Aquaristen in Berlin und anderswo: „Fische sind keine Streicheltiere“

Jürgen Lange war 30 Jahre Direktor des Berliner Aquariums. Warum ihn die Unterwasserwelt auch im Ruhestand nicht loslässt, erklärt er im taz-Gespräch.

Jürgen Lange und der Schweinsfisch (Lachnolaimus maximus) im Berliner Aquarium Foto: Amelie Losier

taz: Herr Lange, Sie zu erwischen war gar nicht so einfach. Sind Sie eigentlich ständig auf Achse?

Jürgen Lange: Meine Frau klagt auch immer, dass ich so viel unterwegs bin. (lacht)

Dabei sind Sie seit zehn Jahren pensioniert.

Seinen Ruhestand kann man so oder so gestalten. Golfspielen ist schön. Ich persönlich habe mir aber nie vorstellen können, meine Freizeit damit zu füllen.

Was treiben Sie stattdessen?

Ich halte Vorträge, mache Beratung für Aquarienhäuser und Reiseleitung. In einer japanischen Zoozeitschrift habe ich eine monatliche Kolumne über ausgestorbene Tiere. Gerade hat die Zeitung eine neue Serie angefangen, an der ich auch beteiligt bin. Es geht um die Geschichte der Schauaquarien.

Sie waren 30 Jahre lang Direktor des Aquariums am Zoo. Haben Sie privat auch ein Aquarium?

„Ursprünglich war ich Antilopen­spezialist. Dass ich ins Wasser gegangen bin, hat sich so ergeben“

Nein. Wenn man so viele Aquarien unter sich hat, ist das nicht nötig.

Seinerzeit haben Sie sogar über dem Aquarium gewohnt.

Direkt über dem Haibecken. Ich habe immer scherzhaft gesagt, wenn ich Besuch habe, der mir nicht passt, ziehe ich den Teppich weg und dann fällt der ins Haibecken.

Wen hätten Sie da denn gern so alles versenkt?

Da habe ich nie drüber nachgedacht. (lacht)

Was erwarten Menschen, die das Aquarium besuchen?

Die Erfahrung besagt, dass Meerestiere mehr ankommen als Süßwassertiere.

Woran liegt das?

Süßwasser kennt jeder. In die Seen kann man hineinschauen. Beim Meer geht das nur an wenigen Stellen. Darunter liegt eine unendliche Tiefe. Noch heute wissen wir über das Meer weniger als über die Mondoberfläche. Das Geheimnisvolle ist das, was die Leute fasziniert.

Und die Dunkelheit, die Kälte …

… und die Druckverhältnisse.

Wie tief im Wasser gibt es noch Leben?

Das geht bis zu 10.000 Meter hinunter. Es gibt diese vulkanischen Schlote. Die haben eine Wassertemperatur bis 60 Grad und sind sehr schwefelhaltig. Ganz viele Tiere leben darin. Krebse, Röhrenwürmer, wirklich attraktive Tiere. Sie ernähren sich von den Bakterien, die dort existieren. Die Japaner haben mal versucht, das im Aquarium zu zeigen. Mit einem riesigen technischen Aufwand. Aber es hat funktioniert. Das ist schon faszinierend, auch für mich als Wissenschaftler.

Gibt es noch andere Gründe für die Faszination am Meer?

Nirgendwo sonst gibt es diese Weite. Man weiß nicht, was auf der anderen Seite ist. Nicht umsonst hat man früher gedacht, die Erde ist ein Suppenteller. Wenn man weiter fährt, fällt man hinten runter. Die Wellenbewegung spielt auch eine große Rolle. Mit beweglichem Wasser kann man die Leute emotional erreichen. Nicht nur in Shopping Malls werden deshalb künstliche Wasserfälle installiert. Auch in der Schauaquaristik sind Wellenbewegung und Wasserfälle ein Muss für Tier und Betrachter.

Was tun Sie als Aquariumsberater eigentlich genau?

Ich bin viel in Asien, organisiere dort Tagungen und halte Vorträge, wobei ich die Unterschiede in der Tierhaltung Ost/West deutlich mache. Zurzeit organisiere ich gerade eine Quallen-Tagung in China. Die haben wir mit der Jahrestagung der chinesischen Schauaquarien kombiniert. In China sind in den letzten zehn Jahren 100 Groß­aquarien gebaut worden. Die sind alle mindestens dreimal so groß wie unseres in Berlin.

Nicht gerade eine angenehme Vorstellung.

Nicht alles, was groß ist, ist gut, das stimmt. Was ich damit sagen will: In Asien passiert so viel, dass man nur staunend dabei stehen kann. Da wird heute entschieden und morgen gebaut. In Europa ist alles zähflüssiger.

Kann so ein altes Haus wie das Berliner Aquarium bei so einer Entwicklung noch mithalten?

Was Berlin fehlt, ist ein richtiges großes Schaubecken. Das war mal geplant, ist aber an verschiedenen Dingen gescheitert. Über kurz oder lang wird es gebaut werden, da bin ich sicher. Aber auch so gehört das Haus immer noch zu den zehn führenden Europas. Berlin punktet mit moderner Aquaristik in alter Gebäudestruktur. Das Gefühl, in einem lebenden Museum zu sein, zieht die Leute an. Ein Großteil der Besucher sind ja Touristen. Dazu kommt, dass wir ein Superpersonal haben. Ohne das sähe manches etwas anders aus.

Was für Aufgabenbereiche gibt es dort?

Ein Tierpfleger ist nur für die Quallen zuständig, einer macht die Korallen, dann gibt es Süßwasser- und Seewassertierpfleger. Die Terrarien und die Insektarien sind dann ganz eigene Bereiche. Aber natürlich gibt es auch einen Gärtner für die Pflanzen an Land und im Wasser.

Sind Aquaristen eher Technikfreaks oder Biologen?

Das ist eine Mischung. Aquaristik ohne Technik – das geht nicht.

Im Aquarium gibt es vier Sorten Wasser. Was hat es damit auf sich?

Aus der Leitung kommt kaltes und warmes Stadtwasser, also Süßwasser. Dann gibt es das künstlich hergestellte Salzwasser. Das wird aus 76 Verbindungen gemischt. Eine vierte Leitung führt voll entsalztes Wasser. Es wird benutzt, um das sehr harte Berliner Wasser weicher zu machen. Amazonasfische wollen ein sehr weiches Wasser haben. Tiere aus dem Flussübergang wollen ein sogenanntes Brackwasser, das ist nicht so salzig. Für jede Fischart kann ich mein eigenes Wasser mischen.

Jedes Becken hat eine eigene Filteranlage. Wozu ist das nötig?

So wird verhindert, dass über das Wasser Krankheiten in andere Becken übertragen werden. Einmal pro Stunde wird das Wasser umgewälzt. Aquarientiere hängen immer am Tropf. Fällt der Filter zwei Stunden aus, sind sie tot. Der Luftgehalt im Wasser reicht dann nicht mehr aus, die Schadstoffe überwiegen. Eigentlich ist ein Aquarium ein Suppentopf mit Fischen drin. Damit die Futterreste und der Kot nicht im Becken vergammeln, braucht man die Technik.

Wie überall wird die Technik bestimmt immer besser.

Als ich Ende der 1970er Jahre nach Berlin kam, war eine Haltung von Korallen noch nicht möglich. Heute haben wir sie eigentlich überall.

Auch Haie sind relativ spät nach Berlin gekommen.

Bei den Schwarzspitzenriffhaien war der Transport das Hauptproblem. Die Tiere haben keine Kiemendeckel. Bei der Schwimmbewegung drücken sie frisches Atemwasser durch die halb geöffnete Schnauze, durch die Kiemenschlitze kommt es wieder raus. In kleinen Kisten können die Tiere nicht richtig schwimmen, also muss man sie mit sehr viel Wasser transportieren.

Das war zu aufwendig?

Die Kosten waren sehr hoch. Die ersten zwei Haie, die wir von den Philippinen bekamen, haben 50 Dollar gekostet, brauchten aber jeweils 5.000 Liter Wasser beim Transport per Luftfracht.

Die Pandas, die Berlin gerade von China ausgeliehen hat, kosten mehr.

Aber bei den Haien stand das nicht im Verhältnis. Heute transportiert man sie in einer Box, ähnlich wie ein Sarg. Der Hai kann sich darin nicht drehen. Vorn an der Schnauze wird das Wasser reingepumpt. Am Schwanz wird es abgesaugt, gefiltert und an der Schnauze wieder reingepumpt. Selbst drei oder vier Meter lange Haie kann man so 24 Stunden und länger transportieren.

Sind Sie Haien mal in freier Wildbahn begegnet?

Ich bin kein Taucher. Ich bin Schnorchler. Nur Rückenflossen habe ich in der Ferne mal gesehen. Einmal bei einer Fahrt mit dem Glasbodenboot vor Galapagos auch Hammerhaie unter Wasser.

Nie in einem Tauchboot die Unterwasserwelt der Ozeane erkundet?

Die kenne ich nur vom Film her. Das gebe ich gerne zu.

Wie ist es gekommen, dass Sie sich gerade auf Aquaristik spezialisiert haben?

Ursprünglich war ich Antilopenspezialist. Dass ich ins Wasser gegangen bin, hat sich so ergeben. Ich habe es nie bereut. Das ist viel spannender, als Säugetiere zu halten, weil man über die Unterwasserflora und -fauna viel weniger weiß.

Sind Fische nicht kalt und seelenlos?

Das sind keine Streicheltiere, nein. Aber es ist spannend, die Wege zu finden, wie man sie halten kann. Herauszufinden, ob und wie sie sich vermehren. Da gibt es manchmal so Aha-Effekte. Manche im Meer lebende Maulbrüter etwa brauchen zum Beispiel eine starke Strömung, damit die Jungen schlüpfen können.

Was halten Sie von Leuten, die zu Hause ein Aquarium haben und Fische halten?

Man kann definitiv sagen, dass die Aquaristik mit dem Abstand zum Meer zunimmt. Nageln Sie mich nicht mit Zahlen fest, aber in deutschen Wohnstuben schwimmen sehr viel mehr Fische, als die Republik Einwohner hat. Man schätzt 100 Millionen Fische in zwei Millionen Aquarien.

Was ist der Grund?

Man sagt, Aquarien seien sehr beruhigend. Deswegen werden sie auch gern in Kliniken und Gefängnissen eingesetzt. Für mich war das nie beruhigend, weil ich immer Fehler sehe, aber für Außenstehende ist das anders.

Sie rümpfen über Hobby-Aquarianer also nicht die Nase?

Überhaupt nicht. Das ist, wie wenn sich jemand ein schönes Blumenfenster gestaltet. Es ist nicht nur die Ausstellung eines Tiers, sondern auch die Ausstellung eines Lebensraums in Miniatur. Die Leute empfinden das als ein Stück Natur. Das ist etwas ganz anderes, als einen Kanarienvogel zu halten. Es gibt Hobby-Aquarianer, die haben zehn und mehr Becken im Keller zu stehen. Und sie machen das wirklich gut.

Waren Sie schon mal in so einem Keller voller Aquarien und Fische?

Ich kann Ihnen jetzt keine Adresse geben, aber das ist nichts Ungewöhnliches. Im Übrigen gibt es das auch bei den Terrarienfreaks.

Das sind die mit den Reptilien?

Mit den Schlangen, Echsen und so weiter, ja.

Gibt es da denn keine Beschränkungen?

Vom Veterinäramt beziehungsweise der Unteren Naturschutzbehörde gibt es bestimmte Auflagen, aber wenn alles gegeben ist, warum nicht? Die fressen ja keine Menschen. Bei Giftschlangen bin ich immer ein bisschen skeptisch. Muss nicht sein, finde ich, weil es so viele andere schöne Schlangen gibt. Aber es ist erlaubt. Man muss das Serum nur vorrätig haben.

Wo kriegt man das?

Über die Apotheke oder den Veterinärbedarf.

Was für Giftschlangen werden denn so gehalten?

Klapperschlangen, Kobras …

… auch Grüne Mambas?

Ja. Da fällt mir der Fall ein, dass mir jemand zwei Puffottern anbot. Der Mann war gebissen worden, hatte Kinder und sagte, das könne er nun nicht mehr. Deswegen wollte er sie uns schenken. Als wir sie abholen wollten, wollte er plötzlich Geld dafür haben. Tja, sagt er, er war inzwischen im Zoogeschäft und hat da so schöne Grüne Mambas gesehen, aber die kosten so und so viel. Die Puffottern muss man schon am Schwanz ziehen, dass sie einen beißen, aber die Grüne Mamba springt sofort auf einen los. Also, manchmal kann man nur staunen.

Es gibt Leute, die setzen die Tiere einfach aus, wenn sie keine Lust mehr haben.

Das passiert mit allen Tieren. Die Fische in der Toilette verschwinden zu lassen ist auch so eine Methode. So wie der Clownfisch Nemo im bekannten Film.

Das passiert wirklich?

Durchaus. Bei uns ist das aus klimatischen Gründen kein Problem. Aber in die USA darf man zum Beispiel keine Piranhas importieren, weil die über die Toi­letten runtergespült werden. Über das Klärwasser landen sie in den Flüssen und fressen die heimische Fauna auf.

So wie die Nilbarsche im Victoriasee in Uganda, die auch die heimischen Fische vernichten.

Die Nilbarsche hatte man ursprünglich zum Fischfang als Nahrungserwerb für die Menschen ausgesetzt. Oder in New York. Im dortigen Abwassersystem sollen sogar Krokodile leben. Ich selbst habe das nie gesehen. Alligatoren und so, die auch ausgesetzt oder runtergespült wurden und von den Ratten leben, die es da unten gibt.

Da geht es in Berlin ja vergleichsweise beschaulich zu.

Häufig werden die Tiere in der Wohnung auch freigelassen oder sie entkommen. So eine Schlange hangelt sich aus dem ersten Stock in den nächsten Baum rüber, und weg ist sie.

Und dann erwürgt eine Boa constrictor eine Oma beim Spazierengehen.

Ja, ja. Irgendwo tauchen sie dann wieder auf. Bei Wertheim ist mal eine Tüte mit zwei Schlangen stehen geblieben. (lacht) Der Besitzer hat sie sich dann bei uns wieder abgeholt. Aber jetzt sind wir von den Aquarianern wirklich abgekommen.

Macht nichts. Gehen Sie denn noch manchmal ins Aquarium am Zoo?

Anfangs war ich zweimal die Woche da, jetzt eher selten, aber das hat auch Zeitgründe. Ich habe mich nie eingemischt. Dass man als alter Chef versucht, gute Ratschläge zu geben, ist das Schlimmste, was man machen kann.

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