Papiertiger beißen ins Drahtseil

Die Premierminister von Großbritannien und Irland legen einen neuen Friedensplan für Nordirland vor, in dem nichts wesentlich Neues steht. Wenn die Konfliktparteien das nicht annehmen, verlieren sie voraussichtlich ihre Autotomieregierung

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Die Regierungen von Großbritannien und Irland haben gestern ein Papier vorgelegt, mit dem sie den nordirischen Friedensprozess retten wollen. Zur Abrüstung der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), für die Unionisten die zentrale Frage, enthält der Plan jedoch nichts Neues. „Die beiden Regierungen bestätigen ihre Ansicht, dass die Ausmusterung der Waffen unabdingbarer Teil des Belfaster Abkommens vom Karfreitag 1998 ist“, heißt es lediglich. Das Thema müsse auf eine Art gelöst werden, die für die in Nordirland tätige internationale Abrüstungskommission akzeptabel sei. Die Regierungen erwarten nun von der IRA eine Stellungnahme.

Das Papier enthält einige Zugeständnisse an die IRA. Mitglieder, die wegen vor dem Karfreitagsabkommen vom 10. April 1998 begangener Gewalttaten gesucht werden, müssen nicht mehr mit Strafverfolgung rechnen. Außerdem wollen die Regierungen einen Richter aus dem Ausland beauftragen, die Morde an den katholischen Anwälten Pat Finucane und Rosemarie Nelson sowie an dem katholischen Jugendlichen Robert Hamill zu untersuchen. Die Royal Ulster Constabulary (RUC), Nordirlands Polizei, hatte dabei vermutlich ihre Hände im Spiel.

Untersucht werden sollen aber auch die Morde an den beiden RUC-Beamten Harry Breen und Bob Buchanan, bei denen die südirische Polizei mitgemischt haben soll. Was die Reform der zu mehr als 90 Prozent protestantischen RUC angeht, so will die Regierung den Bericht darüber von Chris Patten, dem letzten Gouverneur von Hongkong, umsetzen, den London bisher verwässert hatte. Einzelheiten sollen später veröffentlicht werden. Bis Ende September müssen die Parteien ihre Kandidaten für eine neue Polizeiaufsichtsbehörde nominieren. Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, will auch ehemalige Gefangene in diese Behörde schicken dürfen. Eine weitere Forderung Sinn Féins nach einer Entmilitarisierung Nordirlands wird in dem Papier detailliert angesprochen: Falls die Gefahr der Gewalt deutlich zurückgehe, so heißt es, sollen die meisten Kasernen der britischen Armee in Nordirland so schnell wie möglich abgerissen werden.

Derzeit nimmt die Gewalt jedoch täglich zu. Vor allem die protestantischen paramilitärischen Organisationen, die offiziell am Waffenstillstand teilnehmen, haben in den vergangenen Wochen hunderte von Häusern katholischer Familien mit Rohrbomben angegriffen.

Unionistenchef David Trimble, der frühere nordirische Premier, sorgt sich jedoch mehr um das Waffenarsenal der IRA. Er sagte, er werde das Dokument „sorgfältig prüfen“, fügte aber hinzu: „Ohne die Abgabe von IRA-Waffen sind die anderen Punkte völlig irrelevant.“ Trimble war am 1. Juli als nordirischer Premierminister zurückgetreten, weil die IRA keine Anstalten machte, ihre Waffen auszumustern. Falls er bis 12. August sein Amt nicht wieder antritt, übernimmt entweder die britische Regierung wieder die Direktherrschaft über Nordirland oder es müssen Neuwahlen stattfinden. Aufgrund der aufgeheizten Stimmung unter den Protestanten würden Neuwahlen wahrscheinlich auf unionistischer Seite den Gegnern des Belfaster Abkommens die Mehrheit im Regionalparlament bescheren.

Von der radikalprotestantischen Democratic Unionist Party (DUP), die den Friedensprozess ablehnt, kam die erwartete Ablehnung des neuen Papiers sofort. Nordirlands Parteien haben bis Montag Zeit, zu dem Papier Stellung zu nehmen. Verhandelbar sei es jedoch nicht, betonten der britische Premierminister Tony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern.