Mord im Namen der Familienehre

Jährlich werden in Jordanien 25 bis 30 Frauen von ihren Verwandten getötet. Grund: Sie sind schwanger. Den Mördern drohen nur milde Strafen. Das soll sich jetzt ändern

Kairo (taz) – Kawkab war verzweifelt. In einer traditionellen Gesellschaft wie Jordanien unverheiratet schwanger zu werden ist ein unverzeihlicher Fehler. Nach einem Streit mit ihrer Familie schien für die junge Frau der einzige Ausweg, sich selbst anzuzünden. Kawkab überlebte und wurde mit schweren Brandwunden im sechsten Monat schwanger in ein staatliches Krankenhaus eingeliefert. Eine Woche später bekam sie Besuch von ihrem Bruder. Der erschoss sie.

Das ist kein Einzelfall. Kawkab ist dieses Jahr das erste Opfer einer in Jordanien als Dscharimat asch-Scharaf (Verbrechen zur Rettung der Ehre) bekannten Praxis. Jedes Jahr fallen dieser blutigen Ehrenrettung nach Schätzungen der in Washington ansässigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch 25 bis 30 Frauen zum Opfer. Die Mörder kommen dabei dank der jordanischen Gesetze meist glimpflich davon. Laut Artikel 340 und 98 des Strafgesetzes dürfen für Morde an weiblichen Verwandten im Namen der Familienehre nur milde Strafen von nur wenigen Monaten Gefängnis ausgesprochen werden.

Menschenrechts- und Frauengruppen kämpfen seit Jahren für eine Änderung der entsprechenden Paragrafen. „Jordanisches Gesetz rechtfertigt diese Morde und entwertet damit das Leben der Frauen“, erklärt Human Rights Watch. Die milden Strafen verstärkten nur den Glauben in der Gesellschaft, dass es sich bei diesen Morden um Kavaliersdelikte handle, heißt es in einer Erklärung einer Gruppe von Jordanierinnen.

Aber nicht nur das Strafmaß ist milde. In der Praxis kommt es beim Umgang der Behörden mit dem Problem auch zu einer absurden Verkehrung von Tätern und Opfern. Meldet eine Jordanierin der Polizei, dass sie sich von ihrer eigenen Familie bedroht fühlt, bezahlt sie dafür oft mit ihrer Freiheit. „Zu ihrer Sicherheit“ wird sie in Verwaltungshaft genommen. Einmal weggesperrt, bestimmen die Behörden, wann die Frau wieder freigelassen wird. Offizielle Statistiken sprechen davon, dass jedes Jahr 50 bis 60 Frauen für einen Zeitraum von ein paar Monaten bis zu über drei Jahren in diese Art „Schutzhaft“ genommen werden. Und selbst diese paradoxe Maßnahme sorgt nicht immer für die Sicherheit der Frau. Denn oft sind es gerade die potenziellen Täter, die als einzige eine Freilassung der Frauen erwirken können. Im März vergangenen Jahres wurde Faies Muhammad zu nur neun Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte es geschafft, seine 17-jährige Tochter Lamis aus der Schutzhaft freizubekommen. Auf dem Weg nach Hause schnitt er ihr dann die Kehle durch.

Im vergangenen November bekamen die Gegner des Gesetzes Unterstützung von höchster Stelle. Die jordanische Königin Rania wandte sich öffentlich gegen die Praxis. Morde zur Rettung der Familienehre hätten keinerlei Grundlage im Islam, erklärte die First Lady. Weder der verstorbene König Hussein noch seine Majestät König Abdallah akzeptierten diese Praxis. Am 22. November legte der Justizminister dem Parlament einen Gesetzentwurf vor, in dem die relevanten strafmildernden Paragrafen gestrichen waren. Doch die Mehrheit der Abgeordneten sperrte sich. Eine Streichung der Paragrafen „legalisiere Obszönitäten und verletze die moralischen Werte der Gesellschaft“, lautete deren Hauptargument. Im Übrigen, so hieß es im Unterhaus, wolle die Regierung mit der Änderung nur dem Druck aus dem Westen nachgeben. Seitdem kursiert der Änderungsvorschlag zwischen den beiden Kammern des jordanischen Parlaments. Das Oberhaus stimmte einer Änderung zu. Doch das Unterhaus lehnte ab. Nun geht der Entwurf wieder ans Oberhaus. Sollte es erneut zustimmen, wird der Änderungsvorschlag im März beiden Kammern zu einer endgültigen Entscheidung vorgelegt.

Am Montag demonstrierten in der jordanischen Hauptstadt etwa 3.000 Menschen für die Gesetzesänderung. Angeführt wurde die Menge von Prinz Ali, einem Bruder von König Abdallah.Karim El-Gawhary