...ein Strom in Eden, zu wässern den Garten

■ (Erstes Buch Mose) - Türkische Staudammgiganto- manie soll Südanatolien in einen wahren Garten Eden verwandeln

Seit Mitte Januar staut der Atatürk-Staudamm im Osten der Türkei die Wasser des Euphrat. Mit insgesamt 21 Dämmen und 17 Wasserkraftwerken des „Südanatolien-Projekts“ (GAP) plant die türkische Regierung den entscheidenden wirtschaftlichen Sprung nach vorn. Für die Überflutungsgebiete müssen 26 Ortschaften mit 58.000 Einwohnern weichen. Profitieren werden in erster Linie die ansässigen Großgrundbesitzer und ausländische Agro-Investoren. Die Anrainer Syrien und Irak befürchten eine Wasserverknappung durch das Mammutprojekt. Und die türkische Regierung droht Syrien unverhüllt damit, den Quell des Lebens nur nach Wohlverhalten zuzuteilen.

Der Pressereferent des Atatürk-Staudammes spart bei der Vorstellung seiner Baustelle nicht mit Superlativen; der Damm, der seit Mitte Januar das Wasser des Euphrat im Südosten der Türkei staut, ist der fünftgrößte der Welt. Über 70 Kilometer lang werden die Wasser von dort unterirdisch gen Süden geleitet - es ist das längste unterirdische Pipeline-Projekt der Welt. Dabei ist der Damm nur ein, wenn auch bedeutender Teil des „Südanatolien -Projekts“, auf türkisch kurz GAP genannt, das, wenn man den Verlautbarungen der türkischen Regierung glaubt, der Türkei einen riesigen wirtschaftlichen Sprung nach vorne bescheren soll. 13 Einzelprojekte mit insgesamt 21 Staudämmen und 17 Wasserkraftwerken umfaßt das GAP. Durch 1,7 Millionen Hektar sollen sich die Bewässerungskanäle ziehen und damit eine Reihe von benachbarten Bewässerungsregionen erzeugen.

Die trockene, versteppte Harran-Ebene, einer der ärmsten Gebiete der Türkei, in der bislang nicht viel mehr als schütterer Weizen gedeiht, soll sich durch GAP in einen Garten Eden verwandeln. Das staatliche Planungsamt (DPT), das direkt dem Ministerpräsidenten untersteht, verkündet in seinen Hochglanzbroschüren, daß sich die landwirtschaftliche Produktion der Türkei verdoppeln wird, sobald alle GAP -Projekte fertiggestellt sind. An Stelle des Weizens sollen dann Baumwollplantagen und Haselnußsträucher, Linsen und Kartoffeln wachsen.

Die gesteigerten Erträge sollen gemäß den staatlichen Planungen einen Bedarf an Düngemitteln nach sich ziehen, und dann ist die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten: „Den Produktionsstätten für Düngemittel werden Industrien des Landwirtschaftsmaschinenbaus und der Zubehörbranche folgen. Die wiederum ebnen der Schwerindustrie den Weg“, versichert der Pressereferent, Herr Sasaoglu. Die Voraussetzung für die Ansiedlung der Industrie, die Elektrizität, wird ebenfalls von GAP geliefert: 24 Billionen Kilowattstunden sollen die neuen Wasserkraftwerke jährlich erzeugen.

Traditionelle Kooperation

mit Großgrundbesitzern

Doch was sich in den Hochglanzbroschüren so wunderbar ausnimmt, hat gleichwohl erhebliche Haken. Sechs Provinzen berührt die „größte Baustelle der Welt“: Gaziantep, Adiyaman, Urfa, Diyarbakir, Mardin und Siirt. In den letzten drei Regionen bilden Kurden die Mehrheit der Bevölkerung. Das Gebiet gehört traditionell zu den ärmsten der Türkei. Das Bruttosozialprodukt erreicht dort nur knapp die Hälfte des Wertes der Gesamttürkei; das durchschnittliche Bevölkerungswachstum liegt mit 2,9 Prozent um ein halbes Prozent höher als in den anderen Regionen des Landes, obwohl doch seit Jahren Arbeitskräfte von dort in die Städte abwandern.

Gleichzeitig ist das Gebiet die Hochburg der Großgrundbesitzer: Ein knappes Drittel des landwirtschaftlichen Bodens gehören 0,9 Prozent der Bevölkerung; fast die Hälfte aller Bauern besitzen gar kein Land und müssen sich zu Hungerlöhnen täglich neu verdingen. Ganze 8,8 Prozent der Gesamtinvestitionen flossen zwischen 1981 und 1986 in den östlichen und südöstlichen Landesteil. Zur planmäßigen Unterentwicklung dieser Region kommt die traditionelle Zusammenarbeit der jeweiligen Regierungen mit den Großgrundbesitzern. Von dieser Herangehensweise ist auch das neue Projekt gekennzeichnet.

Für die Überflutungsgebiete des Staudamms müssen 26 Ortschaften mit insgesamt 58.000 Einwohnern umgesiedelt werden. Häufig erfolgen die Umsiedlungen spät und planlos. Die Dorfbewohner werden zwar für ihre Wohnhäuser entschädigt, nicht jedoch für den Verlust ihrer Arbeitsplätze auf den überfluteten Feldern. Dafür sehen nur deren Eigentümer Bares. Die arbeitslos gewordenen Dörfler wurden zum Teil einzeln in die Westtürkei umgesiedelt, viele von ihnen sind zur Arbeitssuche in die Städte abgewandert. Der Versuch, Dörfer als ganze Gemeinschaften umzusiedeln, wurde gar nicht erst unternommen.

Von der gewaltigen Menge an elektrischer Energie - geplant ist die Erhöhung der Gesamtenergieerzeugung des Landes um 71 Prozent - werden in erster Linie die entwickelteren Regionen der Westtürkei und eventuell auch die Anrainerstaaten profitieren.

Anreize für das

ausländische Agrobusineß

Auch der Bewässerungsfeldbau kommt nur einem bestimmten Personenkreis zugute. Während die Experten des staatlichen Planungsamtes und der Universität Adana noch mit Experimenten zur Auswahl der für die Böden und den Bewässerungsfeldbau geeigneten Pflanzensorten beschäftigt sind, ist der Kampf der Spekulanten um die Böden bereits entschieden. Schon 1984, als die Regierung Landverkäufe großen Ausmaßes verbot, hatten ganze Dörfer den Besitzer gewechselt. Den Absichten der Regierung scheint nicht gerade zuwidergelaufen sein: das Viertel des Landes, das sich in staatlichem Besitz befindet, will sie, um in- und ausländisches Kapital zu Investitinen im Agrobusineß zu reizen, auf 99 Jahre an Privatpersonen verpachten. In der Broschüre des Planungsministeriums heißt es: „Für ausländische Investoren ist es die Landwirtschaft, die den einfachsten Zugang zum türkischen Markt bietet. Investitionen können bereits mit geringen Mitteln getätigt werden. Arbeitskraft ist billig, und auf den einheimischen Märkten besteht rege Nachfrage.“ Für die nähere Zukunft bietet sich eine Fülle von Investitionsmöglichkeiten in der Landwirtschaft und in der Agroindustrie, vor allen Dingen in den Bereichen Saatgut und in der Produkion von Pflänzlingen sowie in der Geflügelzucht.

Während die Vorsitzenden der Landwirtschaftskammer und der Bauernvereinigung in Urfa, allesamt Großgrundbesitzer, bereits mit Schweizer Firmen in die Planung zur gemeinsamen Finanzierung agroindustrieller Anlagen eingestiegen sind, sind die Mittel zur Vorbereitung der Klein- und Mittelbauern auf den Bewässerungsfeldbau minimal. Wie diese sich das Know -how des Bewässerungsfeldbaus aneignen, wie sie mit gezieltem Düngemittel- und Maschineneinsatz die erträumten Steigerungsraten erwirtschaften sollen, das bleibt das Geheimnis der Technokraten.

Zwar haben die Medien mit der Ausstrahlung von Fernsehspots begonnen, zwar werden Landwirtschaftsingenieure und Techniker auf einzelne Höfe geschickt, die die Informationen dann weiterverbreiten sollen, zwar halten Hauswirtschafterinnen in den Dörfern Frauenversammlungen ab; doch bereits 1993 soll der Atatürk-Staudamm fertig sein, und in den Bereichen Information und Bildung sind noch nicht einmal die ersten Probeläufe mit den neuen Pflanzen abgeschlossen.

Was für die türkische Regierung ein Prestigeobjekt ersten Ranges ist, bereitet den Nachbarn Irak und Syrien erhebliche Sorgen. Die beiden Länder, die ohnehin schon erheblich unter der Dürre der vergangenen Jahre zu leiden haben, befürchten eine weitere Wasserverknappung durch das Mammutprojekt. Die türkische Regierung steht auch keineswegs an, diese Ängste zu dämpfen. Schon seit Jahren droht sie mehr oder minder unverhüllt, das Wasser je nach Wohlverhalten zuzuteilen. Das richtet sich in erster Linie an den syrischen Nachbarn, der als Unterstützer der „Kurdischen Arbeiterpartei“ PKK gilt, die den türkischen Staat mit Waffengewalt bekämpft und im syrisch kontrollierten Bekaa-Tal ihre Lager hat. Durch den Druck mit dem Wasser hofft die Türkei, daß Syrien die Unterstützung der PKK aufgibt. Die Hoffnungen der PKK auf einen unabhängigen kurdischen Staat werden im übrigen durch das GAP-Projekt noch aussichtsloser als bereits zuvor.

Unabhängig davon, ob sich die türkischen Träume vom landwirtschaftlichen und industriellen Boom erfüllen werden

-mit den gewaltigen Investitionen und dem Energieprogramm werden die sechs Provinzen täglich enger in den türkischen und internationalen Markt eingebunden. Eine Aufgabe auch nur eines Teilgebiets aus der türkischen Staatshoheit scheint außerhalb jeglicher Diskussion.

Günter Seufert