Anthroposophischer Landbau: Demeter fehlt der Nachwuchs

Der Marke „Demeter” geht es gut, kaum eine Öko-Richtung kann derartig ganzheitliche Bauern vorweisen.

Bio-Tomaten von „Demeter“. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Jede Schraube sorgsam in Kästchen sortiert, sie könnte wieder verwendbar sein. Alle Maschinen, Traktoren wie Heuwender geputzt. Der Boden der Maschinenhalle gefegt. Und draußen auf dem Feld? Am Horizont streicht eine Wiesenweihe über die Äcker, als Uwe Wüst dem Besucher stolz seine Zwiebeln und Linsen präsentiert. Aber wo versteckt sich die Ernte?

Die Zwiebeln, groß und dick, lassen sich noch unter dem Wirrwarr der wilden Kräuter ausmachen. Doch von den Linsen ist sehr wenig zu sehen. Dennoch besteht Demeter-Bauern Uwe Wüst darauf: „Die können wir gut ernten. Das schaffen wir schon.“ Immerhin gehen die Demeter- Linsen vom Hof Krautfürnix sogar ins Zentrum der französischen Linsen-Erzeugung, nach Puy.

Krautfürnix, 2006 als Naturschutzhof prämiert, ist nicht der typische Demeter- Hof. Aber er gilt als einer von jenen Demeter- Höfen, die für diese einmalige, bei Demeter häufiger als sonst anzutreffende intensive Auseinandersetzung mit Natur und Boden stehen. Und – ohne Anthroposophie ist der bio-dynamische Landbau nicht vorstellbar – mit dem Kosmos.

Biodynamische Präparate sind das Herzstück der Demeter-Landwirtschaft. Sie werden fein dosiert Mist, Kompost oder Gülle beigemengt und auf Wiesen und Äckern verteilt. Man unterscheidet Kompostund Spritzpräparate. Kompostpräparate fördern die Verrottung und dienen dem „lebendigen“ Aufbau des Bodens. Verwendet werden Schafgarbe, Kamille, Brennnessel, Löwenzahn, Eichenrinde und Baldrian. Sie werden etwa in einen Tierschädel oder einen Darm gefüllt und für ein halbes Jahr vergraben, um sie danach in der Kompostierung zu verwenden. Spritzpräparate, das sind Hornmist und Hornkiesel, werden in ein Kuhhorn gefüllt und ebenfalls für ein halbes Jahr verbuddelt. Während dieser Zeit sammeln sie kosmische Kräfte. Hornkiesel soll die Photosynthese und die Widerstandskraft der Pflanzen fördern.

Unter diesen Bauern, schätzt der Chef des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FibL, Urs Niggli, fänden sich besonders viele, die eine „ungewöhnlich hohe Identifikation mit dem Land“ mitbrächten. „Bauern mit hoher Motivation, die viel bewusster mit dem Boden, dem Tier und ihrem Beruf umgehen als manch andere Landwirte.“

Anthroposoph und Autodidakt

Rudolf Steiner, hielt – ein Jahr vor seinem Tod – Pfingsten 1924 auf dem Gut Koberwitz bei Breslau seine berühmten Vorträge über „geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“. Genau vor 90 Jahren. Der Anthroposoph und Autodidakt, von dem auch Waldorfpädagogik und anthroposophische Heilweise ausgehen, entwirft in seinem „Landwirtschaftlichen Kurs“ das Bild vom Bauernhof als einem möglichst geschlossenen Organismus.

Er spricht über eine Landwirtschaft, die mit dem ganzen Kosmos zusammenhängt. Aus diesem Kurs hat sich die bio-dynamische Wirtschaftsweise entwickelt, die bereits vier Jahre später den Namen der Göttin für die Fruchtbarkeit der Erde, des Getreides, der Saat und der Jahreszeiten erhielt: Demeter. Demeter, heute eine Top-Marke unter den Bioprodukten, nennt dieses zehntägige Pfingsttreffen überschwänglich die Geburtsstunde des Biolandbaus. Auf der Homepage heißt es: Der bio-dynamische Landbau sei die „älteste ökologische Form der Landbewirtschaftung“. Doch diese Behauptung unterschlägt die meist viel älteren Strömungen der Lebensreformbewegung.

Die Lebensreform suchte in Folge von Industrialisierung und der gescheiterten Revolution von 1848 nach einem dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus, was etwa zur Jahrhundertwende sich in einem klaren, wenn auch agrarromantischen Ziel niederschlug: „Zurück, o Mensch, zur Mutter Erde.“ Als Steiner als einer von vielen Pionieren der Lebensreform seine Vorträge hielt, war Eden, jene vegetarische Obstbaukommune vor den Toren Berlins, schon mehr als 30 Jahre alt.

Steiner polarisiert. Von seinen Fans als Prophet bejubelt, von seinen Kritikern als esoterischer Scharlatan madig gemacht, muss er sich von Ignaz Wrobel alias Kurt Tucholsky in jenem Schlüsseljahr 1924 abfällig als „Jesus Christus des kleinen Mannes“ bezeichnen lassen, der „wolkiges Zeug“ von sich gebe. Was weder Christian Morgenstern noch Franz Kafka davon abhielt, den Religionsstifter um Rat zu fragen. Schwerer aber fällt ins Gewicht: seine rassistischen Sprüche. Nur ein Beispiel: „Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse.“ Starker Tobak, geäußert aus dem Evolutionsgedanken heraus, aber eben auch, wie der Steiner- Biograph Helmut Zander relativierend anmerkt, „vor Auschwitz“, also in Unkenntnis der späteren Dramatik. Entschuldigt das den Anthroposophen?

Präparate sind kein Dünger

Wüst sagt, er sei kein Anthroposoph und gehöre auch keiner christlichen Freikirche an, in der viele andere Demeter-Bauern ihre religiöse Heimat sehen. Auch Wüst aber spricht von der Verbindung des Himmlischen mit dem Irdischen, wenn er über seine spezielle Form der Landwirtschaft räsoniert. So auch bei der Verwendung der Präparate, die er nicht als Steiner-gegeben ansieht, sondern mit denen er experimentiert, sogar neue erfindet. Präparate, sagt Wüst, sind kein Dünger. Sie sind eine „Möglichkeit der Kommunikation mit dem Ganzen“.

In den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren Demeter- Bauern noch ganz normale Öko-Bauern. Da wurde noch der Verzicht auf Präparate geduldet. Was einigen wohl ganz recht war. Tatsächlich aber sind Präparate vorgeschrieben. Was zu Absurditäten führt: So mussten Demeter-Bauern, die auf Sri Lanka Tee anbauen, Löwenzahn erst einführen und weiter vermehren – denn er kommt dort nicht vor, ist aber zwingender Bestandteil der steinerschen Rezeptur. Längst gibt es die Mittelchen als Fertigpräparate im Versand, sie müssen also nicht in der eigenen Erde hergestellt werden.

Die Präparate sind’s, die den Ertrag sichern!, sagen die Demeter- Bauern. Sie stützen sich dabei gerne auf Langzeitversuche am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FibL in der Schweiz. Begonnen 1977, liegt die bio-dynamische Wirtschaftsweise dabei stets vorn: Sie bietet die beste Bodenfruchtbarkeit aller Anbauformen. Doch Niggli warnt: Ganz so eindeutig seien die Ergebnisse nicht, denn einige Faktoren, die gar nichts mit Demeter zu tun haben, könnten das Bild verfälschen. Lokale geologische Besonderheiten der Versuchsfelder, verschiedene Kalkgehalte im Boden, lokales Klima könne man nicht herausfiltern.

Demeter, heute mit 4.950 Farmen weltweit vertreten, gilt als Top-Marke. Geschicktes Marketing hat zu einem hohen Ansehen geführt. Tatsächlich sind viele Vorschriften erheblich strenger als beim herkömmlichen, Discounter-Ansprüche erfüllenden EU-Biostandard, sie liegen zum Teil sogar über denen des Konkurrenten Bioland. So schwärmt Niggli: „Was ich ungeheuer schätze: Alle Kühe tragen Hörner.“ Die werden bei anderen Bio-Bauern oft abgesägt, was schmerzhaft ist.

Die „Antenne zum Kosmos“

Der Hornkult, der eng mit den Präparaten in Verbindung steht, aber ist kostspielig: Er erfordert eine großzügigere Stallarchitektur, die pro Liter Milch mit einigen Cent zu Buche schlägt. Das aber muss sein, denn das Kuhhorn hat eine hohe Bedeutung: Es stellt die „Antenne zum Kosmos“ dar, die über die Ausscheidungen des Tiers in den Betrieb hineinwirkt. Auch bei Demeter gab es Irrläufe: Lange Zeit verteidigte die Organisation die aus heutiger Sicht nicht artgerechte Anbindehaltung der Kühe.

Tierethologen gehen vom Wildtier aus: Wie verhält sich die Wildsau? Sie übertragen dieses Verhalten auf das Zuchttier. Anthroposophen aber gehen vom Menschen aus. Artgerecht definieren sie eng aus der Koevolution Nutztier-Mensch heraus. Also anthropozentrisch. Inzwischen hat die EU ein Machtwort gesprochen: Reine Stallhaltung ist nicht mehr erlaubt. Vor welcher Zukunft steht diese Form der Landwirtschaft, die eine enge Verzahnung mit der Anthroposophie eingeht und damit eine ungewöhnliche intellektuelle Auseinandersetzung von seinen Bauern abverlangt? Daran scheitern viele Kandidaten.

Demeter kann den Zuwachsraten anderer Anbauverbände nichts entgegensetzen. Zwar stieg die Zahl der deutschen Demeter-Bauern in den letzten zwei Jahren leicht an, auf heute 1.413 Höfe. Doch während Konkurrent Bioland seit 2000 ein Plus von mehr als 60 Prozent bei der Zahl der Höfe, bei der Fläche sogar von 127 Prozent verzeichnen konnte, blieb Demeter hoffungslos zurück: Gerade fünf Prozent mehr Höfe und auch nur 38 Prozent mehr Fläche seit 2000 zeigen, dass viele Landwirte die Umstellung auf eine derart anspruchsvolle, wenn auch als Marke erfolgreiche Landwirtschaftsform scheuen.

STEPHAN BÖRNECKE, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 3/2014. Gerne können Sie den Artikel auf unserer Facebook-Seite diskutieren.