Den ich Ruf rief, den Geist

War der Rauswurf des Kamikaze-Moderators Niels Ruf bei Viva nur ein Symptom für eine vordergründig politisch korrekte Bildschirm-Säuberungsaktion? Und wurde auch Ingo Appelt dem pseudoprüden Trend geopfert? Doch noch ein Ruf-Nachruf

von MARCEL MALACHOWSKI

Prüderie ist wieder tragbar. Oder zumindest die gespielte, sprich: die geheuchelte Variante. Passend zu diesem Sommertrend wurde auch im Fernsehen noch einmal tüchtig aufgeräumt. Zwar ist zu überlegen, ob es mit der Entlassung von Niels Ruf durch den größenwahnsinnigen Viva-Chef Dieter Gorny nicht doch den Richtigen getroffen hat. Jedoch: Die Entlassung ist anscheinend nur der aktuellste Indikator für eine Entwicklung hin zu einer medialen Moral der Neuen Mitte, die mit echter Moral kaum etwas zu tun hat.

Der wirkliche Anlass für den Rausschmiss Rufs, dessen Sendung „Kamikaze“ im Juni Knall auf Fall aus dem Viva- und Viva II-Programm gekippt wurde, ist zwar unklar. Von einem Witz über eine hautkrebskranke Kollegin ist die Rede und von einem Gag über minderjährige Sexualobjekte. Die Humorgrenzen scheinen da genauestens definiert. Andere Grenzen aber wohl nicht: Interessanterweise sprechen Sportreporter im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit einem schwarzen Interviewpartner wie dem Bayern-Spieler Sammy Kouffour gerne mal wie mit einem kleinen Kind – vielleicht passen latenter Rassismus und ein engstirniges Humorverbot gut zusammen.

Niels Ruf war für das Privatfernsehen so etwas wie ein Geist, den man gerufen hat und nun nicht mehr loswird. Er hat wirklich so gut wie jede Grenze verletzt, die es bis vor zwei, drei Jahren noch im TV gab, radikaler als Scherzkekse wie Stefan Raab oder Ingolf Lück.

Alles, was zur anständigen Fassade des deutschen Fernsehens gehörte, stieß Ruf vom Podest, weil es ohnehin schon im freien Fall begriffen war. Zum lebendigen Inventar seiner Sendung gehörte beispielsweise das „Kamikätzchen“ – eine Frau, die sich während der Sendung im Hintergrund auf dem Teppich räkelte. Wo Kulenkampff, Heck oder das „Glücksrad“ noch verschämt die stumme, helfende Frau in die Requisite stellten, da präsentierte Ruf sie offensiv als dekoratives Hauptelement der Sendung. Während alle andere Musiksendungen die immergleichen Fragen an die Gäste auf Promotion-Tour abspulen, war vor Rufs Kamikaze-Fragestil kein Gast sicher. Wer in „Kamikaze“ für sein Produkt werben wollte, musste sich dem Gastgeber anpassen.

Wenn Ruf nicht solch ein Sexist und, in gewisser Weise, auch ein übler Populist wäre, könnte man sich fast zu der Feststellung hinreißen lassen, Ruf würde, genauso wie es Schmidt hin und wieder gelingt, dem Fernsehen den Spiegel vors Gesicht halten. Doch dazu ist er zu massenkompatibel. Die Trennung von Ruf kommt nicht zufällig zur selben Zeit, in dem etwa die B.Z. den weiblichen 50er-Jahre-Kleinmädchen-Look preist: Angesagt ist eine subtile Regression, die durch die Hintertür kommt. Ein brutaler Nihilist, der offen den Macho gibt, stört da nur das saubere Selbstbild des deutschen Fernsehens. Genauso wie dem deutschen Publikum eine kleine Michelle lieber ist als ein fäkalsprachgewandter Zlatko-Depp. Man will’s halt gemütlich haben. Und wer es mit dem Spiel übertreibt, der wird so unversehens wie unfreiwillig zum Spielverderber.

Der Trend zum vermeintlich politisch korrekten Fernsehen treibt schon seit längerem seine farblosen Blüten. Im März verweigerte MTV die Ausstrahlung des Madonna-Videos „What it feels like for a girl“. Der Vorwurf: Gewaltverherrlichung. In dem Video fahren Madonna und eine ältere Dame ihr eigenes und andere Autos kaputt. Die martialischen Videos der Neo-Germanen von Rammstein und Witt werden dagegen mittlerweile rauf und runter gespielt und die Bands offensiv promotet.

Den Pro 7-Comedy-Star Ingo Appelt entließ sein Sender schon im letzten Jahr. Appelt wurde vorgeworfen, zu fahrlässig mit dem Thema Pädophilie umgegangen zu ein. Obwohl Ingo Appelts Comedy sich nicht all zu sehr vom gewöhnlichen Schwachsinn abhebt, so gehört er doch zu den wenigen Komikern mit zählbarem IQ. Als Moderator der Lindenbergschen „Rock gegen Rechts“-Tournee vor einigen Monaten verurteilte er nicht nur den Mob, sondern auch die „antirassistische Heuchelei“, die von der staatlichen Abschiebungsmaschinerie und den rassistischen Ausländergesetzen nichts wissen wolle.

Bei einem Schritt wie dem Rauswurf Appelts scheint es also um die Etablierung einer neuen medialen Ernsthaftigkeit zu gehen, die Humor nur noch konditioniert zulassen will. Den saufenden Arbeitslosen, der erst mittags aus dem Bett kommt, sah Niels Ruf explizit als seinen Idealzuschauer an: Er hat viel Zeit und keinen Geschmack. Diese Haltung war aber anscheinend doch zu viel der Anbiederung ans Publikum. Schließlich würde die Umsetzung dieser Strategie den wahren Charakter des Fernsehens offenbaren, der zur Zeit zu wünschen übrig lässt. Der wichtigster TV-Auftrag scheint die Befriedigung zu sein.

Gleich danach kommt allerdings das, was für das deutsche Fernsehen schon immer symptomatisch war: Im Gegensatz zum amerikanischen hatte das deutsche Programm stets ein verstaubtes Moment des Spießbildungsbürgerlichen, sei es im Unterhaltungsmetier oder sogar beim viel beschworenen Informationsauftrag. So zeichnen sich deutsche (Polit-)Talkshows oft vor allem durch die Schläfrigkeit aus, die sie beim Zuschauer erzeugen. Eine Niveautreppe tiefer hat Niels Ruf dasselbe mit den Figuren des Popbusiness versucht. Dass er selber – nur umgekehrt – natürlich genau zum Betrieb gehört wie die ihm verfeindeten Langweiler, ist klar. Und dennoch: Die vorläufige Sendepause des anstandslosen Stammtisch-Rüpels Niels Ruf – früher oder später wird er schließlich woanders eine neue Sendung kriegen – ist nicht der Einsicht von Gorny und anderen geschuldet, dass sich mit notorischem Brutalo-Humor keine Quoten machen lassen.

Denn genau das Gegenteil ist ja der Fall. Vielmehr ging es Gorny wohl darum, sich nicht in die Ecke stellen zu lassen, in die er, wie alle anderen Programmmacher, spätestens seit dem Engagement von Niels Ruf hingehört: die der anstandslosen Stammtisch-Rüpelhaftigkeit.