit immer genaueren Detaills über sie auf. Der Nachbarplanet ist zwar der Erde hinsichtlich Durchmesser und Masse ähnlich. Im Unterschied zur Erde umgibt sich die Venus aber mit einer 97prozentigen Kohlendioxidatmosphäre. An der Oberfläche wurde eine Temperatur von knapp 500 Grad Celsius sowie ein etwa 90mal stärkerer Druck als auf der Erde gemessen: Kein sehr gemütliches Plätzchen, das sich unsere Altvorderen als Hort der Liebe und Anmut ausgesucht hatten.

Wenn die US-amerikanische Sonde Magellan nach mehr als einem Jahr interplanetarer Flugzeit im August nächsten Jahres die Venus auf ihrem bräunlichen Wolkenmeer umsegelt, ganz wie es ihrem portugiesischen Namensvetter fast ein halbes Jahrhundert davor auf dem Weltmeer gelang, soll er das Venus-Puzzle vervollständigen. Aufgabe des mehr als drei Tonnen schweren und 550 Millionen Dollar teuren Voyeurs ist es, 70 Prozent der Oberfläche des Planeten per Radar zu vermessen. Das Navigieren wird ihm dabei allerdings schwer fallen: Auf der Venus geht die Sonne im Westen auf und im Osten unter, ein Venus-Tag dauert 243 Erd-Tage, während ein Venus-Jahr nur 225 Erd-Tage lang ist. Das bedeutet, daß auf der Venus alle Jahreszeiten in einem Tag ablaufen.

Aus heutiger Sicht ist die Venus vor allem interessant als Objekt für Zukunftsstudien über die Erde. Es wird nämlich vermutet, daß es auch auf dem Nachbarplaneten Leben gab, bevor seine Meere verdunsteten. Vulkanexplosionen sollen die Atmosphäre so stark mit Kohlendioxid aufgeladen haben, daß ein Super-Treibhauseffekt jeglichem Leben den Garaus machte. Jetzt ist es dort so heiß, daß die vier sowjetischen Raumsonden, denen die Landung auf der Venus gelang, gerade genug Zeit blieb, jeweils ein Bild von der bis dato unbekannten Oberfläche zur Erde zurückzufunken, bevor sie in glühender Leidenschaft verbrannten.

Michael Fischer