Die Fleisch gewordene Aktie

Da sitzt sie nun, die überstrapazierte Generation Golf, und schaut „Ally McBeal“ (immer dienstags, 22.05 Uhr, Vox). Es ist die TV-Serie zum Heilsversprechen der New Economy

Da sitzt sie nun, die Ally McBeal. Abends in der immergleichen Bar, nur ein paar Stockwerke unter dem Büro der Kanzlei. Immer die gleichen Leute. Und nie haben sie sich etwas zu sagen. Jaja, so isses, das Leben: hart, aber ungerecht.

Nur vergessen jene, die diesen Glaubenssatz des Selbstmitleids immer wieder herausposaunen, dass sie es sind, die das Leben gerade so machen. Ally McBeal war einmal so verträumt in ihr Berufsleben als junge Anwältin gestartet und galant, selbstironisch und bisweilen intellektuell in das Serieneinerlei eingebrochen. Dass man sich den Lebensunterhalt nur verdienen kann, wenn man noch den letzten Deppen vor Gericht verteidigt, war auch Ally und ihren KollegInnen von vornherein klar.

Dass aber eine Figur wie Ally mit ihrer Grundlosigkeit des morgendlichen Aufstehens nur dazu dient, der glatt gebügelten, zu Fleisch gewordenen New-Economy-Aktie eine Bestätigung für ihr tristes Dasein zu liefern, musste selbst dem anfänglichen Ally-Fan erst einmal aufgehen.

Denn eigentlich hält Ally niemandem den Spiegel vor. Ally sagt nur: Seht her, mir geht’s genauso scheiße wie euch! Keiner hat es besser! Macht weiter so! Kanzlei am Tag, Cocktails am Abend, tausend Tode in den Träumen! Und dabei immer ganz nah an der Psychose oder wahlweise der Paranoia. Ally sieht „Dancing Babys“, küsst, zumindest in ihrer Vorstellung, urplötzlich-pubertär ihren Schwarm im Fahrstuhl, versinkt vor Peinlichkeit des Öfteren im Boden.

Doch in Wirklichkeit passiert nichts. Das Leben ist irgendwo anders. Außer das eine Mal im Schaum der Autowaschanlage. Nicht zufällig sieht Ally so aus, als würde sie jeden leiblichen Genuss verachten – mit Ausnahme des hippen, hektisch geschluckten Schaumstoffbecher-Cappuccinos in der Mittagspause. Dieser McBeal-Cappuccino schmeckt aber überhaupt nicht mehr nach dem mit Liebe, Zeit und Genuss aufgeschäumten des Dolcefarniente. So blieb ihr dann auch nichts anderes übrig, als – stellvertretend für ein krebskrankes Kind – eines Tages den lieben Gott persönlich zu verklagen. Diese Neigung zum unbekümmerten Infantilismus zieht sich durch die Serie wie ein roter Faden.

Alle wollen sie irgendwie zurück in die Kindheit, aufs Land, wo alles so grausam-schön ist. Und wenn’s gar nicht schön war, sondern nur grausam, dann wollen sie erst recht eine Familie gründen. So modern sind sie nämlich, die Generation Golf und ihre Nachfolger-Turbo-Generation XY. Falls „Ally McBeal“ einmal angedacht war als die Serie zum Steve-Martin-Großstadt-Single-Film, dann ist irgendetwas gründlich schief gelaufen. Denn Ally leidet zwar genauso wie Alice, ist aber genauso spießig wie Verona. Das einzige, das sie zu entblößen geschafft hat, war die Lustfeindlichkeit des ach so lockeren Postfordismus mit seinem collar free friday.

Der ehemalige Ally-Verehrer muss es sich einfach eingestehen: Ally McBeal betreibt nichts anderes als die Entpolitisierung des Privaten. Bei wem es nicht läuft, der ist selber schuld. Und weil’s bei keinem so richtig rund läuft, hat auch irgendwie niemand Schuld. Die Welt ist so. Traurig, aber wahr. Die Sahnestückchen der gar nicht so süßen Torte des Lebens kriegen immer die anderen, bzw. sie sind schon längst verputzt von der gemütlichen alten Ökonomie. Das Rendezvous mit Mr. Right wird nur noch im Horoskop versprochen. Diese Ausweglosigkeit bedingt den Hype um Ally.

„Ally McBeal“ ist die Serie zur Religion der New Economy. Deren Logik geht bekanntlich so: Wir haben nichts zu gewinnen außer ein paar Euro am Neuen Markt. Versuchen wir es also gar nicht erst. Aber Arbeit ist schon was Tolles! MARCEL MALACHOWSKI