Vorausgesetztes abgewendet

■ Zwei rote Karten bescheren dem FC St. Pauli trotz 2:1-Niederlage eine relative Zufriedenheit

Der Ausgang stand schon a priori fest. Massell und Daniel waren sich sicher, „drei oder vier zu eins“ würde man gewinnen. Für die Gladbach-Fans keine Frage. Auch Sandra, Fotografin bei einer Hamburger Agentur, war mit sich übereingekommen, was sie an diesem Freitagabend erwarten sollte. „Was willst du haben, jubelnde Gladbacher oder niedergeschmetterte Paulianer?“ Die Antwort des Chefs ist nicht bekannt und würde auch keine Rolle spielen. Dass weder die Fotografin noch die Jugendlichen Recht behielten, passte zum Spiel des FC St. Pauli bei Borussia Mönchengladbach, in dem am Ende irgendwie alle ein bisschen zufrieden waren.

Gladbach hatte die drei Punkte eingefahren und die Hamburger die Gewissheit, dass Kampf eine in der zweiten Liga nicht zu verachtende Tugend ist, auch wenn eben jene diesmal etwas spät und erst durch Nachhilfe vollzogen wurde. „Der Schiedsrichter hat St. Pauli geholfen“, ereiferte sich Hans Meyer, Trainer der Gladbacher Fohlen, nach dem Spiel, nicht ganz ohne ein schelmisches Lächeln auf den Lippen. Gemeint waren die zwei roten Karten gegen Steffen Karl nach Grätsche von hinten und für Markus Ahlf nach ähnlichem Delikt, etwas mehr von der Seite kommend, dafür bedeutend rüder.

„Die Platzverweise haben bei St. Pauli nochmals Kräfte freigesetzt“, sagte Marcel Ketelaer, der Markus Ahlf auf der rechten Abwehrseite ein ums andere Mal austanzte, überspielte oder entwischte. Dass die Spieler des FC St. Pauli sich nach dem Spiel für Interviews vorbildhaft zur Verfügung stellten, mag ein weiterer indikator dafür sein, dass die letzten 20 Minuten sie selbst für vieles entschädigten. Markus Lotter resümierte kurz und knapp. Von „zusammengerauft“ und von „Tugenden gebracht, die wir am Anfang nicht hatten" war da die Rede.

Die roten Karten also. Verantwortlich für die relative Zufriedenheit trotz Niederlage. „Da musst du was probieren“, hatte Holger Stanislawski zu der Zeit nach den Schiedsrichterentscheidungen gesagt. Probiert hatte Willi Reimann, Trainer des FC, durch die Einwechselung von zwei Abwehrspielern das Offensivspiel seiner Mannschaft anzukurbeln. Von diesem war in der ersten Halbzeit nichts zu sehen. Als Ausrede mag gelten, dass die Hamburger nach dem frühen Tor (3. Minute) der Borussen durch van Lent, der mit Trulsen machte, was er wollte, geschockt waren. Beim 1:0 habe man „etwas“ geschlafen, wird Reimann später die Situation aus seiner Sicht beschreiben.

Als dann in der 70. Minute nur noch acht Feldspieler bei Pauli anwesend waren, und fünf von diesen acht am Strafraum auf einen Freistoß warteten, war bereits im Ansatz zu erahnen, dass der folgende Konter der Hausherren zum Tor führen würde. Die Vollendung dieses Gedanken vollzog Marcel Witeczek nach Hacke von Marcel Ketelaer. Das Erahnte schien seinen Lauf zu nehmen. „Drei oder vier zu eins“ – wir erinnern uns an die Prognosen.

Dass es anders kam, es lag an Carsten Wehlmann, der einen starken Tag erwischte, um Unvermögen der Gladbacher und auch daran, dass das 2:1 von Karaca, der sich über links gegen zwei Abwehrspieler durchsetzte und aus spitzem Winkel den nicht ganz unhaltbaren Ball ins lange Eck beförderte, eine hektische und aufgeheizte Schlussphase zur Folge hatte, die die Bezeichnung „Sturmlauf“ in Ansätzen verdiente.

Und schon war sie da, die Zufriedenheit aller Orten. „Wir hätten mit Glück den Ausgleich machen können“, so Cem Karaca. Und der Torschütze wollte noch mehr los werden: „Wir haben mit acht Mann gut gekämpft. Man kann der Mannschaft gratulieren.“ Gratulieren dazu, binnen 20 Minuten das vorher Erwartete verhindert zu haben. Im Abstiegskampf zu wenig. „Wir waren zu passiv und sind zu spät aufgewacht“, brachte es Marcus Marin, vorletzter Torjäger, auf den Punkt.

Willi Reimann indes sieht „rosigen“ Zeiten entgegen. Ob mit St. Pauli, könne er noch nicht beantworten, so Reimann. Nur soviel: „Wir werden alle zusammen versuchen, die Klasse zu halten.“ Er lässt sich nicht hineinschauen in seine von ihm gezogenen und vom Präsidium gemischten Karten. Keine Regung im Gesicht, keine Miene, die verrät, wie er sich seine „positive Zukunft“ (Reimann) vorstellt. Aber seine Worte verraten dann doch mehr als seine Gabe, den ruhigen, gelassenen, von nichts zu beeinflussenden Trainer zu vollführen.

Er spricht von einem „passab-len“ Start in die Rückrunde. Wer diese Aussage mit den Ansprüchen in Hamburg vergleicht, kann mit fünf Punkten aus ebenso vielen Spielen nicht zufrieden sein. Er „hake mit der Mannschaft Spieltag für Spieltag“ ab und köne nun einmal nicht „die halbe Mannschaft auswechseln“. Das klingt nicht nach Zukunft und schon gar nicht nach rosig. Und als er dann im kleinsten Kreise auch noch feststellt, dass es doch „um St. Pauli“ geht, und das müsse es auch weiter gehen, da weiß man, was er sagen will. Ohne, dass er seine Art, bloß nicht zuviel auszudrücken, vergisst.

Bei St. Pauli geht „alles rauher zu“ (Carsten Wehlmann) und alles befindet sich „in der der Schwebe“ (Narcus Marin). Die Stimmung sei trotzdem sehr gut in der Mannschaft, so Marin vor dem Spiel. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Torwart Wehlmann in der 79. Minute 20 Meter vor dem Tor nicht knapp den Ball, sondern seinen Gegner getroffen hätte. Zu acht hätten sie weitergespielt und vielleicht mit Dirk Wolf im Tor. Massell und Daniel hätten wohl recht gehabt mit ihrer Prognose. Und eine gewisse Zufriedenheit hätte sicherlich nicht mehr vorgeherrscht.

Aber wir wissen, es kam anders. Nichtsdestotrotz, Sandra hat ihre Fotos gemacht: von Pauli natürlich. Dann eben nicht niedergeschmettert. Florian Bauer

Mönchengladbach: Kamps, Eberl (70. Sopic), Hausweiler, Asanin, Frontzeck, Nielsen, Demo, Witeczek, Korzynietz (79. Frommer), van Lent, Ketelaer

FC St. Pauli: Wehlmann, Karl, Ahlf, Trulsen (60. Gerber), Puschmann (46. Stanislawski), Lotter, Hanke (73. Madza), Polunin, Karaca, Wolf, Klasnic

Sr: Schmidt (Stuttgart) – Z.: 23.100

Tore: 1:0 van Lent (3.), 2:0 Witeczek (69.), 2:1 Karaca (71.)

Rote Karten: Karl (61.) wegen Foulspiels, Ahlf (64.) wegen Unsportlichkeit