■ Ökolumne
: Fadenabriß Von Michael Müller

Ein Mann – ein Wort: Der Mann heißt Günter Rexrodt und ist als Bundeswirtschaftsminister für die Energiepolitik zuständig. Das Wort heißt „Fadenabrißverhinderungsreaktor“ und kennzeichnet die Haltung der Bundesregierung in der Energiepolitik. Noch in diesem Jahrzehnt sei der Bau von „Atomkraftwerken der neuen Art“ unverzichtbar, damit die Bundesrepublik ökonomisch nicht ins Hintertreffen gerate und es zu keinem technologischen „Fadenriß“ käme.

Das verdrehte Wort steht für eine verdrehte Logik. Unter dem Druck der Wirtschaftskrise werden weniger denn je ökonomische und ökologische Ursachen für die Fehlentwicklungen analysiert, einfache Antworten sind gefragt: Die Atomkraft liefere für Betreiber und Nutzer billigen Strom und sichere damit Absatzchancen auf den Märkten.

Nun läßt sich einwenden, dies sei eine Geisterdiskussion. Doch aus globaler und nationaler Verantwortung darf diese Blockade nicht weitergehen. Die Energieversorgung ist eine Schlüsselfrage für jede Form von industrieller Entwicklung und prägt das Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie. Deshalb würde es nicht zusammenpassen, einerseits Waldsterben, Klimaveränderungen und Tschernobyl zu beklagen, aber andererseits mögliche Spielräume für reale Veränderungen nicht zu nutzen.

Eingebunden in die Atomenergie bliebe eine vorausschauende und risikominimierende Energie- und Klimaschutzpolitik jedoch auf der Strecke. Obwohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen über effiziente Strom- und Wärmebereitstellung, Kraft-Wärme-Koppelung und regenerative Energieträger sprunghaft gewachsen sind, wird die scheinbare Unabwendbarkeit neuer Atomkraftwerke immer lauter propagiert. In der Konsequenz führt dies zu Investitions- und Innovationsblockaden: Statt die Zukunftsmärkte für risikoarme und weltweit einsetzbare Technologien zu fördern, werden sie durch das Festhalten an den welt- und exportwirtschaftlich bedeutungslosen Industriezweig der Atomenergie verbaut. Das ist der eigentliche Fadenabriß, der aber vom Bundeswirtschaftsminister nicht beklagt wird.

Es ist nachgewiesen, daß Klimaschutz und Ausstieg aus der Atomenergie vereinbar sind, wenn sich beide Ziele nicht sogar gegenseitig bedingen. Denn solange die Atomenergie weiter eine tragende Rolle spielen soll, werden sich die Prioritäten inFoto: Poly-Press

der Forschungs- und Industriepolitik nicht grundlegend ändern. Es besteht sogar die Gefahr, daß sich Umwelt- und Atomrisiken kumulieren. Im Grundsatz gibt es eine breite verbale Übereinstimmung, daß aus Gründen des Ressourcen- und Klimaschutzes die rationelle Energienutzung absoluten Vorrang haben und der Einsatz regenerativer Energiequellen beschleunigt werden müßte. Dagegen ist keine freiwillige Akzeptanz für die Atomenergie denkbar, weil der militärische Mißbrauch oder die Gefahr eines katastrophalen Unfalls im Atomkraftwerk, bei Plutoniumtransporten und der Lagerung nicht ausgeschlossen werden kann.

Um so wichtiger ist es, ökologische Alternativen auch ökonomisch und technologisch zu begründen. In den letzten Jahren hat es eine beeindruckende Konkretisierung der Möglichkeiten einer umweltverträglichen Energieversorgung ohne Atomkraft gegeben. Effizienzrevolution, Least-Cost-Planing oder Solarwirtschaft sind keine Schlagworte, sondern konkrete und durchgerechnete Programmvorschläge. Erstaunlich wenig davon ist in Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen worden.

Doch in keinem Land der Welt die Ankündigung einer mutigen CO2-Minderungspolitik (laut Kabinettsbeschluß von 1990 um 25 bis 30 Prozent bis zum Jahr 2005) und die mutlose Umsetzung (in den alten Ländern steigen die Emissionen weiter an) so weit auseinander klaffen wie in der Bundesrepublik. Mit Sicherheit liegt in den neuen Bundesländern das technische Einsparpotential bei mindestens 40 Prozent, in den alten sogar noch höher. Davon ist schon unter heutigen Bedingungen ein großer Teil konkurrenzfähig, volkswirtschaftlich auf jeden Falls günstiger als die Nutzung der Atomkraft. Um diese Chancen zu nutzen, muß der nukleare Faden reißen und der ökologische geknüpft werden. Das ist der Abriß, den wir wollen.

M. Müller ist energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion