„Keine Kommerzialisierung“

■ Interview mit dem französischen Sozialisten und Organhandel-Experten im Europäischen Parlament, Leon Schwartzenberg, über seine Vorschläge zum neuen Transplantationsgesetz

taz: Jedes Jahr sterben allein in Deutschland tausend Menschen, weil nicht genügend Organe zum Verpflanzen zur Verfügung stehen. Trotzdem fordern Sie in Ihrem Bericht ein Verbot des Organhandels. Warum?

Leon Schwartzenberg: Ich fordere, wie sie richtig sagen, kein Verbot der Organtransplantation, sondern lediglich der Kommerzialisierung von Organen, also des Handels mit Organen.

Warum? Weil viele Menschen, wie ich, denken, daß das menschliche Leben keinen Preis hat und es deshalb nicht möglich ist, den menschlichen Körper zu kommerzialisieren. Statt dessen muß dem chronischen Mangel von Organen durch Informationskampagnen begegnet werden, in denen für Organspenden geworben wird.

Die Kommerzialisierung findet aber bereits statt, in Lateinamerika werden Kinder getötet, um anschließend ihre Organe verkaufen zu können.

Eben deswegen, wegen solcher schrecklichen Geschichten ist es nötig, strenge Gesetze in der Europäischen Gemeinschaft zu erlassen, um diesen Organhandel zu verbieten.

Wie wollen Sie dies konkret erreichen?

Zuallererst muß das zur Transplantation freigegebene Organ gespendet worden sein. Es darf also nicht gekauft werden können. Zum zweiten muß der Ursprung des Organs zweifelsfrei dokumentiert sein, das heißt, der Spender beziehungsweise seine Familie muß bekannt sein und sein Einverständnis gegeben haben. Damit will ich verhindern, daß Leute getötet werden, um anschließend ihre Organe zu verkaufen.

Wird dies wirklich ausreichen, um den Handel zu unterbinden?

Die Ärzteteams, die die Transplantationen durchführen, müssen genauestens kontrolliert werden. Sie dürfen nur in öffentlichen Krankenhäusern unter der Kontrolle des Gesundheitsministeriums operieren. Ihre Bezahlung sollte nicht über die für andere vergleichbare Operationen hinausgehen. Außerdem darf das Team, das das Organ entnimmt, nicht mit dem identisch sein oder Beziehungen unterhalten, das das Organ verpflanzt.

Besteht nicht die Gefahr, daß durch solche Verbote lediglich der Schwarzmarkt für Organe und ihre Transplantation gefördert wird?

Dies kann durch die Einrichtung einer zentralisierten europäischen Kontrollinstitution verhindert werden, die sämtliche Transplantationen, ob sie in Bordeaux, München oder Birmingham stattfinden, genehmigen muß.

Im holländischen Leiden gibt es schon eine solche Organisation, die „Eurotransplant“-Zentrale ...

Ja, das Institut in Leiden ist dafür eine gute Basis. Auch in Frankreich haben wir ein ähnliches Institut, das „France-Transplant“. Wichtig ist, zu verhindern, daß Leute durch Bestechung einen besseren Platz auf den bestehenden Wartelisten für Transplantationen kaufen können. Diesen schrecklichen Kampf zwischen armen und reichen Leuten muß man beenden. Das gilt auch für den neuesten Trend, daß Kinder wegen ihrer Organe adoptiert und später getötet werden.

Die Grünen kritisieren, daß Sie mit Ihrem Bericht letztlich das Geschäft der Organtransplantationsmedizin fördern, weil, ich zitiere, „alle vorgeschlagenen Maßnahmen fast zwangsläufig darauf abzielen, die Bedingungen der Organentnahme zu erleichtern, um dem chronischen Mangel an Transplantaten beizukommen“.

Ich bin Arzt und kann Transplantationen nicht verbieten, wenn sie die einzige Möglichkeit sind, um Patienten am Leben zu erhalten.

Dazu wurde sogar der Zeitpunkt des Todes vorverlegt. Früher wurde der Mensch offiziell für tot erklärt, wenn sein Herz aufhörte zu schlagen. Jetzt ist er bereits tot, wenn sein Gehirn tot ist. Ist diese Neudefinition nicht die eigentliche Grundlage für die Kommerzialisierung des menschlichen Körpers, die Sie verhindern wollen?

Die neue Definition wurde in der Tat nötig, um die Transplantation von Organen zu ermöglichen. Wenn das Herz aufgehört hat zu schlagen, ist es zu spät. Dann sind Organe wie Herz oder Leber nicht mehr transplantationsfähig. Die neue Definition ist aber besonders von einem metaphysischen Standpunkt her interessant: Der menschliche Tod unterscheidet sich zum Beispiel von dem der Tiere. Nur der Mensch wird für tot gehalten, wenn sein Bewußtsein tot ist, das heißt, er ist tot als ein menschliches Wesen, aber er lebt als Ansammlung biologischer Organe.

Welche Chancen sehen Sie für ihre Initiative?

Ich denke, die EG-Kommission war sich der Tragweite des Problems nicht bewußt. Die zuständigen Beamten werden jetzt auf Basis meines Berichts einen Gesetzesvorschlag entwickeln, den der Ministerrat dann annehmen wird. Das Gespräch führte

Michael Fischer, Brüssel