Sissi, Sissi, Sissi – Der Touristenmagnet

■ Ein Spaziergang durch Wien auf den Spuren der eitlen, unglücklichen Kaiserin

Sie hatte Haare bis zu den Fersen, badete täglich in Kuhmilch und trank Bier. Sissi, die schönste Kaiserin aller Zeiten, glaubt man den Biographen, war eitel bis zum Erbrechen. Würde sie heute leben, wären Bulimie und Magersucht wohl die Diagnose. Damals aber galt ihr Schlankheitswahn als sensationell, wer hatte schließlich schon eine 47-Zentimeter-Wespentaille?

In Wien spricht man auch hundert Jahre nach ihrem Tod immer noch liebevoll über die Kaiserin. Sie war unglücklich in ihrer Rolle als Grande Dame, ohne Zweifel rüttelten die spanischen Hofzeremonien arg an ihrem Nervenkostüm. Als wollten sie ihrer Kaiserin posthum die letzte Ehre erweisen und sich endlich vom verklärten Süßraspel der Romy-Schneider- Sissi befreien, drängeln sich die Österreicher seit fünf Jahren im Theater an der Wien, wo das Drama „Elisabeth“ als Musical gespielt wird. Im Vordergrund der Inszenierung steht die Darstellung der Kaiserin als leidende Gestalt, eine Art Lady Diana des 19. Jahrhunderts, die genauso tragisch endet wie das englische Pendant.

Sissi-Torte und Sissi-Kosmetik

Das Rührstück aus der Musical- Schmiede von Harry Kupfer kommt an: Gleich dutzendweise werfen schluchzende Teenager der freiheitsliebenden Sissi Kuscheltiere und Milka-Schokoladen auf die Bühne. Großes Johlen, wenn die strenge Schwiegermutter Sophie auch mal ihr Fett abkriegt. Sissi wird gezeigt, wie Mädchen um die 16 gerne sind: stark, aber todunglücklich.

So schnulzig, so romantisch lieben die Wiener ihre Sissi, und je länger ihr Tod zurückliegt, desto angestrengter wird ihrer gedacht. Es gibt Sissi-Torte, Sissi-Gymnastik, Sissi-Kosmetikrezepte und ab Mai eine große Ausstellung zu ihren Ehren. Da werden auch etliche ihrer lyrischen Werke nachzulesen sein. Gemeine Stimmen sind der Meinung, daß sie deshalb soviel geschrieben habe, weil sie den Mund nicht gerne aufmachte. Sissis Gebiß war nämlich ein einziger Trümmerhaufen, und schon früh hatte sie kaum noch Zähne. Dies dürfte auch der Grund sein, weshalb die schöne Frau auf allen Porträts immer nur mit geschlossenem Mund zu sehen ist.

Als hätten die Wiener noch immer nicht mit der Monarchie abgeschlossen, wirken die Gemächer in der Hofburg seltsam belebt. So als befände sich das Kaiserpaar auf einer Reise und könnte jeden Augenblick zurückkommen. Arbeitszimmer, Frühstückstisch und Ankleidekammer sind blitzblank aufgeräumt, selbst Sissis Badewanne funkelt im Spiegel.

Besonders heiter ging es nicht zu, als Sissi, gerade 16jährig, ihrem Mann Franz Joseph I. in die Hofburg folgte. Statt romantischer Verliebtheit erwartete die junge Frau ein Besen von Schwiegermutter, der ihr verspieltes Wesen ein Dorn im Auge war. Kaum war das erste Kind geboren, nahm es Kaisermutter Sophie unter ihre Fittiche. Sissi durfte die Kleine allenfalls dann und wann besuchen. So wuchs der Frust, und die Kaiserin reagierte sich beim Turnen ab. Ringe an den Türzargen und eine Kletterwand in ihrem Ankleidezimmer zeugen heute noch vom Sportsgeist.

Unterdrückt von der Schwiegermutter und gestraft mit einem geschäftigen Ehemann, der für die Probleme seiner Frau keine Zeit hatte, griff die schlaue Sissi alsbald zur List. Sie setzte voll und ganz auf ihre Schönheit, puderte und badete sich, ließ sich in hautenge Kleider einnähen und wickelte dann den Kaiser um ihren Finger. Mit dieser List erreichte sie, was sie wollte, zum Beispiel die Versöhnung des Kaisers mit den Ungarn.

Die Hoflieferanten, die schon damals nicht unwesentlich zur Garderobe der Kaiserin beigetragen haben, existieren heute noch. Bei Jungmann & Neffe am Albertinaplatz etwa ließen Sissi und die Damen des Adels ihre Garderobe fertigen. Bittet man den Juniorchef des ehrwürdigen Tuchhauses freundlich, zeigt er KundInnen die Auftragsbücher. Dort ist mit Stoffmustern dokumentiert, was Ende des 19. Jahrhunderts modern war. Schrille Farbkombinationen und auffällige Muster zeugen vom Modemut, der um diese Zeit geherrscht haben muß. Nur nach Sissis Ermordung am Genfer See ging plötzlich nur noch Schwarz über den Ladentisch.

In der Augustinerkirche begann das Drama in Sissis Leben. Bei der Hochzeit verhedderte sie sich in ihrer Schleppe. Wegen der fünfzehntausend Kerzen, die dort leuchteten, waren die Stolpereinlagen für jedermann sichtbar, und die Kaiserin galt bei Hofe von Anfang an als Tolpatsch. Kein Wunder, da die schöne Braut seither das Repräsentieren haßte. Lieber zog sie mit ein paar sportlichen Zofen in die Berge und wanderte sechs, sieben Stunden ohne Pause. Auch das Reiten faszinierte sie. In der Winterreitschule der Hofburg drehte sie auf ihrem Lieblingslipizzaner Pirouetten und trippelte den Pas de deux. Für stundenlange Ausritte wählte sie am liebsten den Prater, wo sie im abenteuerlichen Galopp durch Wald und Wiesen fegte. Danach gönnte sie sich ein, zwei Pumpernickelhäppchen mit Gervais, geliefert vom „Schwarzen Kameel“ in der Bognergasse. Dort kehren auch noch heute die Liebhaber kleiner Delikatessen ein. Meist im Stehen nehmen die Wiener dort ihr Achtel Grünen Veltliner zur Brotzeit. Mittlerweile ist dem Delikateßnest auch ein Restaurant angegliedert, wohin sich Genießer mit mehr Zeit zurückziehen.

Fühlte sich Sissi einmal ganz besonders elend, war ihr das Hungern egal, und sie griff zur Torte. Das typische Sissi-Naschwerk bestand aus Nüssen, viel Schokolade und kandierten Veilchen. Gebacken wurde bei Hofzuckerbäcker Demel, der die Torte nach wie vor feilbietet. Am Kohlmarkt, wo die berühmte Konditorei heute ansässig ist, gibt es noch allerhand anderes, was an die k.u.k. Monarchie erinnert: Pralinen, Bonbons und Gebäck strotzen nur so vor Tradition und Kalorien.

Nach ihren Zuckerorgien aß die Kaiserin manchmal tagelang überhaupt nichts mehr und gönnte sich allenfalls ein Veilchensorbet. Die frischen Veilchenblätter, die dazu benötigt wurden, ließ sie im Wiener Wald suchen. Obwohl sie den Anblick von Veilchen über alles liebte – im Glas und kandiert auf einem Kuchen waren ihr die Blumen noch sympathischer.

Die Sorge um die gute Figur und eine faltenfreie Haut wurde im Laufe der Jahre durch eine Reihe von Schicksalsschlägen in den Hintergrund gedrängt. So brachte sich ihr Sohn Kronprinz Rudolph mit 31 Jahren um, ihre Schwägerin wurde verrückt und der eigene Mann immer griesgrämiger. Für Sissi Grund genug, aus Wien zu verschwinden und ihren unruhigen Geist mit Reisen zu besänftigen.

Erst nach ihrer Ermordung am Genfer See kam sie wieder in die Donaustadt zurück. Im kaiserlichen Leichenwagen, zu besichtigen in der Wagenburg von Schloß Schönbrunn, zog sie in die Kaisergruft bei den Kapuzinern ein. Dort konnte sie endlich ihren verstorbenen Kindern so nah sein, wie sie es immer gewollt hatte. Christine Berger