Mach kaputt, was dich kaputt macht

Die integrativ-einschläfernden 90er sind vorbei. Also musste das Genre der Teenie-Soap neu erfunden werden. „Popular“ (Sa., 11.05 Uhr, RTL) ist der überzeugende Gegenentwurf zu „Beverly Hills 90210“ und räumt auf mit deren Idealen der Teenie-Kultur

von MARCEL MALACHOWSKI

Dass John F. Kennedy Amerika modernisiert hätte, ist eine beliebte Floskel. Wir wollen sie mal glauben, denn zumindest an der Kennedy High in Santa Monica sind die Lehrerinnen schwarz und unterstützen streikende Reinigungskräfte, die Schülerinnen reden ihre Eltern mit Vornamen an, und die Schulapothekerin lebt in offener lesbischer Beziehung. – Und das am Samstagnachmittag. Es läuft RTL, und es flimmert die aktuelle Teenie-Soap „Popular“ über den Bildschirm.

Nach wenigen Folgen bereits hat sie die Teenager-Kultserie „Beverly Hills 90210“ von ihrem angestammten Sendeplatz verdrängt. Kein Wunder, denn während es dort vor gebildeten, reichen, halbwegs attraktiven und durch und durch moralisch qualifizierten Langweilern nur so wimmelt, geht es in „Popular“ zur Sache. Nicht der gut situierte Mittelstand wird hier protegiert, sondern die Extreme. Die integrativ-einschläfernden Neunziger sind schließlich vorbei.

Happy End, später

Dabei geht es natürlich auch in „Popular“ eigentlich um nichts – schließlich spielt die Serie an einer Highschool – aber damit um große Teenagerschicksale. Im Mittelpunkt steht der große Schwesternkonflikt: Prinzessin versus freche Göre. Die Freche der beiden McQueen-Schwestern gibt die dunkelhaarige Carly Pope, und die Prinzessin wird dargestellt von der – natürlich blonden – Leslie Bibb.

Nachdem der erste Streit um die adäquate Feuchtigkeitscreme zwar überraschend schnell beigelegt werden konnte, tauchen abrupt immer neue – und, sagen wir: durchaus ernstere – Probleme des amerikanischen Teenagerdaseins auf.

Keine Serie hat je zuvor die strikte Cliquenexistenz der US-Teenies derart eindeutig thematisiert und gehässig aufs Korn genommen wie „Popular“. Der Serienname will auch nicht sagen, dass nur gut ist, was oder wer populär ist, sondern im Gegenteil: Die Stars in „Popular“ sind die Individualisten, die der realen amerikanischen Vorort-Langeweile trotzen und gerade dadurch dem amerikanischen Ideal des selbstgläubigen Individualismus zum Recht verhelfen.

Oh, Lord, Amerika lebt – aber anders und mit aufgeschobenem Happy End. Bei der Wahl zur Homecoming Queen etwa gewinnt weder die schwarze Mitkandidatin – die in Sachen Intriganz keine Minderheitenförderung mehr benötigt – noch das obligatorische hässliche, aber nette Entlein Carmen (Sara Rue), sondern – so viel opportunistischer Realismus muss sein – Miss McQueen. Nomen est Omen. Karikatur ist Karikatur.

Die klassische Außenseiterrolle wird neben „Sugar“ (Ron Lester), einem typisch voluminösen Fastfood-Opfer, auch von dem mehrköpfigen Schachclub besetzt, der Patchwork-Fraktion der Freaks, rothaarigen oder asiatischen Strebern, die durch Penetranz genauso wie durch Intelligenz ihre MitschülerInnen terrorisieren. Dass man aber intelligent sein kann, ohne zu nerven, wird vom emanzipierten Latina-Girlie Lily Esposito (Tamara Mello) bewiesen.

In „Popular“ wandelt eine desillusionierte Post-Generation X von Klassenraum zu Klassenraum: Nicht mal mehr Football ist noch wirklich angesagt, aber immer nur Kiffen und Kurt-Cobain-Hören bringt’s auch nicht, denkt man anscheinend an der Kennedy High.

In diesem Post-Amerika geht’s denn auch mehr um das kleine Glück im Privaten, das Recht auf den jeweils eigenen Lebensstil. Aus der Frage, ob eine lesbische Mutter dem schulischen Ansehen des good Guy Harrison (Christopher Gorham) schadet, wird folgerichtig auch keine moralintriefende Depri-Geschichte gesponnen. Die Frage wird nicht einmal ausgiebig erörtert, da das Recht auf das intime Glück als selbstverständlich gilt – die Lesben werden folglich auch nicht als promiskuitive Exotinnen dargestellt, sondern als spießige Nachbarinnen von nebenan.

Beim Sterben die Ersten

Letztlich ist in „Popular“ kein amerikanisches Idol vor bitterer Satire sicher: Die Britney-Spears-Kopie „Lolly Pop“ – und ihre True-love-waits-Legende – wird dort genauso von ihrem Girlie-Olymp geholt wie das All-American-Girl Brooke Shields, die antisexuelle Hysterie der Schulbehörden genauso aufs Korn genommen wie die sexualisiert-eintönige Popkultur.

Gwyneth Paltrow, ihr gesichtsloses Ebenbild, kriegt dabei als namentlich erwähntes Phantomobjekt genauso viel Fett ab wie Josh Ford (Bryce Johnson), der Quarterback-Beau, der Stück für Stück sein aseptisches Adonis-Antlitz verliert. Schließlich wurden die Sportskanonen beim Massaker an der Columbine High nicht zufällig als Erste in den Tod geschickt. Kill your idols, ist dementsprechend auch das Motto von „Popular“. Nach South Park, nach den Schulmassakern und dem religiösen Roll-back Ende der 90er musste die amerikanische Soap neu erfunden werden, keine Frage. Dass es jedoch mit solch durchdringender Häme geschehen könnte, überrascht dann doch.

Das gestörte Selbstbewusstsein der Amerikaner nach 9-11 hat in der Pre-9-11-Serie „Popular“ seine Entsprechung gefunden. Nichts ist mehr sicher, und sicherlich verdankt sich „Popular“ auch Kinovorläufern wie „American Beauty“. Was die amerikanische Kulturindustrie nach wie vor auszeichnet, ist, dass sie ihre eigenen Widersprüche offensiv zelebriert und zum Gelächter freigibt. Nichts ist heilig, weder die Form noch der Inhalt. Und eins ist sowohl im realen Amerika als auch im „Popular“-Mikrokosmos leider erst mal sicher: True happy ending waits. Jede Folge ist hier ein Cliffhanger.

„Popular“, (43 Folgen), jeweils Sa., 11.05 Uhr, Wiederholung 14.50 Uhr