Zwischen allen Fronten

Am 16. Oktober 1949 proklamierten die griechischen Kommunisten das Ende des Bürgerkrieges: „um die totale Zerstörung abzuwenden“. Doch die Zerstörung hatte längst stattgefunden, Griechenland in zehn Jahren zehn Prozent seiner Bevölkerung verloren. Zu den 560.000 Toten der Besatzungszeit waren 140.000 Bürgerkriegsopfer hinzugekommen Von Niels Kadritzke

Der Bürgerkrieg begann als innergriechische Tragödie und endete als Sieg des Westens im Kalten Krieg. US-Präsident Harry S. Truman hatte im März 1947 erklärt, die neue weltpolitische Konfrontation werde auf dem südlichen Balkan entschieden. Ein Berater Trumans verglich Griechenland mit einem „Reagenzglas“, an dem die Völker der Welt ablesen könnten, ob der Westen entschlossen sei, dem internationalen Kommunismus entgegenzutreten. Die innergriechische Ursache des Bürgerkriegs war die Rivalität zwischen linken und rechten Kräften, die sich im Widerstand gegen die deutsch-italienische Okkupation herausgebildet hatte.

Hauptträger des Widerstands war die Nationale Volksbefreiungsarmee (ELAS) und deren politische Führung, die Nationale Befreiungsfront (EAM). Die repräsentierten zwar ein breites Spektrum antifaschistischer Kräfte, waren aber von der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) dominiert. Die Aktionen griechischer Partisanen gegen die Nazibesatzung wurden von den englischen Verbündeten unterstützt. Die britische Regierung wollte jedoch unbedingt verhindern, dass die im Widerstand erstarkten Kommunisten nach dem Abzug der Deutschen die Macht ergreifen. „Winstons Albtraum ist“, notierte Churchills Arzt im September 1944, „dass die Rote Armee ein Land nach dem anderen erobert, wie ein Krebsgeschwür.“

Da die EAM nicht nur die Monarchie abschaffen, sondern auch die „soziale Frage“ beantworten wollte, waren auch ihre innergriechischen Gegner beunruhigt. Zwar waren alle Parteien des Widerstands in der Exilregierung unter Giorgos Papandreou vertreten, die 1944 nach Athen zurückkehrte. Aber diese „nationale Einheit“ zerbrach an der Frage der Demobilisierung. General Scobie, Befehlshaber der britischen Truppen im befreiten Athen, ordnete Ende November die Auflösung der ELAS-Einheiten an, während die königstreuen Militärverbände intakt bleiben sollten. Die EAM reagierte mit dem Austritt aus der Regierung und der Mobilisierung ihrer Athener Massenbasis. Am 4. Dezember eröffnete die griechische Polizei das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten. Auf dem Syntagma-Platz blieben zwanzig Tote zurück. Es war der Auftakt zum Bürgerkrieg. Scobie erhielt von Churchill die berühmte Weisung: „Zögern Sie nicht, so zu agieren, als befänden Sie sich in einer eroberten Stadt ...“

Für viele Athener bestätigten die Kämpfe aber auch die finsteren Absichten der Kommunisten. Nach dem Massaker vom 4. Dezember demonstrierten sie unter der Parole „Wenn das Volk in Gefahr ist, hat es die Wahl zwischen den Ketten und den Waffen“. Aber wenn die Waffen sprechen, gewinnen die stärkeren Bataillone. Die Engländer schickten Panzer und Flugzeuge, die Regierung mobilisierte rechte Banden, die noch kurz zuvor im Auftrag der Deutschen „kommunistische Banden“ bekämpft hatten. Jetzt konnten sich Männer, die eigentlich als Nazi-Kollaborateure interniert waren, im Kampf gegen die Kommunisten gleichsam tätig amnestieren. Aber auch die ELAS machte sich die Hände schmutzig: Als sie aus Athen abzog, nahm sie tausende Bürger als „Geiseln“ in die Berge mit.

Das Varkiza-Abkommen vom 12. Februar 1945 beendete die erste Runde des Bürgerkrieges. Für die ELAS eine klare Niederlage: Ihre Kämpfer mussten die Waffen abliefern, aber viele weigerten sich, weil sie der anderen Seite misstrauten. Damit behielten sie Recht. Die Regierung hat ihre Verpflichtungen aus dem Varkiza-Vertrag nie erfüllt. Sie sorgte weder für politische Freiheiten noch säuberte sie den Staatsapparat von Kollaborateuren. Dagegen verschärfte sie die Verfolgung der Linken. Irreguläre Banden fanatischer Monarchisten machten, toleriert oder unterstützt von Gendarmerie und Armee, im ganzen Land Jagd auf Kommunisten. In der Provinz setzten sich ELAS-Kämpfer mit ihren alten Waffen zur Wehr. Und in den Städten organisierte die KKE „gegen den mörderischen Terror der Rechten die Selbstverteidigung“ – zunächst ausdrücklich unbewaffnet. Doch Ende August 1945 kündigte das Parteiorgan an: „Wenn sich nicht rasch eine demokratische Normalisierung vollzieht, werden wir dem Monarchofaschismus mit denselben Mitteln entgegentreten.“ Am 30. März 1946 überfielen Partisanen die Polizeistation des am Olymp gelegenen Dorfes Litochoro. Damit war die „zweite Runde“ des Bürgerkrieges eröffnet, die sich als Partisanenkampf vor allem in den Bergen abspielte.

Bis Ende 1946 entstand aus unkoordinierten Partisanenbanden die Demokratische Armee Griechenlands (DSE). Im Herbst 1946 wurde das von der DSE kontrollierte Territorium zum „Freien Griechenland“ proklamiert. Das „befreite Gebiet“ grenzte an die kommunistisch beherrschten Nachbarländer Albanien, Jugoslawien und Bulgarien. Damit schien Churchills Albtraum vom roten Krebsgeschwür Realität zu werden. Aber inzwischen hatte das bankrotte britische Imperium die Verantwortung für den südlichen Balkan abtreten müssen. Am 12. März 1947 verkündete Präsident Truman, der Kampf gegen die griechischen Kommunisten sei fortan die Sache der USA. Die Truman-Doktrin reagierte auch auf einen Notstand, in dessen Diagnose sich Briten und Amerikaner einig waren: Die griechische Elite und ihre Regierungen waren so korrupt, dass jeder Tag ihres Wirkens die Kommunisten begünstigte.

Kernstück der US-Hilfe war die Ausbildung und Aufrüstung der griechischen Armee. Die war alsbald, wie es ein Report der Athener US-Botschaft ausdrückte, „verpflegt mit US-finanzierten Tagesrationen von 4.200 Kalorien, bekleidet mit US-finanzierten Uniformen, ausgerüstet mit US-Waffen, transportiert von Fahrzeugen und Lasttieren, die von den USA geliefert werden, ausgebildet und operativ beraten von amerikanischen und britischen Offizieren ...“ Derselbe Bericht vom November 1948 schildert die Streitmacht der Kommunisten als „Bandenorganisation von etwa 25.000 Mann, die sich von dem ernähren, was sie vor Ort stehlen oder kaufen können ... Sie haben veraltete Waffen, und als Transportmittel die eigenen Füße oder ihre Esel.“

Bei diesem militärischen Ungleichgewicht stellt sich die Frage: Wo blieb die Hilfe des internationalen Kommunismus? Die Hilfe der Genossen beschränkte sich im Wesentlichen auf die Durchlässigkeit der Grenzen nach Albanien, Jugoslawien und Bulgarien. Und die Rolle der Sowjetunion? Der „große Bruder“ hielt sich – wie bei der ersten Runde in Athen – auch aus der zweiten Phase des Bürgerkrieges heraus. Im Oktober 1944 hatte Stalin mit Churchill in Moskau das berühmte „Prozent-Abkommen“ unterschrieben, das die Einflusssphären auf dem Balkan abgrenzte. Danach fiel Griechenland unter das englische Zepter. Als konsequenter Realpolitiker hat sich Stalin stets an dieses Abkommen gehalten.

Außenpolitisch gesehen wurde die Truman-Doktrin mithin gegen ein Phantom aufgefahren. Und die Unterstützung durch die Nachbarstaaten brachte dem „Freien Griechenland“ weit weniger militärischen Nutzen als politischen Schaden. Denn die Allianz der griechischen Kommunisten mit den Regimen im Jugoslawien und Bulgarien erinnerte die meisten Griechen daran, dass die slawischen Nachbarn immer wieder Ansprüche auf nordgriechische Gebiete erhoben hatten. Ein hellenischer „Patriot“ musste die DSE automatisch für das Trojanische Pferd der slawischen Rivalen halten.

Aber auch die Athener Regierung hegte expansionistische Ambitionen. Sie beanspruchte den Süden Albaniens sowie jugoslawisches und bulgarisches Territorium. Zudem waren die Beziehungen zu den slawischen Nachbarn durch die Frage der slawofonen Minderheit in Nordgriechenland belastet. Diese nicht griechischen Griechen, die während der Metaxas-Diktatur seit 1936 einem repressiven Assimilationsdruck unterlagen, wurden zur natürlichen „Zielgruppe“ der Kommunisten. Gegen Ende des Bürgerkriegs stieg ihr Anteil an der Partisanenarmee auf über fünfzig Prozent. Für die Patrioten waren damit die kommunistische und die slawische Gefahr identisch.

Die ethnopolitische Rivalität gab auch das Stichwort für die bitterste Propagandaschlacht des Bürgerkrieges. Die Kommunisten transportierten seit 1948 etliche tausend Kinder aus dem „Freien Griechenland“ über die Grenzen nach Norden. Dafür wurden sie von Athen des systematischen „Kinderraubs“, ja des Genozids bezichtigt. Die Kommunisten behaupteten dagegen, sie müssten die Kinder vor Hunger und Verfolgung retten. Wer hatte Recht? In vielen Fällen wurden die Kinder in der Tat gegen den Willen ihrer Eltern abtransportiert. Aber häufig waren die Eltern durchaus einverstanden. In vielen Bergdörfern ging es ums nackte Überleben. Die Partisanen wollten die am meisten gefährdeten und am wenigsten nützlichen Individuen evakuieren – also die Kinder. Aber dasselbe tat auch die Athener Regierung. Auch sie ließ tausende Kinder aus den „banditengefährdeten Gebieten“ evakuieren, um ihrer „Entführung“ durch die Kommunisten zuvorzukommen.

Ähnlich erbittert konkurrierten die Kriegsparteien um die Kämpfer. Die Demokratische Armee war seit 1948 zunehmend auf das Mittel der Zwangsrekrutierung angewiesen, die nationale Armee bediente sich ohnehin des staatlichen Gewaltmonopols. Ein Problem waren dabei die jungen Leute, die in der ersten Runde des Bürgerkriegs auf der anderen Seite gestanden hatten. Sie wurden nach Makronissos geschickt. Auf der nackten, wasserlosen Insel vor Attika befanden sich die berüchtigten Straf- und Umerziehungslager für politische Gegner im Wehrdienstalter.

Zu den Verlierern des Bürgerkriegs gehörten wie immer auch die „kleinen Leute“. Sie wurden von beiden Lagern als „das Volk“ beschworen, von beiden Seiten drangsaliert und ausgebeutet, indem man ihnen ihre Lebensmittel abpresste oder ihre Kinder zu Kanonenfutter machte. Auf die Frage, unter welcher Partei die kleinen Leute mehr leiden mussten, gibt es nur subjektive Antworten. Die einleuchtendste hat ein Bauer formuliert: „Die Seite, die in einem Gebiet die meiste Macht hat, die hat auch die meisten Möglichkeiten, Verbrechen zu begehen.“

Der Sieg des griechischen Staates über die Partisanenarmee hat viele Väter und viele Gründe. Entscheidend war das ungleiche Engagement der beiden Großmächte, die sich im Kalten Krieg gegenüber standen: die umfassende Hilfe der USA und der umfassende Interventionsverzicht Stalins, der die Hoffnungen der griechischen Kommunisten nie erfüllte. Am Ende freilich versetzten die Jugoslawen den griechischen Kommunisten den „Gnadenschuss“. Der Bruch zwischen Tito und Stalin stellte die griechischen Kommunisten vor die Wahl zwischen ihrem wichtigsten Bundesgenossen und dem Übervater in Moskau. Ihre orthodoxen Führer optierten für Stalin, und Tito machte die Grenzen dicht.

Das Ende des Bürgerkriegs brachte Griechenland nicht die Diktatur des Proletariats, sondern ein repressives Regime der extremen Rechten und ihres geheimdienstlichen Schattenstaates. Erst Mitte der sechziger Jahre kam eine zage Demokratisierung in Gang, die 1967 durch den Putsch der Obristen gestoppt wurde. Die neuen Diktatoren hatten ihre militärische Laufbahn im Bürgerkrieg begonnen, und sie bekannten sich dazu, indem sie ihre Feinde erneut nach Makronissos verbannten. Als die Junta 1974 fiel, dauerte es noch Jahre, bis die alten Wunden verheilt waren. Erst die Regierung Andreas Papandreous setzte 1982 die gesetzliche Anerkennung der EAM-ELAS als Organisation des nationalen Widerstands durch. 1949 waren die Kämpfer der kommunistischen Armee, die nicht in Gefangenschaft gerieten, ins Exil gegangen. Die meisten von ihnen konnten in den achztiger Jahren aus der Sowjetunion, aus Bulgarien, Polen oder der DDR nach Griechenland zurückkehren. Aber nicht alle.

Etliche slawofone Partisanen oder ihre Nachkommen leben noch heute in Osteuropa oder in der Republik Makedonien. Wenn sie die alte Heimat im griechischen Makedonien besuchen wollen, müssen sie an der Grenze ein Formular ausfüllen, das nach der ethnischen Zugehörigkeit fragt. Wer das Papier belügt, darf einreisen, wer sich zu seiner makedonischen Identität bekennt, muss draußen bleiben. Die Ironie der Geschichte ist zugleich eine bittere Pointe. Manche dieser unerwünschten Makedonier gehörten vor fünfzig Jahren zu den Kindern, deren Verschleppung die Athener Regierung damals als „Kinderraub“ anprangerte. Es sind gewiss nicht viele, und jedes Jahr werden weniger abgewiesen. Aber das Schicksal dieser Menschen zeigt, dass die „balkanische Dimension“ des griechischen Bürgerkrieges seine zäheste Hinterlassenschaft ist.

Niels Kadritzke, 56, ist Journalist und lebt in Berlin