Anton-Corbijn-Ausstellung in Hamburg: Tote Stars vorm Reihenhaus

Sommerprogramm der etwas anderen Art: Das Bucerius-Kunstforum in Hamburg zeigt Fotografien von Anton Corbijn.

EIn Mann steht vor einer grauen Wand, an der schwarz-weiß-Fotos hängen

Unter Verblichenen: Anton Corbijn Anfang Juni in seiner Hamburger Ausstellung. Foto: dpa

„Schwarzes Gewitter drohtÜber dem Hügel.Das alte Lied der GrilleErstirbt im Feld“ (Georg Trakl)

Ob Anton Corbijn etwas anfangen kann mit deutschsprachiger expressionistischer Dichtung? Und wie war das bei Ian Curtis, dem Sänger der so kurzlebigen wie einflussreichen Band Joy Division, jung aus dem Leben gegangen durch eigene Hand und so zum subkulturellen Märtyrer avanciert? Dass der Sommer, gern genommen als Fest des Lebens und der Lebendigkeit, immer schon sein Ende in sich trägt, dass längst verfällt, was im Frühling knospte, während wir einander sonnenbeschienen an Badegewässerrändern bestaunen: Diesen Gedanken findet man natürlich nicht nur beim zitierten Trakl. Aber dessen Bilder vom dräuenden Himmel und dem verstummten Lied: Sie passen so gut zum derzeitigen, mit einer Laufzeit bis ins kommende Jahr üppig ausgestatteten Sommerprogramm des Bucerius-Kunstforums am Hamburger Rathausmarkt.

Keine flämischen Meister, zumindest nicht die erwartbaren, und auch keine Italienansichten aus drei Jahrhunderte werden da ausgestellt, nein: „The Living And The Dead“, die Lebenden und die Toten also, gesehen durch die Augen (und Objektive) des niederländischen Fotografen und Filmemachers Anton Corbijn. Den kann, nein muss eigentlich sogar kennen, vielleicht ohne das auch zu wissen, wer sich irgendwann seit den 1980er-Jahren für Popmusik interessiert hat.

Corbijn, Jahrgang 1955, hat wesentlich beigetragen zum Ruhm von Bands wie U2 und Depeche Mode, für die er Bandfotos und Albumcover und irgendwann auch Musikvideos verantwortete; oder halt von Joy Division, mit denen ihn ein ganz besonderes Band verbindet: Spätestens mit dem Freitod von Sänger Ian Curtis 1980 wurden Corbijns vielleicht erst mal nur gelungene Bilder der Band und ihres Kopfes – etwa das auf dieser Seite abgedruckte – zu Ikonen, und das ist in diesem Fall mal keine Übertreibung: Nicht nur schreit das Setting, eine Londoner U-Bahn-Station, schon nach Unterwelt-Assoziationen – dass ausgerechnet Curtis den Betrachter anblickt: Das wirkt postum wie ein direkter Draht ins Jenseits. Nicht zufällig war dann auch Corbijns erster Spielfilm, „Control“, eine Biografie eben dieses Ian Curtis.

Auch mehr oder minder legendäre musikalische Eigenbrötler wie Johnny Cash oder Herbert Grönemeyer – ein Wahl-Londoner, wie Corbijn selbst lange einer war – sowie, später, auch mancher Schauspieler oder sonstige Künstler, verdanken ihm die Bilder, die heute von ihnen im Umlauf sind, aber vor allem in den Köpfen: zumeist schwarz-weiß, grobkörnig gern mit starken Kontrasten arbeitend, mit Schatten oder Unschärfe; Bilder, die von mancher Warte aus als handwerklich unzureichend durchgegangen sein dürften. Anders gesagt: Vielfach weitab von Kunst-Kontexten entstanden, als Auftragsarbeiten, gern auch mit werbender Funktion, hat Corbijn mit seinen Bildern spätestens ab 1979 ein ganzes Feld umgegraben und eine heute längst in der Breite durchgesetzte Schule des Ab-Bildens miteröffnet: von Berühmten und Noch-nicht-Berühmten – vielleicht von der Berühmtheit selbst.

Für das Haus in touristisch maximal erschlossener Lage hat Corbijn selbst nun rund 120 Arbeiten aus vier Jahrzehnten zusammengestellt. Sie entstammen insgesamt sieben Serien, die teils echte Werkphasen repräsentieren, von „FAMOUZ“, mit der Corbijn schon in den 1970er-Jahren und noch in den Niederlanden begann, über die „33 Still Lives“ bis zu den nie zuvor gezeigten „Cemeteries“, in den frühen 1980er-Jahren auf katholischen Friedhöfen entstanden. Im Erdgeschoss sind die Bilder nicht sortenrein gehängt, da trifft dann auch mal ein „Still Live“, also ein stärker inszeniertes, auch technisch ganz andersartiges Bild auf eines aus der „FAMOUZ“-Reihe – und genau das verdeutlicht, wie sehr sich manches eben hindurchzieht durch diese 40 Jahre Bildermachen.

Lebendig und tot: Wer über solche Zeiträume wie Corbijn in den Unterhaltungsbranchen und -industrien wirkte, und das auch, als Punk die Zeichen durcheinanderwirbelte, der wird beinahe notwendigerweise auch solche Menschen aufs Fotopapier gebannt haben, die in der Zwischenzeit verstarben: So hängen da tatsächlich etliche Tote an den Hamburger Wänden, darunter auch die US-amerikanische Band Nirvana, deren Sänger Kurt Cobain für die 90er wurde, was im Jahrzehnt davor Curtis gewesen war: ein für einen Lidschlag perfekt als Projektionsfläche geeigneter Schmerzensmann, gepeinigt von Seelenqual und Substanzmissbrauch, gleißend hell verglühend im Namen von uns allen, die wir bloß so langsam wie -weilig vor uns hinglimmen.

„Anton Corbijn: The Living And The Dead“: bis 6. Januar 2019, Hamburg, Bucerius Kunstforum

„Director’s View“-Kuratorenführungen mit Kunstforum-Direktor Franz Wilhelm Kaiser: 2. 8. + 6. 9., 18 Uhr

Freiluftkino mit Corbijn-Spielfilmen: 2.–12. 8., Rathausmarkt

Das klingt, mit ein wenig Übersetzungsleitung, ganz schön nach verbreiteten Vorstellungen etwa des Christentums? Nun, Corbijn ist aufgewachsen als Sohn eines Pastors in der niederländischen Provinz, auf einer Insel, sodass es am Abendbrottisch durchaus um Glaubensdinge gegangen sein mag – wenn nicht auch gleich wieder um den Tod: in Gestalt des nächsten anstehenden Begräbnisses.

In diese ländliche, aber offenbar nicht eben unbeschwerte Gegend kehrte Corbijn in den frühen 2000er-Jahren zurück: Für die famos doppelbödige Serie „a. somebody“ fotografierte er sich ausnahmsweise selbst – in der Verkleidung großer und lange toter Rockstars: Brian Jones, der ertrunkene der Rolling Stones, am Gartenteich, Jimi Hendrix vor allerspießigster Reihenhauskulisse.

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