Kampfesmut aus Henningsdorf

■ Klöckner-Arbeiter warnstreikten für mehr Lohn und 35-Stunden-Woche

Volksfeststimmung gestern früh vor dem Tor der Bremer Klöcknerhütte. Während die Nachtschicht von 4 Uhr an die Öfen und Walzstraßen herunterfuhr, wurde am Tor das Streikzelt aufgeschlagen. Bratwürste und Kaffee dampften, mit Trommeln, Flöten und Gitarren spielten türkische und deutsche Gruppen zum Tanz unter Männern. Der Anlaß: Gestern seit 11 Uhr saßen Gewerkschaftsführer und Stahlmanager in Krefeld zusammen, um für die Stahlkocher Löhne und Arbeitszeit neu auszuhandeln. Im Laufe des Vormittags nahm die Klöcknerhütte die Produktion wieder auf.

Ende Oktober lief der Tarifvertrag für die Stahlindustrie aus, und die Gewerkschaft will zehn Prozent mehr Lohn und endlich die 35-Stunden-Woche, zur Zeit arbeiten die Stahlarbeiter noch 36 und eine halbe. Sie waren die ersten, die 1979 nach einem wochenlangen Streik die 40-Stunden-Marke unterschritten, und sie wollen auch die ersten sein, die über die Ziellinie gehen, sagte gestern morgen ein IG-Metall-Vertrauensmann zur taz.

Die 35-Stunden-Woche würde den Stahlarbeitern auch gut ins Konzept passen, denn ihre Schichtpläne sind bereits darauf eingerichtet. Für ihre schichtplanmäßigen „Freizeitblöcke“ müssen die Stahlarbeiter bisher nämlich noch einige Urlaubstage opfern. Das brauchen sie nicht mehr, wenn sie die 35-Stunden-Woche durchgesetzt haben. Was den Lohn angeht, wollen die Stahlarbeiter den Rückstand ausgleichen, der ihrer Meinung nach gegenüber den Kollegen in der Metallverarbeitung besteht. „Wir verdienen acht Prozent weniger als unsere Kollegen auf den Werften und in den Maschinenfabriken“, sagte ein Vertrauensmann, „außerdem boomt die Branche“. Betriebsrat Michael Breitbach ergänzte: „Im vergangenen Geschäftsjahr hat Klöckner pro Tag eine Million Mark Gewinn gemacht.“

Mit dabei vorm Klöcknertor war gestern morgen eine Delegation aus dem Stahlwerk Henningsdorf bei Berlin. Deren Arbeitsstätte war früher ein häufiges Reiseziel von Klöckner-Betriebsräten, von denen mehrere früher in der DKP organisiert waren. Dieter Walter, Mitglied des Henningsdorfer Betriebsrates, sprach zu den streikenden Klöcknerkollegen: „Euch wird erzählt, ihr müßtet Opfer für die Beschäftigten in der ehemaligen DDR bringen, dadurch, daß ihr jetzt keine hohen Forderungen stellt. Aber wir sagen euch: Wenn ihr in eurem Kampf Erfolg habt, verbessert ihr dadurch auch unsere Situation als Arbeitnehmer der früheren DDR.“ Johlen, Bravorufe, langanhaltender Beifall.

Nach der Wahl hört uns niemand mehr

Die West-Metaller wollen die Stahl-Tarifrunde schnell hinter sich bringen. „Am zweiten Dezember wird gewählt, und dann hört uns in der Öffentlichkeit niemand mehr“, sagte ein Vertrauensmann. Mit ihrer Aktion wollten sie erreichen, daß die Arbeitgeber ein Angebot vorlegen. Gestern hatten sie das bis Redaktionsschluß noch nicht getan. Kommentar des Betriebsratsmitglieds Michael Breitbach: „Das heute morgen war nur ein Warnschuß, wir können noch mehr.“ Michael Weisfeld