Unterm Rock das Brecheisen

Die Haidler-Schwestern, die Bande der „Bohnen Tenne“ – in Vorarlberg machten Frauenbanden die Gegend unsicher. Der Galgen drohte  ■ Von Eva Grundl

In der Nähe von Lustenau in Vorarlberg wurde am Karsamstag des Jahres 1655 der schwarzkrausige Marxl aufgefunden. Umgebracht hatten ihn die Schwestern und Räuberinnen Anna und Barbara Haidler. Zusammen war man über Bregenz an den Rhein geflohen, und wiederholt hatte Marxl gedroht, die Haidler-Schwestern, deren Mutter und eine Magd, die ebenfalls mit von der Partie waren, umzubringen, wenn Anna ihn nicht endlich heiraten würde. So wie er „unterwegs das Messer bis an das Heft in ein Roß gesteckt“ habe, so wolle er es „auch mit ihr und den anderen Frauen machen“, erklärte Marxl, als er abends „voll trunkenen Weins“ von seiner Diebestour zurückkehrte.

Nachdem die Frauen übereingekommen waren, daß es besser wäre, daß „eins als vier“ ums Leben käme, flößten sie dem Betrunkenen so lange Wein ein, bis er einschlief. Dann legten sie ihm einen Strick um den Hals. Barbara Haidler und die Magd Burga zogen zunächst allerdings wohl nicht fest genug zu, denn Marxl wachte auf und schlug heftig um sich. Barbara faßte dann doch noch „fester zu“, und Anna stach ihm mit einem Messer mehrmals in den Hals.

Knapp hundert Jahre später machte, ebenfalls in Lustenau im österreichischen Vorarlberg, wieder eine Frauenbande von sich reden. Mit ihren Anführerinnen, der Madlena Kriegin und der Barbara Waldnerin, zog die achtköpfige Gruppe mit dem Trödelkarren über die Märkte des deutsch-österreichischen Grenzgebietes. (Die Nachnamen der verheirateten Anführerinnen entstanden aus denen ihrer Ehemänner plus dem Zusatz „-in“.) Im November 1748 kam es dann zur Festnahme. Unter Androhung der Folter legte die „durch die Blattern ziemlich gezeichnete“ Barbara Waldnerin ein Geständnis ab: In der Reichsherrschaft Ratzenried im Allgäu war sie mit dem „schreymauligen Hanns Geörgen“ und dessen Weib in ein Haus eingebrochen und hatte „ein kleines Schmalzkübele mit Schmalz, eine kupferne Pfanne und vieles mehr geschazt“. In Nesselwang hatte sie zusammen mit der „Christkindler Lena“ „ein Paar neue Weiber Schuhe und etwas Flachs“ gestohlen, und auf mütterlichen Befehl hatte ihre elfjährige Tochter nicht nur auf dem Markt in Lindau Waren entwendet. Während die schwangere Madlena Kriegin mit dem Leben davonkam, wurde die Barbara Waldnerin, auch als „Bohnen Tenne“ bekannt, durch Erhängen zu Tode gebracht.

Bei allen Unterschieden bestehen zwischen der Haidler-Bande, einer der vielen reinen Frauenbanden, und der gemischtgeschlechtlichen Bande der Waldnerin und der Kriegin einige verbindende Gemeinsamkeiten: Bedingt durch die fortwährenden Kriege, allen voran der Dreißigjährige Krieg sowie alle Kriege unter Napoleon, aber auch durch Mißwirtschaft und einen ständigen Bevölkerungszuwachs herrschten bitterste Armut und großer Hunger. Bettler und arme Leute bevölkerten zuhauf Dörfer und Städte und belagerten die Straßen. Dies war die weniger glanzvolle Kehrseite der Barockzeit mit ihren opulenten Prunkbauten. Nicht wenige der von der Obrigkeit ersonnenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Hunger und Not muten heute recht erbarmungslos, ja menschenverachtend an. [Da bin ich mir aber nicht so sicher. Schließlich hindert Christ- Parteiler heutzutage nichts daran, drogen- und bettlerfreie Zonen in Einkaufsstraßen zu fordern und über Gesetze dazu laut nachzudenken. d.sin] Der Autor Adalbert Nagel berichtet von einem „Patent“ der Gräflichen Wolfegg- Waldburgischen Oberamtskanzlei vom 17.12. 1757, das bei Strafe die Unterstützung fremder Bettler untersagte: „Der fremde Bettel ist bei Zuchthausstrafe verboten“ war auf den an den Landstraßen angebrachten Tafeln zu lesen. Aber auch den einheimischen Bettlern war das Betteln offiziell nur an bestimmten Tagen und Orten gestattet.

Verantwortlich für diese recht früh zu verzeichnende Feminisierung der Armut ist eine ganze Reihe von miteinander verflochtenen kulturellen und ökonomisch bedingten Gründen: Ältere Witwen zum Beispiel fanden nur schwer einen zweiten Ehemann, waren aber wegen der für Frauen bestehenden Ausbildungsverbote kaum in der Lage, durch die Ausübung eines Berufes selbständig für das eigene Auskommen zu sorgen. Der Fall der 23jährigen Eva Lanzerin aus Frastanz wiederum zeigt die fatalen Auswirkungen des Heiratsverbotes auf junge Frauen. Um sich die Versorgung von Kindern aus armen Verbindungen zu sparen, verlangten die Gemeinden von Heiratswilligen als Voraussetzung für die Genehmigung der Eheschließung in der Regel den Nachweis über ein Mindestvermögen. Heiraten mußte man sich sozusagen leisten können. Auch Eva hatte sich auf einen Mann eingelassen, der ihr die Ehe versprochen hatte. Als es dann wegen des verlangten Vermögensnachweises Schwierigkeiten gab, stand die zukünftige Mutter plötzlich alleine da: Der Kindsvater hatte sich aus dem Staub gemacht, die Bäuerin hatte der Magd wegen „der Schand“ gekündigt. Weil sie offenbar keinen Ausweg sah, tötete die junge Frau am Nachmittag des 25.Dezember 1637 ihr Neugeborenes. Nur durch die erfolgreiche väterliche Intervention konnte sie dem Tode entgehen und wurde statt dessen „auf ewig“ aus der Stadt vertrieben, also lebenslänglich verbannt.

Was es bedeutete, in die Armut hineingeboren zu werden, zeigt der Lebenslauf der „Beutelgreiferin“ (Taschendiebin) Madlena Kriegin. Knapp 20jährig und schwanger, war Madlena nicht nur dazu verurteilt worden, der Hinrichtung der „Bohnen Tenne“ beizuwohnen, sie hatte auch bereits eine Kindheit in völlig desolaten und aussichtslosen Verhältnissen durchlebt. Wie aus einem Protokoll des Jahres 1748 hervorgeht, stammte die in Dornbirn geborene „Jaunerin“ aus einer typischen Vagantenfamilie: Der Vater, ein Steinhauer, verstarb bereits im Jahre 1736, während ihre Mutter sich und die Kinder als Bettlerin durchschlug. Schon mit 13 Jahren wurde Madlena wegen Taschendiebstählen, einem typischen Frauendelikt, gefangengenommen und mit Ruten „gezüchtigt“. Da oftmals davon abgesehen wurde, über die Räuberinnen allzu drakonische Strafen zu verhängen, „beschränkten“ sich die Behörden darauf, die Frauen zu brandmarken, woher auch „der große weiße Fleck auf der rechten Schulter der Marckt-Tag-und- Nacht-Diebin, der Bohnen Tenne“ rührt. Eine weitere „beliebte“ Methode der Züchtigung stellte das „Stimblen“, also das Verstümmeln dar, was nichts anderes bedeutete, als die Ohren oder die Nase, manchmal auch beides, abzuschneiden.

Wie es für weibliche Vaganten üblich war, zog auch die Madlena Kriegin wegen der Gefahren des Landstraßenlebens vorzugsweise mit Banden umher. Diese setzten sich oftmals aus Familienmitgliedern zusammen. Überhaupt stellte entgegen allen Erwartungen die Familie den wichtigsten Bezugspunkt im Leben der vagierenden Gruppen dar. Ähnlich traditionelle Vorstellungen prägten übrigens auch die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Nicht selten wurden Pfarrer zum Zwecke der Durchführung von Trauungen mit Geld bestochen oder kurzerhand gekidnappt. Die Madlena Kriegin etwa bekam heftigen Streit mit einer Appenzellerin allein schon deshalb, weil sie deren Ehemann angesprochen hatte.

Obschon im großen und ganzen die Arbeitsteilung der Banden geschlechtsspezifisch geprägt war und die schweren Verbrechen wie Straßenraub und Viehdiebstahl eher Männersache waren, belegen Protokolle die Beteiligung an oder gar die alleinige Ausübung von Mordtaten durch Räuberinnenhand. So nahm Clara Wendel, die ebenso schöne wie unerbittliche und stets schießbereite „Räuberkönigin der Schweiz“, in ihrem Alter nicht nur 14 Brandstiftungen und 1.588 Diebstähle auf sich, sondern sage und schreibe auch 20 Morde (Siehe auch ihr romantisiertes Abbild auf dieser Seite.)

In der Tat scheint aber auch die Madlena Kriegin, die ansonsten typisch weibliche Delikte wie Marktdiebstähle und das Hausieren mit gestohlenen Waren beging, vor der Anwendung von Gewalt nicht gänzlich zurückgeschreckt zu sein. Von ihr nämlich wird berichtet, daß sie zusammen mit ihrer Schwester Maria Rickin den „schielenden Hansel“ gepackt und „wider eine wand geworfen habe“. Der „schielende Hansel“ hatte sie mit Waffengewalt zwingen wollen, „mit ihme als seine s.v. hure herum zu ziehen“.

Bei ihrer Verhaftung im Jahr 1748 kam Madlena wegen ihres Alters und ihrer Schwangerschaft mit einer vergleichsweise geringen Strafe davon, indem sie nämlich dazu verurteilt wurde, das Land zu verlassen. Allein, den Sprung in ein normales Leben schaffte die Kriegin nicht – einige Jahre später wurde ihr wegen weiterer Vergehen abermals der Prozeß gemacht.