Welcher Wurm überlebt im schwarzen Watt?

■ Wattflecken werden immer größer und verschwinden auch im Winter nicht

Schwarze Flecken wurden schon zu Beginn der 80er Jahre im Watt vor der holländischen und deutschen Nordseeküste beobachtet. Damals traten sie nur im heißen Spätsommer auf und verschwanden wieder, wenn es kälter wurde. Jetzt überwintern sie: Vor wenigen Tagen hat der Meeresbiologe Ulf Eversberg von der Bremer Universität (Außenstelle Bremerhaven) in der Wesermündung vor Sahlenburg schwarze Flecken gefunden. Die ersten Flecken waren nur wenige Quadratzentimeter groß, im Sommer des vergangenen Jahres konnte man sie schon vom Flugzeug aus beobachten. An manchen Stellen tritt schwarzes Wasser aus tieferen Schichten an die Oberfläche. „Da sieht das Watt so aus, als blute es aus vielen Schrunden und Rissen“, sagt der Eversbergs Kollege Hans Theede. Jetzt soll in einem gemeinsamen Projekt holländischer und norddeutscher Institute erforscht werden, was diese Flecken bedeuten.

Die Oberfläche des gesunden Watts sieht hellbraun oder grau aus, aber wenn man beim Wattlaufen mit dem Zehennagel eine Schicht von nur wenigen Millimetern abträgt, ist der Boden tiefschwarz. Die oberste, helle Schicht des Watts ist mit Sauerstoff angereichert, den der Sandringelwurm, der Gummibandwurm und viele andere kleine Wattiere in den Boden einbringen: Sie graben feine Gänge, durch die das Wasser strömt. Auch die Muscheln strudeln Wasser in den Boden und versorgen ihn so mit Sauerstoff. Am kräftigsten bearbeitet der große Wattwurm sein Element. Wo Wattwürmer leben, ist die helle, sauerstoffhaltige Wattschicht mehrere Zentimeter stark.

In der schwarzen Bodenschicht darunter leben all diese Tiere nicht mehr, hier sind die Bakterien und andere Mikroorganismen unter sich. Diese kleinsten Lebewesen brauchen Sauerstoff für ihren Stoffwechsel. Aber wenn Sauerstoff in reiner Form nicht vorliegt, knacken sie einen Teil des Meersalzes, das in den Boden gesickert ist, die Sulfate. Die Mikroben entziehen den Sulfaten ihren Sauerstoff, das Ergebnis sind Sulfide und Schwefelwasserstoff. Von diesen Stoffen rührt die schwarze Färbung des Bodens.

Würmer und Muscheln bringen also Sauerstoff in den Wattboden, sie selbst und die Mikroben zehren ihn wieder auf. Zwischen beiden Prozessen besteht ein Gleichgewicht, das aber gestört werden kann, wenn ungewöhnlich viele organische Stoffe, etwa abgestorbene Algen, aufs Watt sinken und von den Mirkoben abgebaut werden. Dann dringt der Sauerstoff erst gar nicht mehr ins Watt ein, sondern wird schon oberhalb von den Mikroorganismen verbraucht. Die Mikroorganismen im Boden darunter finden keinen freien Sauerstoff mehr. Sie sind ganz auf die Sulfate angewiesen, die sie dann zu Schwefelwasserstoff reduzieren. Die Wattiere, die Würmer und Muscheln sterben oder wandern aus, denn der Schwefelwasserstoff ist für sie giftig, er blockiert ihren Zellstoffwechsel. Das Watt wird schwarz - und bleibt es auch, wenn der Fleck eine gewisse Größe erreicht hat. Denn wenn der Sauerstoff an einer Stelle des Wattbodens erst einmal knapp geworden ist, dann werden die Mikroorganismen ihren Sauerstoffbedarf immer mehr aus dem Sulfaten decken, und auf diese Weise immer mehr Schwefelwasserstoff produzieren. Immer mehr unverrottete Pflanzenteile bleiben im Wattboden zurück, sodaß neu eigetrageneer Sauerstoff sofort wieder aufgezehrt wird. „Eine dramatische Perspektive“, sagt Hans Theede.

Als mögliche Ursache gilt die Eutrophierung, also die Belastung des Meeres mit landwirtschaftlichem Dünger, der mit dem Regen von den Äckern in die Wasserläufe und schließlich ins Meer gespült wird. Für die Bremerhavener Wissenschaftler ist das bisher jedoch nur eine Hypothese, die es in dem beginnenden Forschungsprogramm zu überprüfen gilt.

Andererseits: Besonders die kleineren Flecken verschwinden wieder, es gelingt den Tieren der Umgebung, diese Stellen wieder zu besiedeln und mit Sauerstoff zu durchsetzen. Welche Tiere das können, und wie sie das machen, das soll in den kommenden Jahren erforscht werden.

Schon Anfang März wollen die Bremerhavener Biologen mit ihren Arbeiten beginnen. Die Länder Niedersachsen und Bremen finanzieren das Projekt zusammen mit dem Berliner Umweltbundesamt. Der Länderanteil ist sicher, der des Bundes hängt noch in der Luft. Vor wenigen Tagen ist den Wissenschaftlern signalisiert worden, sie sollten schon mal anfangen, das Geld werde kommen. Michael Weisfeld