Arbeitskampf an Berlins Universitäten: Der Lohn soll wieder stimmen

Die Entlohnung der 8.000 studentischen Beschäftigten stagniert seit 15 Jahren. Eine Initiative setzt sich nun für einen neuen Tarifvertrag ein.

Studierende im Hörsaal

Kriegen die studentischen Beschäftigten mehr Lohn? Foto: dpa

„Die haben damals den ganzen Ernst-Reuter-Platz lahmgelegt“, erzählt Franziska Hamann-Wachtel. Damals, Mitte der 1980er Jahre, wurde der erste Tarifvertrag für die studentischen Beschäftigten in heftigen Protesten erkämpft. „Diese Zeiten sind wahrscheinlich vorbei, auch ein Gewerkschaftsmitgliedschaft hat heute einen geringen Stellenwert“, so Hamann-Wachtel.

Die HU-Studentin ist Vorsitzende im Personalrat der studentischen Beschäftigten und kämpft als Gewerkschaftsmitglied für einen neuen Tarifvertrag und vor allem für eine bessere Entlohnung. Seit 15 Jahren wurde die nicht mehr angepasst.

Knapp 8.000 Studierende arbeiten laut Hamann-Wachtel an den Berliner Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen. An der Technischen Universität Berlin (TU) sind es aufgrund der vielen Tutorenstellen über 2.000. An den anderen beiden großen Universitäten, Humboldt-Universität (HU) und Freier Universität Berlin (FU), sind es rund 1.850.

Hamann-Wachtel, die Sozialwissenschaften studiert und momentan ihre Bachelorarbeit schreibt, hat 2014 als studentische Mitarbeiterin der HU begonnen: im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum in der Abteilung Ausleihe mit 41 Stunden pro Monat. Seit Mai 2014 ist sie im Personalrat der studentischen Beschäftigten, seit zwei Jahren als Vorsitzende. Von ihrer Tätigkeit in der Bibliothek ist sie inzwischen freigestellt.

Die Zahlen der studentischen Beschäftigten seien zwar über die Jahre relativ konstant geblieben, so Hamann-Wachtel, doch das Arbeitspensum habe zugenommen. „Vor allem aber übernehmen die Studenten immer häufiger dauerhafte und komplexe Aufgaben – sie arbeiten in Forschung, Lehre und Verwaltung mit, manche sogar an Drittmittelanträgen.“ Grundsätzlich sei dagegen nichts einzuwenden. „Studentische Beschäftigte sollen nicht nur Kaffee kochen, scannen oder kopieren, solange der Lohn stimmt“, stellt die Personalratsvorsitzende klar. „Wir sind ernst zu nehmende Arbeitskräfte, auch wenn wir nur in Teilzeit arbeiten.“

Leiharbeit an der Uni

Für diese Arbeitskräfte gilt der Tarifvertrag für studentische Beschäftigte II (TV Stud II) in der aktuellen Fassung von 2003. Dort heißt es: „Die Stundenvergütung der studentischen Hilfskräfte beträgt 10,98 Euro.“ Franziska Hamann-Wachtel schüttelt den Kopf, das sei „einfach nicht mehr zeitgemäß“. Sie illustriert: „2003 hat das Semesterticket der BVG noch 109 Euro gekostet, 2016 sind es 77 Prozent mehr.“

Franziska Hamann-Wachtel

„Wir sind ernstzu nehmendeArbeitskräfte“

Von den gestiegenen Mieten wolle sie gar nicht erst anfangen. Ein „Riesenproblem“ und „peinlich“ sei die Lage an der Charité-Universitätsmedizin Berlin. „Hier wurden die rund 1.000 Hilfskräfte aus dem TV Stud II ausgegliedert, als Leiharbeiter werden sie noch schlechter bezahlt“, bemängelt die Studentin.

Vor diesem Hintergrund ist ein neuer Stundenlohn von zumindest 13,75 Euro die wichtigste der insgesamt zehn Forderungen, für die eine Anfang 2016 gegründete Tarifinitiative kämpft. Sie fordert außerdem die Wiedereinführung des Weihnachtsgelds, die Kopplung an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder, längere Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, mehr Urlaub und eine Höchstbelegung für Tutorien angesichts der seit Jahren steigenden Studierendenzahlen.

Im Kern gehören der Initiative rund 30 Studierende, Personalräte, Fachschaften, Interessierte sowie aktuelle und ehemalige Hilfskräfte an. Neben Hamann-Wachtel ist das zum Beispiel auch Isabella Rogner von der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR). Die Masterstudentin der Internationalen Beziehungen arbeitet seit April 2016 in der Geschäftsstelle des Harriet-Taylor-Mill-Instituts.

Ford-Bau der FU

Die FU ist eigentlich kampferprobt Foto: dpa

Über ihre Hochschule weiß Rogner zu berichten, dass die Anzahl der studentischen Beschäftigten „in den letzten Jahren stetig gestiegen ist, 477 arbeiten hier in der Verwaltung, den Bibliotheken oder als Tutoren – 2011 waren es noch etwa 100 weniger“.

Seit Mai 2015 ist Rogner Mitglied bei Verdi. Nach anfänglicher Skepsis: „Zu Beginn meines Studiums habe ich mich nicht als Teil der Zielgruppe der Gewerkschaften gesehen, für mich war das etwas für Leute mit einem ‚richtigen‘ Job und nicht ‚nur‘ einer studentischen Beschäftigung“, berichtet Rogner. „Inzwischen sehe ich das ganz anders, weil ich selbst nach Tarif beschäftigt bin und möchte, dass das so bleibt, und weil Gewerkschaften einen politischen Auftrag als Korrektiv von Ausbeutungsstrukturen im globalen Kapitalismus haben.“

Auch bei Hamann-Wachtel hat es eine Weile gedauert, bis ihr klar geworden sei, dass man nicht an einer Mitgliedschaft vorbeikäme, wenn man einen neuen Tarifvertrag erreichen wolle.

Mitbestimmen kostet nicht mehr als ein Döner

Den Arbeitgeber formal zu Tarifverhandlungen auffordern, das können nämlich nur die Gewerkschaften, in diesem Fall die GEW und Verdi, die die Tarifinitiative unterstützen und aus dieser heraus im November eine 18-köpfige Tarifkommission gewählt haben. Allerdings: „Bei weniger als 50 Prozent Organisationsgrad fangen Gewerkschaften gar nicht erst mit ihrer Arbeit an“, erklärt Hamann-Wachtel.

Von den 8.000 Berliner Hilfskräften waren 300, 400 zu Beginn der Initiative bereits organisiert. 1.000 Neumitglieder wollten sie über den Sommer werben. „Das hätte immerhin einem Organisationsgrad von 17 Prozent entsprochen – nur knapp 500 haben wir geschafft“, so Hamann-Wachtel.

Die Personalratsvorsitzende klagt, wie schwierig es sei, angesichts der zerklüfteten Hochschulstrukturen und der hohen Fluktuation unter den studentischen Hilfskräften zu vermitteln, dass man als große Gruppe stärker sei und es ohne Gewerkschaftseintritt nun mal nicht gehe. „Bei der GEW zahlen Studierende einen Beitrag von 2,50 Euro – ich sage immer, das ist weniger als ein Döner, und man kann jederzeit austreten, es ist ja keine Ehe“, so Hamann-Wachtel.

Kommen die fehlenden 500 Neumitglieder, sollen die Verhandlungen Anfang 2017 aufgenommen werden. Dann wird auch der neue rot-rot-grüne Senat, der den Handlungsbedarf erkannt hat und laut Koalitionsvereinbarung den TV Stud II „erhalten und ausbauen“ will, mit den Hochschulleitungen über das Budget für die nächsten fünf Jahre verhandeln. Hier gelte es einzuhaken und den eigenen Bedarf anzumelden, so Hamann-Wachtel. Die Hochschulleitungen haben zum Teil Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Isabella Rogner ist aufgrund der vielen Rückmeldungen von den Hochschulen „sehr zuversichtlich“, dass im Frühjahr eine Einigung und Umsetzung des neuen Tarifvertrags erzielt werden könne.

Franziska Hamann-Wachtel ist dagegen skeptisch. Zuletzt hat es 2011 einen Anlauf zu einem neuen Tarifvertrag gegeben – er ist schon damals am zu niedrigen Organisationsgrad gescheitert. „Wenn wir es diesmal nicht schaffen, ihn zu erneuern, verliert er seinen Wert.“ Im dreißigsten Jahr seines Bestehens geht es beim Tarifvertrag der studentischen Beschäftigten um alles oder nichts.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.